Der durchschnittliche Deckungsgrad der Pensionskassen hat im letzten Jahr stark gelitten und liegt aktuell bei 104 Prozent. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Nein. Erstens liegt der Deckungsgrad für die meisten Kassen immer noch über 100 Prozent, das heisst, es waren ausreichend Wertschwankungsreserven vorhanden, um das Jahr 2022 verkraften zu können. Zweitens ist es für die Beurteilung der finanziellen Lage der Pensionskassen wichtig, wie einfach sie eine ausreichende Rendite erzielen können, um ihre Leistungsversprechen erwirtschaften zu können. Im Negativzinsumfeld konnten viele Pensionskassen trotz Umwandlungssatzsenkungen ihre Rentenversprechen nicht mehr mit einer auf die Risikofähigkeit abgestimmten Anlagestrategie finanzieren. Dies ist im aktuellen Umfeld nun wieder viel besser möglich, da Obligationen wieder eine positive Rendite abwerfen und damit die erwartete Rendite der Anlagestrategien gestiegen ist. Die Verluste in den Obligationenportfolios im Jahr 2022 sind daher lediglich temporärer Natur und werden im Zeitablauf durch die höheren Zinsen wieder wettgemacht. Hätten die Pensionskassen den Zinsanstieg, analog zu den Obligationen, auch in der Bewertung ihrer Verpflichtungen berücksichtigt, wäre der ausgewiesene Deckungsgrad deutlich weniger zurückgegangen.

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«Die Zukunft sieht für die Pensionskassen viel besser aus.»

Das heisst indirekt, die PK waren im Negativzinsumfeld gezwungen, höhere Anlagerisiken einzugehen, um ihre Rentenversprechen erfüllen zu können?

Das ist richtig. Wenn wir ein Szenario erlebt hätten, in dem die PK einen vergleichbaren Anlageverlust wie im Jahr 2022 erlitten hätten, ohne dass die Zinsen parallel angestiegen wären, sähe die Situation jetzt deutlich angespannter aus. Die Lage an den Anlagemärkten war 2022 zwar sehr schlecht, wurde aber begleitet von einem deutlichen Zinsanstieg, der aus dem Negativzinsumfeld herausgeführt hat. Nun sind wir in einem Umfeld mit höheren Zinsen und höheren erwarteten Renditen, und die Zukunft sieht für die Pensionskassen viel besser aus.

Der Experte

Name: Oliver Dichter
Funktion: Partner, Bereichsleiter  Asset Liability Management, PPC Metrics, Zürich
Zivilstand: verheiratet
Wohnort: Bern
Ausbildung: Dr. rer. oec. Uni Bern


Das Unternehmen PPC Metrics ist ein Schweizer Beratungsunternehmen im Bereich Investment Consulting. Es entstand 1991 und ist im Besitz der Partnerinnen und Partner. 
Zu den Kunden zählen institutionelle Investoren wie PK, staatliche und private Vorsorgeeinrichtungen, Stiftungen und Nonprofit-Organisationen, Versicherungsgesellschaften, Unternehmen und Family Offices sowie vermögende Privatpersonen und deren Fachberater.

Warum?

Jetzt können Pensionskassen ihre Rentenversprechen sehr viel einfacher mit Anleihen bedienen, was sie in der Vergangenheit nicht konnten. Das bedeutet, dass nun auch mit weniger Anlagerisiko bereits eine gute Rendite erzielt werden kann – oder andersherum: dass sich mit dem gleichen Anlagerisiko wie noch vor anderthalb Jahren nun eine umso bessere erwartete Rendite erzielen lässt.

Dann hat sich die finanzielle Lage der Pensionskassen im Jahr 2022 im Durchschnitt gar nicht wirklich verschlechtert?

Nicht wirklich, denn alles, was auf der Anlageseite der Bilanz einer Pensionskasse verloren ging, ging ja quasi ebenso aufseiten der Verpflichtungen verloren. Insofern haben sich die Bilanzen, wenn man sie ökonomisch oder marktnah bewertet, nicht stark verschlechtert.

Inwieweit kommt ein Umfeld steigender Zinsen, wie wir es jetzt sehen, den schwächelnden PK zugute?

Das höhere Zinsumfeld führt dazu, dass Kassen, die in Unterdeckung geraten sind, die also keine Wertschwankungsreserven mehr haben und deren Deckungsgrad unter 100 Prozent liegt, nun aus der Unterdeckung aufsteigen können, indem sie eine Minderverzinsung vornehmen. Wenn eine Kasse zu dieser harten Massnahme greift und in einem positiven Zinsumfeld eine Nullverzinsung ansetzt, dann erzielt sie dadurch selbst ohne jedes Anlagerisiko eine Differenz zur erwarteten Rendite und kann mit einer Sanierungswirkung rechnen. Wohingegen in einem Negativzinsumfeld eine Nullverzinsung nur eine sehr begrenzte Wirkung hat, da bei Negativzinsen selbst eine Nullrendite nur mit dem Eingehen von Anlagerisiken erwirtschaftet werden kann. Deshalb war die Sanierungsfähigkeit der Kassen in den letzten Jahren stark eingeschränkt und fast nur noch über Sanierungsbeiträge gegeben, was eine noch stärkere Massnahme darstellt als eine Nullverzinsung.

Im letzten Jahr sind sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte gefallen, was sehr aussergewöhnlich ist. Wie hat das die Lage der Pensionskassen betroffen?

In der Schweiz hatten wir die Situation, dass die Zinssensitivität auf der Anlageseite deutlich tiefer war als auf der Verpflichtungsseite. Das hat dazu geführt, dass die Pensionskassen die Verluste auf den Aktienmärkten noch absorbieren konnten, weil die Verpflichtungen, wenn man sie marktnah betrachtet, so stark an Wert eingebüsst haben, dass das im Schnitt ungefähr dem entsprochen hat, was auf den gesamten Anlagen verloren wurde. Es hat also gereicht, um die Aktienverluste zu absorbieren. Aber ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang: Dies gilt nur, wenn die Verpflichtungen auch neu bewertet werden; entsprechend dem neuen Zinsniveau. In der üblichen Rechnungslegung war es für die meisten Pensionskassen so, dass der Deckungsgrad stark zurückgekommen ist.

Fordert die seit der Zinswende wiedergekehrte Teuerung einen Handlungsbedarf seitens der Pensionskassen?

In der Schweiz haben wir den Vorteil, dass die Pensionskassen einen Teuerungsausgleich nur dann leisten müssen, wenn es die finanzielle Lage der Kasse erlaubt. Die Teuerung ist daher nur ein bedingtes und begrenztes Risiko für die Pensionskassen. Viel schlimmer sind deflationäre Szenarien mit negativen Zinsen. Der Grund dafür ist, dass die einmal gesprochenen, nominell fixierten Renten im Nachhinein nicht mehr reduziert werden können.

Aber für die Versicherten ist es doch ein wichtiges Thema, wenn sie nun reale Einbussen hinnehmen müssen.

Viele Pensionskassen machen sich daher auch Gedanken über einen Inflationsausgleich, gerade wenn die Inflationsraten über einen längeren Zeitraum höher bleiben sollten. Aber in der Schweiz waren die Teuerungsraten im Vergleich zur Euro-Zone und den USA bisher sehr verhalten. Und man darf auch nicht vergessen, dass bei der Festlegung des Umwandlungssatzes indirekt eine gewisse Teuerungsannahme eingearbeitet wurde. Bei der Einführung der beruflichen Vorsorge in den 1980er Jahren ging man von einem Umwandlungssatz von 7,2 Prozent und Teuerungsraten von 2 bis 3 Prozent aus. In den vergangenen zwanzig Jahren hatten wir viel tiefere Werte, wovon viele Rentnerinnen und Rentner profitiert haben. Streng genommen müsste daher auch in Zukunft nur die Teuerung entschädigt werden, die über ein Niveau von 1 bis 2 Prozent hinausgeht.

Wie beurteilen Sie die BVG-Reform, die zur Abstimmung steht?

Die Reform geht in die richtige Richtung, weil sie die Situation für Teilzeiterwerbende verbessert (siehe Seite 26) und den vergleichsweise hohen Umwandlungssatz im Obligatorium den Marktverhältnissen angleicht. Jedoch sind die Übergangsregelungen sehr grosszügig und komplex in der Umsetzung. Die Babyboomer kommen mehr oder weniger schadlos durch die Reform. Das ist aus direktdemokratischen Gründen für die Generierung einer politischen Mehrheit nachvollziehbar, aber führt dazu, dass das primäre Ziel, die Umverteilung zwischen den Generationen zu bremsen, nur sehr begrenzt erreicht wird.

«Wir raten unseren Kunden, die Situation laufend zu prüfen.»

Welche Folgen hat der Zusammenbruch der CS für die Pensionskasse?

Die CS-Aktien- und Anleiheperformance ist kein Problem für Pensionskassen, da die Portfolios so breit diversifiziert sind, dass sich das im Bereich der zweiten Nachkommastelle auswirkt. Aber Pensionskassen, die die CS als Depotbank hatten, hatten typischerweise auch ihre flüssigen Mittel dort. Diese Kassen haben reagiert und entsprechend umgeschichtet und nur noch das Minimum bei der Credit Suisse belassen. Genauso, wie das andere Anlegerinnen und Anleger auch gemacht haben, was dann dazu geführt hat, dass die CS alleine nicht mehr weiterkonnte. Mit der Übernahme durch die UBS hat sich das alles weitgehend beruhigt. Die Integration der CS in die UBS birgt aber operationelle Risiken, zum Beispiel stellt sich die Frage, welche Teams und Systeme fortbestehen, welche integriert werden und welche aufgelöst werden. Wenn die CS Schweiz nicht wieder verselbstständigt wird, verschwindet dauerhaft ein wichtiger Anbieter, und das bedeutet, dass es weniger Konkurrenz gäbe – und Konkurrenz belebt halt das Geschäft. Vor allem im Bereich Global Custody und gemischte Mandate hätte die UBS bei einem vollständigen Verschwinden der CS eine sehr dominante Stellung.

Dann werden vermutlich auch die Preise für die Vermögensverwaltung steigen …

Das ist sicher eine Befürchtung. Ob das dann so eintritt, ist schwer zu sagen. Aber wir raten unseren Kundinnen und Kunden, dass sie die Situation laufend überwachen und prüfen, ob die Qualität nach wie vor gewährleistet ist und ob die Teams immer noch in gleicher Zusammensetzung fortbestehen. Es besteht ein gewisses Risiko, dass es zu grösseren Fluktuationen kommen wird, da die UBS natürlich versuchen wird, zu konsolidieren. Es müssen ja nicht zwangsläufig immer die CS-Teams sein, die aufgelöst werden. Es kann ebenso gut sein, dass in einigen Bereichen die CS-Lösungen für die neue Gesamtbank bestehen bleiben.