Bis vor wenigen Jahren war der Europasitz von FM Global in England. Seit drei Jahren hat das Unternehmen auch einen Sitz in der Schweiz. Weshalb diese Veränderungen?
Im Rahmen der Herausforderungen, die der Brexit mit sich brachte, hat FM Global entschieden, sich innerhalb Europas neu aufzustellen und die Struktur zu verändern. Dazu haben wir in Luxemburg eine neue Gesellschaft mit dem Namen FM Insurance Europe gegründet, der mittel- bis langfristig alle Zweigniederlassungen innerhalb Europas angegliedert werden.
Die Schweiz ist eine der konstantesten Volkswirtschaften und für uns ein wichtiger Markt, in dem wir als Industrieversicherer präsent sein wollen und müssen. Natürlich hätten wir den bisherigen Ansatz weiterführen und die Schweizer Kunden aus einem anderen Land der EU unter Einhaltung der Vorgaben heraus betreuen und beraten können. Doch es ist klar: Die Kunden bevorzugen direkten Kontakt, daher sind wir seit 2019 auch in der Schweiz präsent.
Rudolf Scheller wird als Referent am SIRM Forum in Bern auftreten. Dieses findet am 23. und 24. November 2022 in Bern statt und widmet sich dem Thema «Sustainability at the centre of innovative risk management». Der erste Tag des Forums ist öffentlich, Tickets für diesen sind nach wie vor erhältlich.
Bis vor wenigen Jahren war der Europasitz von FM Global in England. Seit drei Jahren hat das Unternehmen auch einen Sitz in der Schweiz. Weshalb diese Veränderungen?
Im Rahmen der Herausforderungen, die der Brexit mit sich brachte, hat FM Global entschieden, sich innerhalb Europas neu aufzustellen und die Struktur zu verändern. Dazu haben wir in Luxemburg eine neue Gesellschaft mit dem Namen FM Insurance Europe gegründet, der mittel- bis langfristig alle Zweigniederlassungen innerhalb Europas angegliedert werden.
Die Schweiz ist eine der konstantesten Volkswirtschaften und für uns ein wichtiger Markt, in dem wir als Industrieversicherer präsent sein wollen und müssen. Natürlich hätten wir den bisherigen Ansatz weiterführen und die Schweizer Kunden aus einem anderen Land der EU unter Einhaltung der Vorgaben heraus betreuen und beraten können. Doch es ist klar: Die Kunden bevorzugen direkten Kontakt, daher sind wir seit 2019 auch in der Schweiz präsent.
Und warum haben Sie sich in Bern niedergelassen und nicht in Genf oder Zürich?
Darauf eine wirklich greifbare Antwort zu geben, ist schwierig. Grundsätzlich befinden sich aber die meisten unserer Büros ausserhalb der grossen Zentren. Frankfurt und Paris bilden hier zwei Ausnahmen.
Bescheidenheit ist also Programm?
Absolut, denn wir sind ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und unsere Kunden sind gleichzeitig unsere Eigentümer. Wir fühlen uns daher verpflichtet, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechend zu wirtschaften. Eine schlanke Kostenstruktur ist dazu zentral.
Sie blicken auf beinahe zwanzig Jahre beim Unternehmen zurück. Welches waren für Sie die Meilensteine während dieser Zeit?
Der grösste Meilenstein fand kurz vor meinem Start statt. Bis 1999 bestand FM Global aus verschiedenen Gesellschaften, die miteinander kooperiert haben. Alle mit dem Ziel, Schäden zu verhüten bzw. mit dem Ansatz: Die Mehrheit der Schäden ist vermeidbar.
Damals nutzten zwar alle Gesellschaften die gleichen Engineering-Ressourcen, gleichzeitig hatten sie aber eigene Ergebnisverantwortung. Der Zusammenschluss erfolgte mit dem Blick auf die Zukunft. Mit einer einzigen Gesellschaft konnten das entsprechende Kapital, Ertragskraft und Assets anvisiert werden.
Und was hat sich während Ihrer Zeit verändert?
Die Dynamik der Globalisierung und die entsprechenden Herausforderungen an unsere Kunden und an die Versicherungsunternehmen haben in den letzten zehn Jahren exponentiell zugenommen und gleichzeitig auch die Herausforderungen des Managements der gesamten Lieferketten.
Was sich aber über all die Jahre nicht verändert hat, ist unser Geschäftsmodell. Neben der Bescheidenheit ist Konstanz eines unserer grössten Assets. Wir stellen konstantes Kapital zur Verfügung, haben viele langjährige Mitarbeitende und pflegen konstante Kundenverbindungen. Ein grosser Teil unserer Kundenbeziehungen besteht schon seit mehr als zwanzig Jahren. Zudem besetzen wir unsere Führungspositionen typischerweise intern. So hat auch der aktuelle Präsident und CEO Malcolm C. Roberts bei uns als beratender Ingenieur begonnen.
Das heisst: Kunden können von sehr viel Erfahrung profitieren?
Ja, und diese Erfahrung geben wir nicht nur unseren Kunden weiter, denn unsere Kundenteams sind gemischt und bestehen sowohl aus jungen als auch aus erfahrenen Mitarbeitenden, die Hand in Hand arbeiten. Fachwissen und Kundenfokus sind denn auch die beiden Bereiche, bei denen wir bei Kundenbefragungen immer sehr gut abschneiden. Das zieht sich bis zum Schadenmanagement.
Apropos Schadenmanagement. Mit der Globalisierung hat sich ja nicht nur das Tempo verändert, sondern auch die Komplexität und Grösse von Schadenfällen. Wie gelingt es FM Global in diesem Umfeld, die Kundenzufriedenheit nach wie vor hochzuhalten?
Indem wir so arbeiten, wie wir immer gearbeitet haben. Die Kundenzufriedenheit erreichen wir in erster Linie durch die Umsetzung von Erkenntnissen, die sich auf wissenschaftlicher Forschung begründen. Und natürlich den daraus resultierenden risikominimierenden Massnahmen an den Standorten unserer Kunden.
In unseren Forschungszentren in den USA und seit neuestem auch in Singapur erforschen wir die Risiken, denen unsere Kunden an ihren Standorten ausgesetzt sind. Wir sehen uns nicht in erster Linie als Versicherer, sondern als Risikomanagement-Unternehmen. Die Unterstützung des Kunden mit präventiven Massnahmen ist das Hauptziel unserer Arbeit. Der Risikotransfer via Versicherungspolice ist ein Teil davon. Er wird benötigt, wenn es zum Schadenfall kommt. Mit unseren Prozessen und Anwendungen schaffen wir Risikotransparenz für den Kunden und für uns.
Was verstehen Sie unter Risikotransparenz?
Unsere Ingenieure sammeln viele Daten und füttern damit unsere Predictive Analytic Tools. Mit diesen machen sie Modellrechnungen, um danach möglichst genaue Vorhersagen zu treffen. Ziel ist es, sagen zu können, bei welchen Lokationen es eher zu einem Schaden kommt als bei anderen. Und wir möchten natürlich auch wissen, welche Art von Schäden das sein könnten.
All diese Informationen teilen wir mit unseren Kunden, immer mit dem Ziel, dass sie mit präventiven Massnahmen alles dafür tun können, damit kein Schaden eintritt.
Was, wenn der Schaden trotzdem eintritt?
Wenn trotzdem ein Grossschaden eintritt, sollte dessen Ausmass sowohl für den Kunden als auch für uns keine Überraschung sein. Denn ansonsten kann er ja auch das Risikomanagement und letztlich die Resilienz des Unternehmens nicht richtig steuern.
Sind die Kunden heute affiner für Risikoberatung?
Ich sehe, dass eine Mehrzahl der auf dem Markt aktiven Unternehmen für dieses Geschäftsmodell offen ist. Aber uns ist bewusst, dass wir mit unserem Ansatz kein Massenversicherungsunternehmen sind. Der Aufbau von Vertrauen braucht Zeit und für uns ist die Anbahnung und Gewinnung eines Neukunden ein längerer Prozess. Diese Zeit ist für beide Seiten wichtig, um sich kennenzulernen.
Was heisst das?
Als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist es unsere Verantwortung, profitabel zu wachsen und die Balance unseres Geschäfts zwischen Risikomanagement und Versicherungspolice zu erhalten. Klar haben wir Wachstumsziele, aber diese sind nicht aggressiv. Konstantes Wachstum und Kundenbindung sind die Schlüssel zum Erfolg, nicht das Verkaufen von möglichst vielen Policen.
Unsere Kunden und wir brauchen eine gewisse Deckungsgleichheit in der Philosophie, die da heisst: die Resilienz des Unternehmens stärken. Ich stelle fest, dass immer mehr Unternehmen diese Philosophie auch teilen, und das ist ein Zeichen für den Erfolg von uns.
Welche Themen beschäftigen Ihre Kunden derzeit am stärksten?
Lieferkettenschäden, die im Jahr 2021 eingetreten sind, sind durch die aktuelle veränderte Situation drastisch höher geworden. Das ist ein grosses Thema. Und natürlich ist das gesamtwirtschaftliche Umfeld auch eine grosse Herausforderung. Ausserhalb des Versicherungsbereichs beschäftigen unsere Kunden der Fachkräftemangel, die Energieversorgung, Energiekosten, aber auch das Einhalten der eigenen Liefertreue.
Ist die Globalisierung am Ende?
Nein, doch ich sehe, dass viele unserer Kunden darüber nachdenken, gewisse Prozesse wieder näher an die eigenen grösseren Standorte zu holen. Diese Diskussion hat allerdings in bestimmten Branchen bereits Ende 2018 begonnen.