Welches sind derzeit die drängendsten Herausforderungen für Firmenkunden der Assekuranz, wenn es um Risiken und deren Versicherungsabdeckung geht? Wie eine Nachfrage bei einigen Mitgliedern der Vereinigung der Schweizerischen Versicherungs-Inhouse-Broker VIB zeigt, dominieren bei den Rahmenbedingungen Themen wie Preisdruck bei klassischen Versicherungsprodukten, allgemein steigende Prämien, gesteigerter Informationsbedarf und verminderter Risikoappetit der Versicherer. «Dies zeigt sich bei beinahe sämtlichen Versicherungssparten», beobachtet Roger Prévôt, Head Group Risk & Insurance Management bei der Autoneum Management AG. «Wird das Versicherungsprogramm mit mehreren Versicherungsgesellschaften geschlossen, verlängert sich dadurch der Prozess deutlich. Auch stellen wir fest, dass aufgrund der reduzierten Versicherungskapazitäten und des verminderten Risikoappetits die finalen Entscheidungen oft nicht in der Schweiz, sondern im Ausland und ausserhalb der direkten Geschäftsbeziehung gefällt werden.»
Erfahrung mit Herausforderungen
Ins gleiche Horn bläst Marcel von Vivis, Head of Group Insurance Services bei der Swisscom AG: «Es ist aktuell eine grosse Herausforderung, mit Versicherungspartnern konkrete Lösungen zu finden.» Das liege daran, dass sich diese so organisiert haben, dass kurze Entscheidungswege nicht mehr existieren und es überhaupt schwierig sei, eine Entscheidungsfindung herbeizuführen. Doch die Risiko- und Versicherungsspezialisten, die als Inhouse-Broker für ihre Unternehmen und Organisationen als hauseigene Kompetenzzentren bei Fragen von Risk Management, Versicherungen und Schadenfällen agieren, nehmen es relativ gelassen. «Mit solchen Herausforderungen wissen wir nach über zwanzig Jahren umzugehen», relativiert Marcel von Vivis.
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Unter Preisdruck stehen nicht nur klassische Versicherungsprodukte wie Betriebshaftpflicht, Sach- und technische Versicherungen. Druck auf die Industrie kommt auch seitens des Marktes. Beispiel Bauwirtschaft: «Wir sind in den letzten Jahren immer stärker unter Preisdruck geraten», sagt etwa Arthur Treichler. Für den Leiter Versicherungen und Risk Management bei der Cellere-Baugruppe sind deshalb alle Mitbewerber gezwungen, die Prozesse und Nebenkosten so weit als möglich zu straffen. «Im Gegenzug verstärkt sich die Tendenz im Anbietermarkt der Versicherer, immer höhere Deckungssummen einzufordern», so Treichler. «Diese Schere macht sich inzwischen in der Beschaffung von Limiten bemerkbar.» Noch zeichne der Markt die notwendigen Deckungen, allerdings bei deutlich steigenden Preisen.
Gewisse Versicherer ziehen sich komplett aus einer Branche zurück.
Weitere Problemfelder sind für Cellere der Schutz der IT, und im Bereich der Verantwortlichkeiten gegenüber den Aktionären und Aktionärinnen werde immer häufiger eine D&O-Deckung gefordert. Treichler: «Allerdings sind hier die Kapazitäten definitiv ausgereizt.» Trotzdem blickt der Cellere-Versicherungschef relativ entspannt auf den Versicherungsmarkt: «Zum Glück haben wir die meisten Deckungen gerade neu verhandelt. Sofern wir die Leistungsseite im Griff haben, sollte uns hier aktuell keine Veränderung ins Haus stehen. Einzig die Kapazität der Kredit- und Garantieversicherungen ist natürlich als umsatzabhängige Grösse dem Rating des Marktes unterworfen.»
Eingeschränkte Planbarkeit
Ähnlich die Situation in der Lebensmittel- und Konsumgüterbranche: «In gewissen Bereichen hat sich das Versicherungsangebot reduziert – oder das Verhältnis Prämie/Leistung stimmt nicht mehr – etwa bei der Epidemieversicherung oder auch bei den Financial Lines.» Dies die Beobachtung von Vito Fortunato, Leiter Versicherungsmanagement beim Migros-Genossenschafts-Bund MGB. «Wir nehmen die vorsichtigere und zum Teil sehr zurückhaltende Zeichnung der Versicherer gegenüber der Lebensmittelbranche immer mehr wahr.»
Die Konsequenz? Die Planbarkeit sei aufgrund der stark schwankenden Prämien und der Zeichnungskapazitäten eingeschränkt, so Fortunato. Da die Versicherer praktisch keine längerfristigen Verträge mehr anbieten, werde die Planbarkeit zusätzlich erschwert – damit entstünden bei Versicherern, Brokern, Kundinnen und Kunden für die jährlichen Ausschreibungen beträchtliche Mehraufwendungen. Und: «Die Versicherer haben einen viel stärkeren Informationsbedarf als noch vor ein paar Jahren; dies führt intern zu mehr Abklärungen und Einbindung von Controlling/Rechnungswesen.»
Gleich tönt es bei Maria Nutz: «Aktuell herrscht kein ‹Soft-Market› mehr, und man ist bei Erneuerungen und Neuabschlüssen mit der Tatsache konfrontiert, dass man die gewünschten Limiten nicht erhält und auch bei gutem Schadenrendement mit höheren Prämien konfrontiert wird, etwa bei D&O oder Cyber», sagt die Bereichsleiterin Sachversicherung/Risk Management der Fenaco Genossenschaft. Zudem stellt Nutz fest, dass sich gewisse Versicherer komplett aus einer Branche zurückziehen.
Beim Industriekonzern Georg Fischer AG sind es vor allem der Chipmangel, Engpässe in den Lieferketten sowie Cyberattacken, welche die Arbeit auch von Insurance-Manager Christoph Lochmann erschweren. Bei der Swisscom schlägt man sich unter anderem mit nicht funktionierenden Lieferketten herum sowie mit der Abhängigkeit von einer überschaubaren Anzahl von Produzenten und Lieferanten.
Unterschiedliches Risikomanagement
Bei der Swisscom ist der zielorientierte Umgang mit Risiken zentral. Marcel von Vivis: «Unter zielorientiert verstehen wir, dass wir uns in erster Linie damit beschäftigen, die Auswirkungen der Risiken zu verstehen. Diese also ganz klassisch so weit als möglich zu verhindern und zu reduzieren. Dafür schaffen wir innerhalb unseres Konzerns Anreizsysteme, beispielsweise Deckungskonzepte, welche genutzt werden können, wenn gewisse Vorgaben eingehalten werden. Weiter tragen wir in unseren Versicherungskonzepten viele Risiken selber und machen nur sehr gezielt dort einen Risikotransfer, wo es ökonomisch Sinn macht.» Bei GF Georg Fischer zeichnen sich das Risikomanagement und die Versicherungspolitik durch eine teilweise Risikoeigentragung aus. Dies durch Selbstbehalt wie auch durch eine konzerneigene Captive. Dazu kommen die Absicherung von grossen Risiken durch internationale Versicherungsprogramme, ein konzerninternes Risk-Engineering sowie engmaschige Qualitätssicherung.
Der Risikomanagementprozess bei Autoneum wird wie bei vielen anderen Industrieunternehmen auch vom Verwaltungsrat abgesegnet und in einer entsprechenden Policy festgehalten. Diese definiert den Prozess der Risikoerkennung, das Reporting und das Risikomanagement, die Risikokriterien und Risikokategorien. Risikokategorien bei Autoneum sind: strategische Risiken, operative Risiken, finanzielle Risiken, Compliance-Risiken, Kapitalrisiken, Prozessrisiken und andere Risiken wie politische, gesetzliche, organisatorische Risiken, Umwelt- und Arbeitssicherheitsrisiken.
«Die Risiken im Sinne eines Enterprise-Risk-Managements werden halbjährlich durch den Risk Council überprüft, welcher aus Vertretern aller Business-Groups und den Unternehmensfunktionen besteht und an den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung rapportiert», erklärt Risiko- und Versicherungschef Roger Prévôt. Die Risiken werden auf den Führungsstufen regelmässig überprüft und minimiert. «Der Versicherungseinkauf erfolgt, wo dieser wirtschaftlich sinnvoll ist. Dabei geht es um die Definierung der Deckungsinhalte, Versicherungssummen und Selbstbehalte.
Auf allen Ebenen und in sämtlichen Aktivitäten findet das Risikomanagement bei Fenaco statt. «Risiken werden bewusst eingegangen und Chancen werden bewusst genutzt», sagt Bereichsleiterin Maria Nutz. «Als genossenschaftlich organisierte Unternehmensgruppe bewerten wir im Zweifelsfall die Sicherheit höher, auch wenn dadurch allenfalls Chancen verpasst werden. Ohne Genehmigung durch die Fenaco-Geschäftsleitung darf aber kein Tochterunternehmen zusätzliche Risiken eingehen, die zu einer wesentlichen Abweichung gegenüber den geplanten Ergebnissen wie Budget oder Mittelfristplanung führen können. Von Fall zu Fall werden Massnahmen ergriffen zum Vermeiden, Vermindern und/oder Verschieben von Risiken – inklusive Versichern. Die Restrisiken werden selbst getragen.»
Die Migros hat ein eigenes internes Risk Engineering aufgebaut. Die Risikoberichte und thermografischen Untersuchungen werden jeweils für die Maturitätsbestimmung der einzelnen Betriebe verwendet. Das Versicherungsmanagement ist nicht nur für den Einkauf von Versicherungsdienstleistungen verantwortlich, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Risikoprävention.
«Neue» Risiken
Den Risiko- und Versicherungsmanagern wird die Arbeit auch in Zukunft nicht ausgehen. Im Gegenteil. Sie rechnen mit vielfältigen «neuen» Risiken, die ebenfalls abgesichert werden müssen. «Die Erfahrungen aus der Pandemie sowie aus den aktuellen Ereignissen rund um die Ukraine-Krise werden einiges für die Zukunft mit sich bringen», ist Marcel von Vivis überzeugt. Er geht davon aus, dass diese Entwicklungen starken Einfluss auf Versicherungsthemen rund um Lieferketten haben werden, etwa bezüglich Rückwirkungsschäden. Auch das Thema Cyber wird für den Swisscom-Manager nicht an Aktualität verlieren. Ähnlich sehen es auch seine Kollegen. Roger Prévôt registriert einen Anstieg von Cyberrisiken sowie zunehmende Risiken aus dem Management der Lieferketten. Und Christoph Lochmann hat bei Cyberversicherungen auch die Prämienentwicklung im Blick. Längerfristig beunruhigen ihn aber auch zunehmende Naturgefahren aufgrund des Klimawandels.
Am Horizont zeichnen sich bereits viele «neue» Risiken ab.
Auch Cellere-Mann Treichler sieht Angriffe auf die firmeneigenen IT-Infrastrukturen als Problem. Eine weitere Herausforderung: «Im Zusammenhang mit dem Bauen rückt seitens Öffentlichkeit und Staat der Umweltschutz immer mehr ins Zentrum; deshalb sind Nachhaltigkeitsstrategien für uns ein wichtiger Faktor und werden sicher über den einen oder anderen Wettbewerbsvor- oder auch -nachteil entscheiden.» Bei der landwirtschaftlichen Genossenschaft Fenaco hat Maria Nutz und ihr Team aktuell folgende Themen auf dem Radar: digitale Transformation mit dem Risikopotenzial von Cyberangriffen, Robotikinnovationen wie etwa autonom fahrende Maschinen und Fahrzeuge (Feldroboter), indexbasierte Versicherungsprodukte wie Wetter- und Wasserstandsversicherungen. Mittelfristig seien zudem Themen wie künstliche Intelligenz, Strommangellage, Compliance-Risiken oder Reputationsrisiken ein Thema.
Andere Branche, andere Herausforderungen: «Wir sehen uns in den kommenden Jahren vermehrt mit den Risiken im Bereich des Gesundheitswesens, insbesondere Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Sportmedizin, konfrontiert», so der Leiter des Migros-Versicherungsmanagements, Vito Fortunato. «Ein weiteres denkbares Szenario könnte die Zunahme von möglichen Lieferengpässen und damit Lieferschwierigkeiten gewisser Produkte oder technischer Apparate darstellen, welche für die Herstellung von Produkten benötigt werden. Dies könnte im Schadenfall zu längeren Betriebsausfällen führen. Allenfalls dürfte sich auch das Thema respektive Risiko einer möglichen Strommangellage verschärfen.
Es sind viele Risiken, die sich bereits am Horizont abzeichnen und die schon auf dem Radar von Firmen und Organisationen sind, für die vielfach aber noch keine Versicherungsdeckungen bestehen. Langweilig im Geschäft mit Risiken und Versicherungen wird es also kaum für die professionellen Inhouse-Broker.
Dieser Beitrag ist erstmalig erschienen am 21. April 2022 im HZ Special Unternehmensversicherungen unter dem Titel «Wenig Bock auf Risiken».
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