- Thematisch und methodisch ergeben sich deutliche Synergien zwischen Reportinganforderungen und dem Risikomanagement
- Es kann auf eine gemeinsame Erhebungs- und Datenbasis zugegriffen werden
- ESG-Regularien können einen wichtigen Ansatz liefern, um die Risikoeinschätzung innovativ und dynamisch zu halten
Noch vor einigen Jahren schien es undenkbar: die Pleite eines Unternehmens als direkte Folge der Auswirkungen einer Klimakatastrophe. Doch 2019 suchte der grösste Energieversorger Kaliforniens genau mit dieser Begründung Gläubigerschutz nach Chapter 11 des Insolvenzrechts. In den Vorjahren waren wegen verheerender Flächenbrände im Norden des US-Bundesstaates milliardenschwere Verbindlichkeiten angewachsen.
Ausgedehnte Dürreperioden und lang anhaltende Hitzewellen hatten die Wälder ausgetrocknet. Umstürzende Bäume trafen Hochspannungsleitungen des Konzerns, der ausgelöste Funkenflug fand in den ausgedörrten Wäldern reichlich Futter für Feuer. Mögliche Folgen klimabezogener Risiken und Effekte waren nicht im Risikomanagement berücksichtigt.
David Sütterlin ist Head of Risk Consulting Switzerland und Partner beim Beratungsunternehmen Ernst & Young.
ESG-Standards für Unternehmen
Nicht nur Klima- und Emissionsfragen, auch Standards rund um ökologische, soziale und Governance-Fragen (ESG-Standards) rücken wegen der ständig zunehmenden Regulierung seit Jahren immer stärker in den Fokus von Unternehmen. Inzwischen ist eine Fülle von Vorschriften zu beachten und im Reporting zu berücksichtigen. Die EU-Taxonomie, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) sind Beispiele für Regularien, die schon laufen. Die SEC Climate Disclosure, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und die Green Claims gehören zu den Regeln, die in den kommenden Jahren eingeführt werden.
Thematische und methodische Synergien
Schon heute erfordern auch anstehende ESG-Regularien erhebliche Aufmerksamkeit für die Risikoeinschätzung, die Ergreifung von Chancen und die Berichterstattung. Die Anforderungen steigen kontinuierlich, häufig zusammen mit disparaten Ansätzen im Rahmen unterschiedlicher Arbeitsabläufe. Für die Implementierung, die Datenbeschaffung, die regelmässige Evaluierung und die Ausführung sind erhebliche Ressourcen erforderlich. Ausserdem fehlen Erfahrungswerte. Das gilt für das Personal ebenso wie für die Informationstechnologie, das Accounting und zahlreiche operative Einheiten.
Die gute Nachricht: Thematisch und methodisch eröffnen sich deutliche Synergien zwischen diesen Reportinganforderungen und dem Risikomanagement. Zahlreiche Schnittstellen in der Datenbeschaffung und -verwertung, bei den Methoden und Prozessen lassen sich auch aus der Risikoperspektive nutzen. Risikomanagement, Reporting und andere Bereiche, für die ESG-Vorschriften eine wichtige Rolle spielen, können auf eine gemeinsame Erhebungs- und Datenbasis zugreifen. ESG eröffnet dem Risikomanagement viele Möglichkeiten, zu einem aktiveren Forecasting und Steuerungsinstrument überzugehen, und stellt eine Aufwertung des klassischen Risikomanagements dar. ESG-Regularien sind damit eine entscheidende Chance für ein zukunftsorientiertes Risikomanagement.
Steuerungsinstrument für das Risikomanagement
Für das Risikomanagement bedeutet das, Risikosynergien zu identifizieren und ESG-Kennzahlen als wesentliches Steuerungsinstrument für eine pflichtgemässe Berichterstattung zu nutzen. Sowohl die Methoden als auch die Operationalisierung bieten Potenzial für eine kosteneffizientere Einhaltung der Vorschriften. Das beginnt bei den organisatorischen Strukturen und der Frage, welche Fachbereiche welche Themen inwieweit abdecken können und wie effektiv die Schnittstellen aufgebaut sind. Dabei können Aufwände für die Beschaffung und Verarbeitung der Daten durch Berücksichtigung wertvoller Interdependenzen minimiert und die Gesamtaussage für das Unternehmen maximiert werden.
Synergien beschränken sich aber nicht auf thematische Fragen – ebenso wichtig sind methodologische Synergien, sei es bei der Bewertung der Wesentlichkeit, der Transparenz der Wertschöpfungskette, bei Präventionsmassnahmen oder beim Reporting. Risikomanager, die Synergien zwischen den diversen internationalen Vereinbarungen, die für ihr Unternehmen relevant sind, identifizieren, nutzen und bei der Implementierung von Anfang an berücksichtigen, können entsprechend Zeit-, Aufwand- und Kostenvorteile für ihr Unternehmen erzielen.
Die Vorteile gehen aber deutlich über diese direkten Synergien und die Nutzung von ESG-Kennziffern als Steuerungsgrössen hinaus. Die gründliche Auswertung der ESG-Informationen kann die regulatorische Resilienz verbessern, den Kapitalaufwand und Investitionen optimieren, das Performancemanagement stärken und zu Anpassungen im Geschäftsmodell führen.
Umfassende Risikoprognose
Aufgabe der Risikomanager ist es auch, den Blick vom oft kurzfristig ausgerichteten Reporting strategisch und langfristig in die Zukunft zu richten. Im Rahmen dieses Paradigmenwechsels werden ESG-Anforderungen Teil des grundsätzlichen Managements von Risiken mit dem Schwerpunkt Risikoprognose.
Gleich mehrere Vorfälle, die bisher als sogenannte Schwarze Schwäne galten – unvorhergesehene, seltene Ereignisse mit erheblichem Einfluss – haben in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, dass Risiken regelmässig neu und auf Szenarien basierend bewertet werden müssen. ESG-Regularien können dabei einen wichtigen Ansatz liefern, um die Risikoeinschätzung innovativ und dynamisch zu halten. Überraschungen wie die Insolvenz des zu Beginn genannten Energieversorgers in Kalifornien werden so zwar nicht ausgeschlossen, aber sie können besser gesteuert werden.
Dieser Beitrag ist Teil des am 28. November 2024 erschienenen HZ-Insurance-Print-Specials «Riskmanagement».