Die Schweizer Vorsorge beruht auf dem Drei-Säulen-Prinzip: die erste Säule mit der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die zweite Säule mit der beruflichen Vorsorge sowie die dritte Säule mit der freiwilligen privaten Vorsorge. Die berufliche Vorsorge ist eine wichtige Ergänzung zur AHV, um die Lebenskosten nach der Pensionierung decken zu können.

Anteil der Pensionierten steigt

Während des Berufslebens sparen Arbeitnehmende mit ihren Lohnbeiträgen und den Beiträgen ihrer Arbeitgebenden in der Pensionskasse ein Altersguthaben an. Damit wird später die Pensionskassenrente bezahlt.

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Weil die Lebenserwartung und ebenso der Anteil der Pensionierten in der Bevölkerung steigt und gleichzeitig das von den Pensionskassen angelegte Kapital wegen tiefer Zinsen an den Finanzmärkten weniger Rendite erzielt, sind die Renten im sogenannten obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge nicht mehr ausreichend finanziert.

Hinzu kommt, dass Wenigverdienende später keine oder eine sehr kleine Pensionskassenrente haben. Betroffen sind überdurchschnittlich viele Frauen, weil sie häufig Teilzeit arbeiten oder in Branchen mit tiefen Löhnen.

Renten sind geschrumpft

Laut dem kürzlich veröffentlichten Pensionierungsbarometer des Vermögenszentrums VZ sind die Renten, die ein 55-Jähriger bei seiner in zehn Jahren anstehenden Pensionierung erwartet, zwischen 2002 und 2024 um ein Fünftel geschrumpft. Die Pensionskassenrenten gingen demnach um 39 Prozent zurück.

Bis zu einem bestimmten Einkommen legt das Gesetz fest, wie viel Rente pro gesparten Franken ausbezahlt werden muss. Der Mindestumwandlungssatz beträgt aktuell 6,8 Prozent. Das heisst: Pro 100'000 Franken Alterskapital werden heute 6800 Franken Rente ausbezahlt.

Die berufliche Vorsorge wurde 1985 eingeführt, mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG). Nach einer ersten BVG-Reform in den Nullerjahren sind mehrere Reformversuche gescheitert, darunter die Senkung des Umwandlungssatzes. 2020 startete das Parlament einen neuen Anlauf, über den nun die Stimmbevölkerung entscheidet.

Zweite Säule stabilisieren

Die Vorlage soll die zweite Säule finanziell stabilisieren und Menschen mit tiefen Einkommen zu mehr Rente verhelfen. Die neue Reform sieht vor, den Mindestumwandlungssatz auf 6,0 Prozent zu senken. Pro 100'000 Franken Alterskapital würden damit noch 6000 Franken ausbezahlt.

Gleichzeitig sollen Geringverdienende gemäss der BVG-Reform später eine höhere Rente erhalten: Sie und ihre Arbeitgeber sollen dafür jeden Monat höhere Sparbeiträge als heute bezahlen. Der sogenannt fixe Koordinationsabzug, der heute das zu versichernde Einkommen bestimmt, fällt weg. Stattdessen sollen künftig 80 Prozent des AHV-pflichtigen Einkommens versichert werden.

Zudem sollen neu Personen eine zweite Säule erhalten, deren Einkommen dafür heute zu tief ist. Die Eintrittsschwelle in die Pensionskasse wird von 22'050 Franken Jahreslohn auf 19'845 Franken gesenkt. Rund 70'000 Personen, darunter viele Frauen mit kleinen Pensen, sollen ihre Löhne neu in der beruflichen Vorsorge versichern.

Nicht mehr viel Zeit

Wer in den ersten 15 Jahren nach dem Inkrafttreten der Vorlage in Rente geht und nicht mehr viel Zeit für zusätzliches Sparen hat, kann einen lebenslangen Rentenzuschlag von bis zu 200 Franken im Monat erhalten. Entscheidend sind der Jahrgang und die Höhe des Alterskapitals.

Rund die Hälfte aller Versicherten dürfte den Zuschlag erhalten. Kommt die Reform 2027, sind es die Jahrgänge 1962 bis 1976. Die Zuschläge kosten über 15 Jahre insgesamt rund 11,3 Milliarden Franken. Finanziert werden sie von den Pensionskassen und mit Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Die Pensionskassenreform trifft nach Angaben des Bundes vor allem Erwerbstätige, die nach BVG-Minimum oder nur wenig mehr versichert sind. Das dürfte höchstens ein Drittel aller Versicherten sein.

Weniger zahlen, aber auch weniger Rente

Modellrechnungen gehen davon aus, dass Menschen mit unter 60'000 Franken Jahreslohn sowie Mehrfachbeschäftigte von höheren Altersguthaben profitieren. Gewisse Personen werden mit der Reform zwar weniger zahlen müssen, aber auch weniger Rente erhalten.

Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass jemand mehr einzahlen und dabei weniger Rente haben wird. Für wen die Reform wie aussehen wird, hängt von der persönlichen Situation ab - etwa der beruflichen Laufbahn und dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung.

Über das Obligatorium hinaus Versicherte sind nicht direkt betroffen. Alle Arbeitnehmenden und ihre Arbeitgebenden finanzieren aber einen Teil des Rentenzuschlags für die Übergangsgeneration. Für bereits Pensionierte ändert sich nichts.

Hauptargument der Befürwortenden

Bundesrat und Parlament empfehlen die Reform zur Annahme. Im Ja-Komitee sitzen Sozialpolitikerinnen und -politiker von SVP, FDP, Mitte-Partei, GLP und EVP. Die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse und Arbeitgeberverband setzen sich ebenfalls für die Reform ein, ebenso der Gewerbeverband, der Versicherungsverband, die Frauenorganisation Alliance F und der Verband für Seniorenfragen. Auch die Grünen Baselland haben die Ja-Parole beschlossen.

Durch die Reform erhielten insgesamt deutlich mehr Personen eine höhere als eine tiefere Rente, lautet das Hauptargument der Befürwortenden. Menschen, die wenig verdienen, würden im Alter besser abgesichert. Davon profitierten vor allem Frauen. Das Risiko für Altersarmut werde dadurch gesenkt.

Für die Befürworter ist die Reform alternativlos. Ohne Senkung des Umwandlungssatzes würden Pensionskassen, die nur Minimalleistungen anbieten, weiterhin Erträge aus dem Altersguthaben von Erwerbstätigen für Renten von Pensionierten einsetzen.

Referendum lanciert

Das Referendum gegen die Vorlage lanciert hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). SP und Grüne unterstützen dieses genauso wie der Arbeitnehmenden-Dachverband Travail Suisse. Anfang August lancierten acht Wirtschaftsverbände eine eigene Nein-Kampagne. Auch einzelne SVP-Sektionen haben die Nein-Parole beschlossen. Zudem kämpft die Rentnerinnen- und Rentnervereinigung Avivo gegen die Vorlage.

«BVG-Bschiss», «Mogelpackung», «Skandal»: Mit diesen Schlagworten stiegen die Gegnerinnen und Gegner der Reform in den Abstimmungskampf. Mit der Vorlage müsse mehr in die zweite Säule einbezahlt werden, die Rente sei für viele aber trotzdem tiefer, monieren sie. Das gelte besonders für Branchen mit tiefen Löhnen, aber auch für über Fünfzigjährige.

Die Nachteile für Frauen durch Erwerbsunterbrüche und die ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit würden zudem nicht beseitigt. Gutschriften für Erziehungs- und Betreuungsarbeit wie bei der AHV seien weiterhin nicht vorgesehen.

Abstimmungskampf gestartet

Die Befürworter der Pensionskassenreform sind mit einer volleren Kasse in den Abstimmungskampf gestartet als die Gegner. Fast dreieinhalb Millionen Franken stehen knapp zwei Millionen Franken gegenüber. Zu den grössten Geldgebern der Ja-Allianz gehören die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse (1,4 Millionen Franken) und Arbeitgeberverband (1 Million Franken) sowie der Versicherungsverband (0,66 Millionen Franken).

Auf der Seite der Gegner weisen der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und die SP mit je 0,7 Millionen Franken das grösste Budget aus. Auch die Gewerkschaft Unia und der Arbeitnehmenden-Dachverband Travail Suisse stellen bedeutende Beträge für den Abstimmungskampf zur Verfügung.

Offener Ausgang

Der Ausgang ist offen. Die ersten Abstimmungsumfragen zeigen ein unterschiedliches Bild. Gemäss der Erhebung von gfs.bern im Auftrag der SRG hätten am 4. August 49 Prozent der BVG-Reform bestimmt oder eher zugestimmt. 39 Prozent hätten bestimmt oder eher ein Nein in die Urne gelegt. 12 Prozent sagten, sie seien noch unentschlossen.

Die erste Abstimmungsumfrage von Tamedia und «20 Minuten» zeigte eine deutlich schlechtere Ausgangslage für das Pro-Lager. In der Erhebung des Instituts Leewas gaben 59 Prozent der Befragten an, sie wollten die Vorlage ablehnen, nur 33 Prozent äusserten sich zustimmend. (awp/sda/hzi/hoh)

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