Umlagenfinanzierte Vorsorgesysteme wie die AHV seien nicht zukunftstauglich, sagen Kritikerinnen und Kritiker und vergleichen sie mit Schneeballsystemen: Fehlen die Einzahlenden, bricht das System zusammen. Die Geburtenrate der Schweizerinnen liegt bei historisch tiefen 1,4 Prozent. Jede vierte Frau bleibt kinderlos, doch ohne Nachkommen wird der zweite Generationenvertrag nicht erfüllt. Korrekterweise sollten Kinderlose also weniger AHV erhalten.
Die steigende Lebenserwartung kommt einer laufenden Rentenerhöhung gleich, denn bleibt das Referenzalter bei 65 und werden wir künftig 100 Jahre alt, müssen 35 Rentenjahre finanziert werden. Ohne eine nachhaltige Refinanzierungsreform wird die AHV das so nicht stemmen können. Stand heute sollte jeder und jede, der oder die nach 2050 in Rente geht, die AHV nur noch als «Taschengeld» einrechnen, aber nicht mehr als existenzielle Absicherung.
Reto Spring, Präsident FPVS und Experte sowie Dozent für Finanzplanung, CFP
Grossbaustelle BVG
Was vielen Schweizerinnen und Schweizern nicht bewusst ist: Die berufliche Vorsorge stellt ihren grössten Vermögensposten dar. Das BVG gleicht einem Bahnhof, der ständig umgebaut wird: mit wechselnden Architekten, Vorschriften, Ansprüchen und Auslastungen. Die Komplexität nimmt zu, Vereinfachungen und Verbesserungen sind schwierig umzusetzen.
Soll die BVG-Rente den hohen Stellenwert in der Altersvorsorge behalten, so müsste sie einen Inflationsausgleich (analog zur AHV) anstreben. Bei einer Inflation von 2 Prozent hat die BVG-Rente nach 20 Jahren schon einen Drittel an Kaufkraft eingebüsst, nach 35 Jahren sogar schon die Hälfte! Umverteilung und Kaufkraftverlust der Rente bleiben also ein Thema. Immerhin gibt es hier einige finanzplanerische Optionen, um diese Herausforderungen zu meistern.
Künftig wird die private Vorsorge das wichtigste Standbein darstellen.
Private Vorsorge wird immer wichtiger
Künftig wird die private Vorsorge das wichtigste Standbein darstellen – Gutverdienerinnen und Gutverdiener müssen bereits heute mehr als die Hälfte der Altersvorsorge eigenverantwortlich ansparen, weil die «Ersatzquote» von AHV und BVG unter 50 Prozent liegt. Das traditionelle Lebensmodell von Bildung, Arbeit und Ruhestand verschwindet, und Menschen ziehen flexiblere Karrieren vor.
Die Finanzplanung muss sich anpassen, damit ein selbstbestimmtes Leben finanzierbar bleibt. Für Menschen der Generation Z heisst das: länger arbeiten, mehr sparen und weniger Rente! Idealerweise wird der Sparprozess daher bereits ab Geburt gestartet – durch vorausschauende Eltern. Wer die Kinderzulage monatlich in einen Indexfonds bis zum Alter von 20 Jahren anlegt und dann nur noch 45 Jahre liegen lässt, hinterlässt eine «vierte Säule» von etwa 1,5 Millionen Franken. Das ergibt nach heutiger Kaufkraft ungefähr 3500 Franken Zusatzrente pro Monat für 35 Jahre – nach 60 Jahren bei 2 Prozent Inflation sind das aber nur noch 1000 Franken.
Wer schon im Berufsleben steht und den Sparprozess erst jetzt startet, sollte 20 Prozent seines Verdienstes sparen. Statt von Sparen sollte man besser von Investieren reden. Wer zum Beispiel in der privaten Vorsorge 3a auf dem Konto spart, betreibt Geldvernichtung: Weil die Zinsen den Inflationsverlust nicht ausgleichen, nimmt die Kaufkraft sukzessive ab. Die Säule 3a ist als langfristige Anlage dazu prädestiniert, grössere Schwankungen in Kauf zu nehmen, was für einen möglichst hohen Aktienanteil spricht. 90 Prozent des Anlageerfolges resultieren aus der Asset Allocation (Vermögensstrukturierung) und den Kosten, weshalb der Fokus darauf auszurichten ist.
Lebensphasen-Finanzierung statt Altersvorsorge
Der traditionelle Lebenszyklus mit den drei Lebensphasen hat ausgedient. Konsequenzen sind lebenslanges Lernen, mehrere Berufe und Unterbrüche. Dazu kommen mehrere Lebensabschnittspartnerinnen und -partner sowie neuartige Familienkonstellationen: Es wird Halbgeschwister geben, die jünger sind als die eigenen Kinder! Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Kevin (37) hat eigene Kinder im Alter von drei und fünf Jahren. Kevins Vater (61) zeugt mit seiner aktuellen Partnerin (41) nochmals Kinder. Kevin bekommt also neue Halbgeschwister mit einem Gap von fast zwei Generationen!
Generationenübergreifende Vermögensweitergabe gewinnt an Bedeutung, wobei die Nachlassplanung komplexer wird. Vermögensaufbau und Humankapitalerhalt wird weit über 65 Jahre hinaus betrieben, die Verzehrphase verschiebt sich weiter nach hinten. Somit gibt es immer einen langfristigen Anlagehorizont: bis hundert und darüber hinaus für die nachfolgenden Generationen. Lebens-, Wohn- und Konsumbedürfnisse zwischen sechzig und achtzig Jahren differieren von denjenigen zwischen achtzig und hundert Jahren. Moderne Pensionskassen wie zum Beispiel die BVK haben hierfür schon spezifische Modelle entwickelt, um den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.
Einen Finanzfahrplan zu besitzen, kann Stress reduzieren, Sicherheit, Orientierung und Zufriedenheit stiften. Wohlstand korreliert mit Gesundheit und Glück. Ein Finanzcoach an der Seite zu haben, hilft nicht nur, auf die erwarteten Veränderungen gut vorbereitet zu sein, sondern auch Vorkehrungen zu treffen für Unerwartetes: wenn aus einem Fünf- Kilometer-Lauf plötzlich ein Marathon wird.
Dieser Artikel wurde erstmals am 15.02.2024 publiziert.
2 Kommentare
das hat schon Ebner in den 90er propagiert und ist damit kläglich gescheitert, ohne seinen Kumpel Blocher wäre er pleite gegangen, wie praktisch alle zukünftigen Rentner welche von einer Anlagestrategie null Ahnung haben
Herr Spring sollte mal wieder Art. 112 Abs. 2b der BV lesen. Dort steht über die AHV: «Die Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken.» Diesen Auftrag erfüllt sie derzeit nur unzureichend. Die 13. Rente könnte etwas Abhilfe schaffen, ist aber für sich allein keine langfristige Lösung. Seit der Einführung des Dreisäulenprinzips hat sich das gesellschaftliche Umfeld stark verändert. Die Deckung des Grundbedarfs muss immer der 1. Säule – sprich einer staatlich gesicherten Rente im Umlageverfahren – vorbehalten bleiben, die der Kaufkraftveränderung jeweils angepasst wird. Demographisch bedingte Finanzierungslücken können durch den Fiskus ausgeglichen werden. Die 2. Säule muss zugunsten der ersten gekürzt werden. Und das Rentenalter muss der erhöhten Lebenserwartung angepasst werden. Der gemeine Rentenbezüger ist – und wird – kein Finanzexperte sein und muss sich für seine Existenzsicherung auf den Staat verlassen können. Der Missbrauch der Kinderzulage als Finanzanlage ist eine perverse Idee.