Sie sind seit mehr als einem halben Jahr im Amt. Wie lautet Ihre erste Zwischenbilanz?
Es war aus meiner Sicht ein sehr guter Start, wobei es ja nicht um mich geht, sondern um die Versicherungswirtschaft. Ich habe diese Aufgabe übernommen, um die ganz unterschiedlichen Interessen der privaten Versicherer an allen Fronten zu vertreten – und im Dialog mit den Behörden, der Politik sowie der Finma gute Rahmenbedingungen für unsere Branche zu ermöglichen. Wenn ich auf die ersten Monate schaue, dann konnten wir die Versicherungswirtschaft als einen gewichtigen Player des Finanzplatzes Schweiz positionieren - wir tragen immerhin zu 4 Prozent des Bruttosozialprodukts bei, beschäftigen rund 50’000 Mitarbeitende direkt, sind eine der produktivsten Branchen überhaupt und wachsen seit Jahren. Die Versicherer leisten also einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Wirtschaft und der Gesellschaft. Eine Versicherung beruht auf dem Solidaritätsgedanken – das passt gut in die Schweiz und da stehe ich zu 100 Prozent dahinter. Hinzu kommt: Als Verband machen wir nicht nur klassische Interessenvertretung, sondern arbeiten mit unseren 700 Gremienmitgliedern auch inhaltlich an vielen für die Schweiz wichtigen Themen mit. Da haben wir eine wichtige Brückenfunktion.
Im Juni 2023 wurde der erfahrene Versicherungsexperte Stefan Mäder zum Präsidenten des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV) gewählt.
Was hat Sie daran gereizt, als Präsident des SVV die Interessen der Versicherungswirtschaft zu vertreten?
In der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie ist es wichtig, dass wir in den Wirtschaftsverbänden Personen haben, die das Geschäft kennen, um die Interessen auch glaubwürdig zu vertreten. Da kommen mir meine Vita und mein Netzwerk in der Versicherungswirtschaft sicherlich entgegen. Die Branche ist in der Schweiz unglaublich vielfältig – von Schaden- und Lebensversicherungen, über Krankenzusatzversicherungen bis hin zu Rückversicherungen. Bei dieser Vielfalt finde ich es eine spannende Aufgabe, auch bei unterschiedlichen Ansprüchen und Meinungen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Mein Blick gilt aber auch dem Finanzplatz Schweiz insgesamt, der eminent wichtig ist. Wir als Versicherer versuchen, im Austausch mit anderen Verbänden positive Impulse zu setzen.
Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen für Versicherer in der Schweiz?
Die Rahmenbedingungen stimmen im Grossen und Ganzen, aber das ist kein statischer Zustand, sondern deren Erhaltung ein ständiger Prozess. Die letzte grosse Krise in der Versicherungswirtschaft liegt jetzt mittlerweile über 20 Jahre zurück. Seitdem wurde in Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden viel für die Widerstandsfähigkeit der Branche getan, zum Beispiel was die Anlagerichtlinien anbelangt. Deshalb hat sie Herausforderungen wie die Finanzmarktkrise oder Corona bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gut überstanden. Aber wir müssen diesen guten Rahmenbedingungen auch Sorge tragen und aufpassen, dass zum Beispiel die uns betreffende Regulierung auch adäquat ist. Zudem gibt es vermehrt Bestrebungen hin zu staatlichen Lösungen, der wir bei privatwirtschaftlichen Versicherungslösungen die Legitimation absprechen, solange Versicherungslösungen privatwirtschaftlich angeboten werden. Zum Beispiel die Eventualverpflichtung bei Erdbeben. Das wäre keine Versicherung, sondern hätte einen steuerähnlichen Charakter. Das Erdbebenrisiko kann bereits heute in den globalen Rückversicherungsmarkt diversifiziert werden.
Wir wollen aber nicht nur über die privaten Versicherer reden: Auch die Kundenoptik ist wichtig, jede Schweizerin und jeder Schweizer hat schliesslich mindestens eine Versicherung. Gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ist also auch für sie zentral.
Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themenfelder?
Da gibt es viele. Zunächst einmal geht es um die Versicherbarkeit von Toprisiken wie Pandemie, Cyber und Erdbeben. Wenn ich die Pandemie als Beispiel nehme, dann hat die Versicherungswirtschaft ihre Funktion erfüllt. Es war dabei wichtig zu diskutieren, was ist überhaupt versicherbar und was nicht. Das gleiche gilt für Cyber oder Erdbeben. Es ist vieles versicherbar, aber es gibt natürlich auch Grenzen. Wo diese Grenzen liegen, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Und natürlich gibt es weitere wichtige Themenfelder wie die Anpassung an den Klimawandel, die Weiterentwicklung des Krankenzusatzversicherungsgeschäfts, die Langlebigkeit und damit verbunden die Altersvorsorge in der Schweiz, die unsere Mitgliedsunternehmen beschäftigen – und für die wir uns als Verband einsetzen.
Die Versicherungsbranche gilt als etwas langweilig, ist aber sehr solide unterwegs. Fehlen da nicht manchmal Reibungsflächen, um sich besser Gehör zu verschaffen?
Erstens finde ich: Langweilig ist nicht immer schlecht. Wir sind zwar nicht Google oder Apple mit hippen Produkten. Aber wir begleiten die Menschen von der Geburt bis zum Lebensende. Das habe ich immer als sehr faszinierend empfunden. Versicherungen decken alle Aspekte des Lebens ab. Wenn Kunden ein bestimmtes Sicherheitsbedürfnis haben, dann finden sie meistens auch die entsprechenden Produkte, die das Risiko abdecken.
Was die Reibungsflächen anbelangt: Eine klare Positionierung muss dort stattfinden, wo wir als Verband den Eindruck gewinnen, im Vergleich mit halbstaatlichen oder staatlichen Unternehmen benachteiligt zu sein oder wo wir als Standort Schweiz ordnungspolitische Vorteile preisgeben, die die Wirtschaft und damit den Wohlstand an sich schwächen. Oder auch wenn in der Politik Themen diskutiert werden, die fernab der Faktenlage sind nicht der Realität entsprechen – da müssen wir klar Stellung beziehen.
Eine allfällige Rückkehr der Axa in den SVV würden der Vorstand und ich als Präsident natürlich sehr begrüssen.
Stefan Mäder, Präsident SVV
In der Vergangenheit gab es innerhalb des SVV auch Reibungen, was unter anderem zum Austritt der Axa führte. Setzen Sie mehr auf Ausgleich?
Man muss sach- und themenorientiert sein, das ist der Kern und das macht den SVV glaubwürdig. Als Branchenverband vertreten wir die Versicherungswirtschaft. Wir konzentrieren uns damit in erster Linie auf unsere Themen und dort ist es wichtig, dass wir entsprechendes Gehör finden. Es ist mir wichtig, dass wir als Experten wahrgenommen werden. Wir äussern uns dort, wo wir mit unserer Expertise zur Lösung des Problems beitragen können. Der SVV vertritt 70 Mitgliedsunternehmen – da gibt es auch unterschiedliche Positionen und wir sind nicht immer einstimmig. Dafür haben wir klare Prozesse definiert, damit Einzelinteressen sich nicht durchsetzen können. Als Präsident sehe ich es als meine Aufgabe, möglichst einen gemeinsamen Nenner zu finden und geeint aufzutreten. Und was die Axa anbelangt: Eine allfällige Rückkehr in den SVV würden der Vorstand und ich als Präsident natürlich sehr begrüssen. Je geeinter wir als Branche sind, desto profilierter können wir gegenüber Politik, Aufsicht und Verwaltung auftreten. Wir werden jedenfalls daran arbeiten, eine gemeinsame Grundlage zu finden.
Das Stimmvolk hat sich klar für eine 13. AHV-Rente ausgesprochen. Wie bewerten Sie das auch im Hinblick auf die BVG-Reform?
Wir akzeptieren den demokratischen Entscheid, wie ihn die Bürgerinnen und Bürger an der Urne getroffen haben. Gleichzeitig sind wir als Verband besorgt über den nicht finanzierten und alles andere als nachhaltigen Ausbau der ersten Säule, der die jüngeren Generationen und den Mittelstand belastet. Die BVG-Reform stellt eine Nachführung der zweiten Säule an die zwischenzeitlich eingetretenen ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen dar. Gleichzeitig bietet sie die Chance, die Vorsorgesituation vieler Berufstätiger im Kapitaldeckungsverfahren nachhaltig zu verbessern. Die BVG-Reform stärkt die zweite Säule gezielt für tiefe Einkommen und bringt höhere Renten für Frauen und Teilzeitarbeitende. Die breit abgestützte und ausgewogene Reform stoppt zudem den Griff in die Rentenkassen der Erwerbstätigen. Ein zukunftsfähiges und finanziell gesundes Vorsorgesystem ist für eine auf nachhaltigen Wohlstand ausgerichtete Schweiz unabdingbar. Es ist ein gemeinsames Projekt aller Generationen. Mit der Annahme der BVG-Reform kann das Volk einen wichtigen Schritt zur nachhaltigen Ausgestaltung der Altersvorsorge machen.
Mit welcher Strategie geht der SVV in die Zukunft?
Wir befinden uns gerade im Strategieprozess, der noch nicht spruchreif ist. Nur so viel: Ein wichtiges Element ist und bleibt für uns der Nachwuchs und damit verbunden die Aus- und Weiterbildung – die Versicherungswirtschaft beschäftigt über 2000 Lernende. Junge Menschen liegen mir besonders am Herzen und ich bin habe volles Vertrauen in die junge Generation, was die Zukunft betrifft. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung. Es gibt sehr viele Zukunftsthemen und wir werden da einen entsprechenden Fokus setzen. Der nächste Strategiezyklus startet übrigens in unserem Jubiläumsjahr 2025.
Junge Menschen liegen mir besonders am Herzen und ich bin habe volles Vertrauen in die junge Generation, was die Zukunft betrifft.
Sie lieben das Element Wasser. Haben Sie keine Befürchtung, als Präsident des SVV «baden» zu gehen?
Nein, da habe ich keine Befürchtung (lacht). Ich habe die Aufgabe, den Verband zu führen. Dabei kann ich im Vorstand auf das geballte Wissen von CEOs und Verwaltungsratspräsidenten grosser Versicherungsgesellschaften zählen, die mit im Boot sitzen. Da geht es darum, dieses Wissen zu nutzen und gemeinsam vorwärts zu kommen. Klar bin ich das Gesicht nach aussen, was mal gut oder weniger gut gelingen wird. Aber ich habe früh gelernt, im kalten Wasser zu schwimmen.