Wie wird man Leiter der globalen Academy für das Unternehmensgeschäft der Zurich?
Michael Blattner: Das war eher zufällig. 2010 war ich als Underwriter Teil eines Transformationsprojektes, um unser globales Unternehmensgeschäft nach der globalen Finanzkrise neu aufzustellen. Ich stellte mir damals die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass unsere neu erarbeiteten Guidelines und Prozesse von allen Mitarbeitenden weltweit auch gelebt werden?
Bis dahin wurde diese Frage immer den Ländergesellschaften überlassen. Für unsere globalen Unternehmenskunden führte das allerdings zu einem Flickenteppich. Also wurde mir der Aufbau einer globalen Trainingseinheit übertragen – vielleicht auch, weil ich als ausgebildeter (wenn auch nicht mehr aktiver) Fussballtrainer eine Passion für das Thema «Lernen» mitbrachte.
Michael Blattner ist der Leiter der Globalen Commercial Insurance Academy, angesiedelt am Corporate Center der Zurich Insurance Group.
Warum braucht es eine Academy?
Den Namen «Academy» haben wir uns erst vor einigen Jahren gegeben, nach einem steilen Prozess des Lernens auf unserer Seite! Unterwegs haben wir verstanden, dass «Lernen» keine Einmal-Übung für irgendwelche Projekte ist, sondern ein integrierter Bestandteil eines wissensbasierten Unternehmens.
Die Anforderungen an die Mitarbeitenden verändern sich dauernd: Jobs werden vermehrt automatisiert und neue Tools müssen in die Prozesse der digitalen Welt integriert werden. Studien zeigen, dass Mitarbeitende aus zwei Gründen lernen: Sie wollen ihre Arbeit qualitativ besser und effizienter erledigen. Und sie wollen in der Firma und persönlich vorankommen. Die Rolle der «Academy» ist es, die Mitarbeitenden dabei wirkungsvoll zu unterstützen und damit die Qualität und Produktivität im Unternehmen zu steigern.
Was hat sich in den vergangenen Jahren im betrieblichen Lernen verändert?
Es wird viel von E-Learning, Gamification und Learning-Experience-Plattformen (LXP) gesprochen. Diese haben ihren Platz. Viel wichtiger scheint mir jedoch, dass das Lernen in die Arbeit integriert wird. Sonst geht es uns wie dem Autofahrer, der nach dem Weg sucht.
Früher musste ich anhalten, ins Handschuhfach greifen und auf die Karte schauen. Dann fuhr ich los, aber spätestens nach der dritten Kreuzung wusste ich schon wieder nicht mehr weiter. Da empfand ich das GPS doch als einen Fortschritt. Nur hat die Sicherheit gelitten, da ich ständig auf den Bildschirm gestarrt habe statt auf die Strasse.
Moderne Fahrzeuge besitzen nun ein sogenanntes Augmented-Reality-System, bei welchem die Zielführung direkt im Blickfeld der Fahrerin angezeigt wird, wobei weitere sicherheitsrelevante Informationen via diverse Kameras und Sensoren zur Verfügung gestellt werden.
Genauso sollte Lernen im Betrieb aussehen – also lernen während des Arbeitsprozesses, statt dass Lernende ihre Arbeit unterbrechen müssen, um woanders auf relevante Lerninhalte zurückgreifen zu können.
Führt die neue Art des Lernens immer zu optimalen Ergebnissen?
Da ist noch Raum für Optimierung. Wir müssen sicherstellen, dass die richtigen Lerninhalte zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und im richtigen Format zugänglich sind. Keine leichte Aufgabe! Oft ist es immer noch zu zeitaufwendig, das passende Wissensmodul für mein gerade anstehendes Problem zu finden. Viele Mitarbeitende sehen sich dann vor dem Dilemma, die Arbeit effizient nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen oder Zeit in die Suche nach der qualitativ besten Lösung zu investieren. In unserer hektischen Zeit können dann vorhandene Lerninhalte unbenutzt bleiben.
Was können externe Lernanbieter, zum Beispiel Hochschulen, zur Verbesserung beitragen?
Als Unternehmensakademie haben wir tendenziell eine «interne» Sicht der Dinge, das liegt in der Natur der Sache. Wir sind bei der Ausarbeitung und Erstellung unserer Programme und Lerninhalte auf unsere eigenen Fachkräfte angewiesen. Somit stossen wir oft an Grenzen – sei es aus personellen Gründen, aber auch wissenstechnisch.
Wo Hochschulen grossen Mehrwert bringen können, ist in der disziplinenübergreifenden und vernetzenden Funktion, welche sich bei grossen Unternehmen nicht immer einfach gestaltet. Gleiches gilt bei der themenbezogenen Grundlagenausbildung, welche kein Alleinstellungsmerkmal einer Versicherung darstellt.
Was bedeutet heute «Erfolg» beim Lernen? Lässt sich dies überhaupt messen?
«Der Erfolg unserer Lernenden ist unser Erfolg.» Das ist unser Credo, nach dem wir uns alle bei der täglichen Arbeit ausrichten. Wir sind heute mittlerweile in der Lage, durch die uns zur Verfügung stehenden Daten die wichtigsten Kenngrössen zu verstehen und zu messen. Wir legen dabei sehr viel Wert auf die Verknüpfung mit unseren Unternehmenszielen und Vorgaben auf verschiedenen Ebenen, nicht nur bei den Finanzkennzahlen.
Von Messpunkten wie «Wie viel des vermittelten Wissens wird in der Praxis angewandt?» oder «Wie bereichernd, inspirierend und umfassend war die Lernerfahrung?» zu den allgemein üblichen Net-Promoter-Score-(NPS-)Abfragen und anderen L&D-relevanten Messgrössen ist bei uns alles auf dem Radar.
Das Wichtigste ist und bleibt aber der konstante, aufrichtige und zeitnahe Dialog mit unserem Executive Team, sei es bei der Festlegung der Angebotsschwerpunkte oder aber der Ausgestaltung und Durchführung der insbesondere grösseren und strategischen, globalen Lernmassnahmen.
Wie wichtig ist nach Ihrer Einschätzung das Bewusstsein für die Wichtigkeit des lebenslangen Lernens in der Assekuranz?
Das Bewusstsein ist meines Erachtens hoch. Es gestaltet sich aber nicht immer ganz einfach, lernen und arbeiten zeitlich unter einen Hut zu bringen. Diese Aussage bezieht sich vornehmlich auf das organisierte und formale Lernen innerhalb von Unternehmen. In der Realität ist es so, dass wir fortlaufend und oft unbewusst neue Informationen aufnehmen, verarbeiten und abspeichern. Beim kontinuierlichen Lernen ist es wie mit der Batterie im Elektrofahrzeug: Sie muss regelmässig aufgeladen werden, sonst bleibt das Fahrzeug stehen – im sprichwörtlichen Sinne.
Wenn Sie einen Wunsch freihätten in der Umsetzung Ihrer Vision für die Academy, welcher wäre das?
Dass wir «unsichtbar» werden. Wenn das kontinuierliche Lernen als solches nicht mehr wahrgenommen wird, weil es «einfach passiert», dann denke ich, dass wir es richtig gemacht haben.