«Die Angst des E-Autofahrers vor der leeren Batterie», lautete ein Fachzeitschriftentitel aus dem Jahr 2013. «Die Angst vor der leeren Batterie» doppelte die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft 2016 nach. Und wenn selbst die linke deutsche Zeitung Taz im Oktober 2021 über die «Angst vor der leeren Batterie» berichtet, spricht das nicht nur für eine finanzkräftige Leserschaft, sondern dann ist das Thema im Mainstream angekommen. Selbst wenn 2020 in der Schweiz erst 8 Prozent der Neuzulassungen auf Tesla und Co. entfielen und die Prognosen 2021 Richtung zweistelligen Wert gehen.
Tanken bereits im Beta-Modus
Das Wort «Reichweitenangst» hat es sogar zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht. Sicheres Erkennungsmerkmal von Menschen mit dieser Angst sind Wintermantel und Mütze bei Fahrten auf Autobahnen: Hier müssen Fahrerinnen und Fahrer sorgfältig zwischen Wohlfühlwärme im Fahrzeuginnern und der Reichweite bzw. der Distanz bis zur nächsten Ladestation abwägen, wie Vielfahrerinnen und Vielfahrer berichten. Und selbst wenn die nächste Ladestation in Reichweite ist, verdrängt die Vorfreude nicht immer die Angst: Denn sie muss frei sein – und mit dem Bezahlen muss es klappen.
Hier setzt das deutsche Startup Elvah ein: Man stellt den Usern der App zwei Tarifklassen mit einem Zugang zu 200’000 Ladestationen in 30 Ländern zur Verfügung. «Wir vereinfachen damit das Laden, die User haben nur noch einen einzigen Vertrag zu den Ladepunkten», sagte Elvah-CEO Gowrynath Sivaganeshamoorthy am Rande der Noah-Konferenz Anfang Dezember in Zürich.
2022 wird man auch in die Schweiz kommen. Seit Mitte 2021 können die Kundinnen und Kunden aus Deutschland ihr E-Auto mit der Elvah-App in der Schweiz laden. «Wir bauen unser Angebot kontinuierlich aus und Elvah in den Schweizer App-Store zu bringen, steht klar auf unserer Roadmap», sagt Sivaganeshamoorthy.
Ladeempfehlungen in Echtzeit
Ergänzende Funktionen sollen die Fahrerinnen und Fahrer über besonders gute, rasch ladende und zuverlässig funktionierende Stationen informieren. «Fahrerinnen von Benzin- oder Diesel-Fahrzeugen können es sich kaum vorstellen, doch als E-Autofahrer kann es sein, dass man an die ‹Tankstelle› fährt und diese einfach nicht funktioniert», so Sivaganeshamoorthy. «Wir wollen unsere Kundschaft diesen Unwägbarkeiten nicht länger aussetzen. Dazu versorgen wir sie mit so vielen Infos rund um die Ladesäulen wie möglich. Wir sammeln kontinuierlich Live-Daten der Anbieter, die wir zu unserem einzigartigen Live-Score, dem Elvah Score, zusammenfliessen lassen.» Damit erhalten die Nutzerinnen und Nutzer Echtzeit-Empfehlungen zu den Ladesäulen in der App. «Ein reines Empfehlungssystem ist dazu nicht in der Lage, denn Säulen, die sonst gut funktionieren, können auch mal kurzfristig ausfallen. Das wird in unseren Daten sichtbar», sagt Sivaganeshamoorthy.
Ein grosser Versicherer macht mit
Das Geschäftsmodell des Startups wäre ideal geeignet für eine «eingebettete» Versicherungslösung, beispielsweise integriert beim Kauf eines Elektroautos. Tatsächlich unternimmt man bei Elvah Schritte in diese Richtung. «Wir werden 2022 eine entsprechende Zusammenarbeit ankündigen können», sagt Sivaganeshamoorthy. Details nennt er keine – nur so viel, dass es – naheliegenderweise – eine europaweite und damit grosse Versicherungsgesellschaft sein wird. Damit lassen sich E-Mobilität, Versicherungsschutz, Stromtanken und – für den Fall der Fälle – rasche Abschlepphilfe kombinieren. «Entsprechend unserem Ziel, für E-Mobilität zu begeistern, wollen wir für die gesamte Industrie eine Verbesserung herbeiführen, indem wir ihr unsere Daten zur Verfügung stellen», sagt Sivaganeshamoorthy. Ob damit das Problem der Angst des E-Autofahrers vor der leeren Batterie endgültig gelöst sein wird, bleibt offen.
Anhaltspunkte ergibt die Frühgeschichte der modernen Automobilität: Um 1900 waren in den USA die meisten Autos Dampf- oder Stromgetrieben. Benziner waren in der Minderheit – und damals mussten diese Fahrerinnen und Fahrer befürchten, unterwegs liegen zu bleiben. Abhilfe schufen erst dichte Tankstellennetze und rasche Pannenhilfen. Wer weiterhin Angst hatte, führte einen kaum genutzten Kanister mit. Die moderne App wird damit zum Kanister-Ersatz.