Der Anteil firmeneigener Versicherungsunternehmen in der Schweiz ist in den vergangenen Jahren von 15 Prozent im Jahr 2018 auf aktuell 47 Prozent gestiegen. Was sind die wesentlichen Gründe für diese Zunahme?

Der Anstieg wurde wesentlich durch den anhaltenden harten Versicherungsmarkt getrieben, was insbesondere international tätige Unternehmen vor Herausforderungen gestellt hat. In einem harten Versicherungsmarkt verknappt sich das Angebot aufgrund von wirtschaftlichen, politischen, regulatorischen oder auch beispielsweise klimabezogenen Entwicklungen.

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«Mit Captives lassen sich Cyberrisiken besser kontrollieren.»

Paul Wöhrmann

Dadurch kommt es zu Preisanstiegen, Kapazitätsverknappungen für einzelne Versicherungssparten und Anpassungen bei den Bedingungen für Versicherungsdeckungen. Auch ist eine zunehmende Nutzung von Captives auf die Diversifikationsstrategie der Portfolios zurückzuführen, da vermehrt Employee-Benefit-Programme in die Captives rückversichert werden. Dies auch vor dem Hintergrund der Verfolgung von ESG-Strategien. Die von der Captive gesammelten Daten können unter anderem dafür verwendet werden, um gezielt Wellbeing-Programme für die Gruppengesellschaften der Parent implementieren zu können. 

Sehen wir dieses Phänomen zum Beispiel auch im Bereich der Cyberrisiken?

Ja, ganz klar. Die Beschleunigung des digitalen Wandels einschliesslich neuer Technologien, die Umstellung auf Cloud-Dienste und die Remote-Arbeit haben neue Schwachstellen geschaffen, die von Cyberkriminellen mit immer ausgefeilteren Techniken ausgenutzt werden. Das hat wiederum zu einem deutlichen Anstieg bei der Nachfrage nach Deckungen in diesem Bereich geführt, während jedoch die Versicherer und Rückversicherer in den letzten Jahren bei der Zeichnung von Cyberrisiken aufgrund des Akkumulationsrisikos zurückhaltender geworden sind. Hier können Rückversicherungs-Captives dank den Fronting-Dienstleistungen der Erstversicherer der Angebotsknappheit entgegenwirken. Zudem können die Unternehmen Captives nutzen, um ihre Cyberrisiken besser zu kontrollieren und mögliche Schäden durch präventive Massnahmen zu verhindern oder zu mindern.

Macht es Sinn, nur für ein potenzielles Risiko eine Captive zu gründen?

Unternehmen ziehen das durchaus in Erwägung. Wir sehen derzeit hierfür auch Anzeichen im Bereich des Klimawandels. Wir können unseren Kunden zeigen, wie sich der zukünftige Versicherungsbedarf in internationalen Sachversicherungsprogrammen aufgrund der zunehmenden Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen entwickeln wird. Die vermehrte Nutzung von Captives zur Absicherung solcher Risiken kann einem Engpass im internationalen Versicherungsmarkt entgegenwirken. Wenn der globale Erst- und Rückversicherungsmarkt mit der steigenden Nachfrage nach Naturkatastrophenversicherungen konfrontiert ist, aber keine neuen Kapazitäten bereitstellen kann, sind innovative Lösungen für das internationale Firmenkundengeschäft erforderlich. Bei Zurich arbeiten wir aktuell daran, solche Lösungen zu entwickeln.

Was ist der Unterschied zwischen Captive und Protected-Cell-Companys (PCC)?

Eine Captive als juristische Person gehört einem Eigentümer mit einer Bilanz, also zum Beispiel einem grossen, international tätigen Unternehmen, und (rück-)versichert vornehmlich Risiken aus diesem Unternehmen. Demgegenüber ist eine PCC eine juristische Person, die aus einem Kern und einer beliebigen Anzahl von finanziell eigenständigen Zellen besteht und meist einem vom Unternehmen unabhängigen Dienstleister gehört. Jene Zellen werden von Unternehmen gemietet, die somit keine eigene Captive gründen und lizenzieren müssen. Mehrheitlich sind solche Gesellschaften als Rückversicherer zugelassen. Die den einzelnen Zellen zugeordneten Vermögenswerte sind gesetzlich und vertraglich voneinander getrennt und damit geschützt. Somit haftet eine Zelle nicht für Ansprüche Dritter gegenüber einer anderen Zelle. Durch die Kombination von Selbstversicherung und Kostenteilung über eine Mantelgesellschaft können auch mittelständische Unternehmen die Vorteile einer Captive nutzen.

Können sich auch mehrere kleinere Firmen zusammenschliessen und eine Captive gründen?

Ja, die Form der sogenannten Group-Captives ist seit vielen Jahren insbesondere in den USA und Kanada beliebt. Beispielsweise spannen die Mitglieder eines Branchenverbands, Unternehmens, die in ihrem Kerngeschäft oftmals in Konkurrenz stehen, in Versicherungsbelangen zusammen und bündeln somit ihre Einkaufskraft. In Europa und der Schweiz sehen wir diese Struktur weniger, was mitunter darauf zurückzuführen ist, dass die hier etablierten Single-Parent- und PCC-Strukturen die Bedürfnisse für grosse und mittelständische Unternehmen gut abdecken.

Wie aufwendig ist die Gründung einer eigenen Captive?

Die Gründung einer Captive-Rückversicherungsgesellschaft ist mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden, da unter anderem eine Vielzahl von regulatorischen Vorgaben erfüllt werden müssen. Erfahrungsgemäss zieht sich der Gründungs- und Lizenzierungsprozess über mehrere Monate, manchmal auch bis zu einem Jahr, hin. Versicherer wie Zurich können – dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrung – die interessierten Unternehmen auf Wunsch hin begleiten.

Captive-Experte

Name: Dr. Paul Wöhrmann

Funktion: Senior Alternative Risk Transfer Manager im Firmenkundengeschäft der Zurich Insurance Group

Ausbildung: Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Hamburg und Freiburg (Schweiz).

Karriere: Paul Wöhrmann hat bei Zurich verschiedene Führungspositionen innegehabt und leitete bis 2022 den globalen Bereich von Captive Services. Seit 2017 wurde er jedes Jahr vom englischen Magazin «Captive Review» als einer der globalen Top-drei-Experten der Branche eingestuft.

Muss eine Captive am gleichen Standort domiziliert sein, an dem das Unternehmen seinen Hauptsitz hat, und welche steuerlichen Vorteile können Captives für Unternehmen bieten?

Das muss nicht zwingend der Fall sein, aber unter den OECD-Richtlinien gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) ist es empfehlenswert, das Domizil der Captive am Standort des Unternehmenshauptsitzes zu wählen. Meine Beobachtung ist, dass Unternehmen, die Captives betreiben, dies nicht aus steuerlichen Gründen tun. Wir sind jedoch keine Steuerberater, sondern helfen Unternehmen, sich besser gegen Risiken abzusichern.

Welche Erwartungen haben die Captive-Eigner an die vermehrt diskutierten Digitalisierungsprozesse bei der Implementierung von internationalen Versicherungsprogrammen?

Der Trend zu steigenden Anforderungen hinsichtlich Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Deckungen, Prämien- und Schadenflüssen aus den Erstversicherungsprogrammen besteht seit Jahren. Die Systemlandschaften vieler Captive-Fronting-Netzwerke verfügen heutzutage noch oft über einen geringen Integrationsgrad. Als Konsequenz daraus leidet nicht nur der lückenlose und transparente Datenfluss innerhalb des Netzwerks zum Captive-Rückversicherer, sondern auch die Qualität der Leistungserbringung.

«Group-Captives sind in Nordamerika seit vielen Jahren beliebt.»

Paul Wöhrmann

Bei Zurich setzen wir daher auf technische Schnittstellen – sogenannte Application-Programming-Interfaces (API) – zur Verbesserung der Effizienz und bieten massgeschneiderte Lösungen für Captive-Eigner in Bereichen wie Einkaufsverhalten und Cyberrisiken. Da die Captive-Eigner auch Rückversicherungs-, Retrozessions- und alternative Märkte aktiv angehen, wird deren Priorität bei der Auswahl eines internationalen Versicherers in Zukunft massgeblich von der Bereitstellung solcher Konnektivität und Technologie-Upgrades bestimmt sein.

Carte Blanche: Was sollte unbedingt noch zum Thema gesagt werden?

Es gibt seit kurzem eine neue spannende Marktentwicklung in Bezug auf die Rolle der Captive-Verwaltungsräte. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Versicherungs- und Rückversicherungswelt weitet sich auch das Pflichtenheft von Captive-Verwaltungsräten aus. Hinzu kommen vermehrt regulatorische Anforderungen, was die Expertise eines Captive-Verwaltungsrates anbelangt. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen zwei Gruppen von Captive-Verwaltungsräten. Zum einen Mitarbeitende der Muttergesellschaft wie Treasurer, CFO, General Counsel und Group-Risk-Manager, anderseits sogenannte unabhängige, externe Verwaltungsräte. Captive-Eigner sind daran interessiert, dass Captive-Verwaltungsräte regelmässig über die aktuellsten Branchenentwicklungen informiert werden.

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Insurance, und ihr Versicherungsexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die nationale und internationale Versicherungswelt bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt kostenlos zum Newsupdate für Insurance-Professionals anmelden.
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Seit Anfang Jahr arbeiten wir daran, eine europaweite Plattform für Captive-Boards zu entwickeln, um den Dialog zu fördern und ihnen unsere Erfahrungen aus der internationalen Unternehmensversicherungswelt und unser umfangreiches externes Netzwerk proaktiv zur Verfügung zu stellen, was bisher auf sehr positive Rückmeldungen gestossen ist.