Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie vor 30 Jahren jeweils gemacht haben? 

Wittwer: Gute Frage. Da war ich an Doktorandenseminaren an der HSG. Wenn ich so zurückblicke, frage ich mich natürlich: Was habe ich schlussendlich gelernt, was war sinnvoll für das Leben? Die Zeit an der HSG war natürlich prägend - aber was ich für die Prüfungen auswendig gelernt habe, war nicht das, was einen im Leben weiterbringt. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Markstein: Ich habe zu der Zeit in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Und wenn ich zurückblicke: Hätte ich mir damals vorstellen können, in der Versicherungswirtschaft zu arbeiten? Damals hatte ich eher andere Ideen und Pläne.

Über die Gesprächspartner
  • Clemens Markstein ist seit Juli 2023 CEO der Baloise Schweiz. Er stiess 2009 als Leiter Produktmanagement Unternehmenskunden zur Geschäftsleitung des Konzernbereichs Schweiz. Ab 2017 war er Leiter Operations & IT.
  • Jürg Wittwer ist seit 2016 CEO vom Touring Club Suisse (TCS), dem grössten Mobilitätsclub der Schweiz mit rund 1,6 Millionen Mitgliedern und 1'900 Mitarbeitenden. Zuvor war er unter anderem CEO der Mondial Assistance Schweiz sowie Leiter Distribution und Mitglied der Geschäftsleitung der Allianz Suisse.

Das führt mich direkt zu der Frage: Hätte Ihr «junges Ich» erwartet, dass Sie heute da sind, wo Sie sind?

Markstein: Ich bin eigentlich über Umwege in die Assekuranz gekommen und startete meine Berufskarriere in der Unternehmensberatung. Da konnte ich viele und breite Erfahrungen sammeln. Über persönliche Beziehungen hat sich dann der Weg in die Versicherungswirtschaft aufgetan.

Was mich seitdem fasziniert: Es geht in der Versicherung vor allem um Menschen. Und es ist ein breites, spannendes Arbeitsfeld, das schon lange existiert, sich aber immer wieder verändert. Es bietet vielfältige Möglichkeiten, sehr nah am Kunden zu sein, aber auch an strategischen Themen zu arbeiten. Das hat mir damals schon Spass gemacht - und das macht mir auch heute noch Spass.

Es geht in der Versicherung vor allem um Menschen.

Clemens Markstein, Baloise

Wittwer: Bei mir war es so, dass ich immer das Reisen liebte. In die Assekuranz bin ich nur gekommen, weil ich für eine Reiseversicherung arbeiten konnte. Damals hatte man mir versprochen, ich könnte dann zu den Filialen reisen. Naja, und wenn man erst mal in der Branche drin ist, dann bleibt man drin. Denn mit der Zeit entdeckt man das Faszinierende an der Versicherung. Sie ist sowohl mathematisch wie auch menschlich komplex.

Ein Gedanke, der leider oft vergessen geht: Die Versicherung erfüllt eine sehr wichtige soziale Funktion, besonders im Schadenfall. All diese Tausenden von Fällen, in denen die Versicherung einem Menschen geholfen hat, sein Leben weiterzuführen, obwohl etwas Schlimmes passiert ist. Es ist so wichtig, dass man auch diese Seite der Versicherung wahrnimmt.

Um Vertrauen geht es ja auch in einer langjährigen Partnerschaft. Wie kam es vor 30 Jahren zu der Kooperation zwischen dem TCS und der Baloise, die damals noch Basler Versicherungen hiess? 

Markstein: Der Schweizer Markt war damals stark reguliert, auf den 1.1.1996 stand dann die Liberalisierung an. In dieser Zeit entstanden Gespräche zwischen dem TCS und Baloise. Wie diese genau entstanden sind, weiss ich nicht, aber es war wahrscheinlich naheliegend: Grosse Autoversicherung, grösster Mobilitätsclub - das passt.

Beide Unternehmen sind seit über 100 Jahren in der Schweiz tätig, was ihren kulturellen Fit und den gemeinsamen Fokus auf die Bedürfnisse der Bevölkerung unterstreicht. Das erste Produkt kam erst zwei Jahre später auf den Markt, als dann die Liberalisierung vollzogen wurde. Das Produkt war aus damaliger Sicht innovativ und hat den Markt nachhaltig verändert, zum Beispiel mit jährlichen Kündigungsmöglichkeiten. Haben Deine Geschichtsforscher mehr herausgefunden, Jürg? 

Das Produkt war aus damaliger Sicht innovativ und hat den Markt nachhaltig verändert.

Clemens Markstein, Baloise

Wittwer: Die Veränderungen der Versicherungswirtschaft haben auch dazu geführt, dass sich Kundinnen und Kunden eigentlich erstmals darüber Gedanken machen mussten, welche Deckungsbausteine sie überhaupt benötigen. Vorher war die Autoversicherung ein Einheitsprodukt, auch die Preise lagen sehr nah beieinander. Plötzlich hatte man eine Wahl - mehr Deckung, weniger Deckung, mehr Risiko, weniger Risiko?

Das waren auch für den TCS wichtige Fragen. Denn unsere Empfehlungen für unsere Mitglieder basieren auf dem Vertrauen, das Sie vorhin angesprochen haben. Um die Mitglieder bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, brauchte es einen vertrauenswürdigen Partner an unserer Seite. 

30 Jahre sind eine lange Zeit. Gab es denn nie Ermüdungserscheinungen?

Markstein: Wenn man lange Partnerschaften erfolgreich gestalten will, ist es wichtig, wie man miteinander umgeht, wie man aufeinander zugeht, wie man zuhört, wie man auch Verständnis schafft für das, was man braucht - und wie man gemeinsam versucht, nach vorne zu gestalten. Dafür braucht es kontinuierliche Anpassungen und eine regelmässige Neujustierung der Rahmenbedingungen.

Am Ende steht und fällt eine Partnerschaft natürlich mit dem gemeinsamen Erfolg. Wenn man sich anschaut, dass wir heute einen Kundenstamm von rund 400’000 Kunden in verschiedenen Bereichen aufgebaut haben, ist das ein schöner Erfolg.

Wittwer: Ich glaube, bei Partnerschaften zwischen Unternehmen oder Organisationen ist es nicht viel anders als bei Partnerschaften zwischen Menschen. Man braucht eine langfristige Perspektive und sollte nicht gleich bei den ersten Krisensymptomen abspringen. Das haben die Baloise und der TCS in den letzten 30 Jahren sehr gut geschafft. Es gab natürlich auch mal kritische Momente. Aber dann ist es so, wie Clemens es sagte - dann sprechen wir miteinander und gehen anständig miteinander um. 

Man braucht eine langfristige Perspektive und sollte nicht gleich bei den ersten Krisensymptomen abspringen.

Jürg Wittwer, TCS

Welche Herausforderungen gab oder gibt es denn? 

Wittwer: Einfach Fragestellungen, die uns immer beschäftigen: Wie viel Freiheit sollte jeder haben? Wie eng soll die Zusammenarbeit sein? Machen wir gemeinsame Verkaufspunkte oder nicht? Wie binden wir die Agenten ein? Verstehen die Agenten das Konstrukt oder sehen sie die Partnerschaft als Gefahr? Das sind jetzt einfach diese Punkte, die ich in meiner Zeit erlebt habe. 

Markstein: Ja, das sind die wichtigsten Punkte. Jeder Partner hat natürlich seine eigene Identität. Der TCS von der Herkunft als Mobilitätsclub her, wir als Versicherungsunternehmen ebenfalls. Es ist immer herausfordernd, die jeweiligen Ansprüche zusammenzubringen und daraus etwas entstehen zu lassen. Da muss man einfach einen gemeinsamen Weg definieren, dafür braucht es Flexibilität und gegenseitiges Verständnis. Ohne langfristige Perspektive kann eine solche Partnerschaft nicht funktionieren, denn es ist ja kein kurzfristiges Geschäftsmodell.

Es gibt keinen Anlass, irgendetwas zu ändern.

Jürg Wittwer, TCS

Gab es nie Avancen von Mitbewerbern, diese Partnerschaft zu übernehmen? 

Wittwer: Keine Chance. Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen, aber ich kann heute sagen, dass es keinen Anlass gibt, irgendetwas zu ändern. Wenn man wie wir 30 Jahre zusammen ist und es funktioniert, gibt es a priori keinen Grund, daran etwas zu ändern. Vor allem nicht, wenn es um kurzfristige Optimierungen geht.

Sicher gab es in der langen Zeit auch Momente, in denen der TCS sich vielleicht mal sagte, da hätten wir an der einen oder anderen Stelle vielleicht einen besseren Deal haben können - das gilt natürlich für die Baloise gleichermassen. Aber kurzfristige Optimierungen - das ist nicht unser Gedankenmodell. Deshalb haben wir auch einen unbefristeten Vertrag unterschrieben, was unsere gegenseitige Wertschätzung unterstreicht.  

Der TCS ist als Verein nicht gewinnorientiert, aber trotzdem in vielen kommerziellen Geschäftsfeldern unterwegs - was natürlich auch Kritik hervorruft. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Wittwer: Wissen Sie, auch Pannenhilfe ist ein kommerzielles Produkt. Zudem glaube ich nicht, dass die Kategorisierung in kommerziell und nichtkommerziell sinnvoll ist. Die Frage ist doch: Helfen wir unseren Mitgliedern? Und tun wir das im Interesse der Mitglieder? Die sind ja schlussendlich unsere Eigentümer. Im Vordergrund steht für mich, dass wir für unsere Mitglieder und in ihrem Interesse innovative Produkte anbieten, die einen Mehrwert für sie haben. Wenn das gegeben ist, haben wir unseren Zweck erfüllt. Dementsprechend sollten wir auch Gewinn machen, der ja wieder an die Mitglieder zurückfliesst.  

Baloise vollzieht einen Strategiewechsel und zieht sich aus ihren Ökosystemen - zu denen auch Mobilität gehört - zurück, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Inwieweit ist die TCS-Partnerschaft davon betroffen?

Markstein: Die Partnerschaft ist davon in keinster Weise betroffen. Die Produkte und Dienstleistungen, welche der TCS gemeinsam mit uns anbietet - wie zum Beispiel Autoversicherungen oder Assistance-Leistungen -, sind ja klassisches Kerngeschäft. Von daher hat unser Entscheid, keine Neuinvestitionen in den Ökosystemansatz mehr zu tätigen, nichts mit dem TCS zu tun.

Blicken wir noch kurz in die Zukunft: Gibt es konkrete Pläne? 

Markstein: Wir sind derzeit daran, unser gegenseitiges Angebot zu überprüfen. Und natürlich wollen wir auch neue Themen aufgreifen, über die wir aber noch nicht konkret sprechen können. Grob skizziert umfassen unsere Pläne eine stärkere Digitalisierung und eine eventuelle Erweiterung des Produktangebots. Wir sind jedenfalls im ständigen Austausch und Dialog.

HZ Insurance-Newsletter DAILY
Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Insurance, und ihr Versicherungsexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die nationale und internationale Versicherungswelt bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt kostenlos zum Newsupdate für Insurance-Professionals anmelden.
HZ Insurance-Newsletter DAILY

Zum Schluss die Frage: Welche Verbesserungswünsche hätten Sie an Ihren jeweiligen Partner?

Markstein (überlegt lange): Das ist jetzt wirklich eine schwierige Frage. Was mir in den Sinn kommt: Ich hätte den Wunsch, dass wir gemeinsam den Service-Gedanken noch weiter vorantreiben und Synergien heben. Vor allem beim 24/7-Kundenservice, wo wir gerade an Wochenenden auf die Infrastruktur des TCS zurückgreifen. Der TCS hat einfach eine sehr starke Assistance-Optik und weniger die Versicherungssichtweise im Blut. Hier gibt es noch Potenzial, wie diese Dienstleistung stärker auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnitten werden kann. 

Wittwer: Das nehme ich gerne auf, Clemens. Wie erwähnt, funktioniert unsere Zusammenarbeit wirklich gut. Unsere beiden Organisationen sind filigran in der ganzen Schweiz präsent, und wenn ich einen Wunsch anbringen könnte, dann, dass der gute Spirit auf den Chefetagen noch stärker auf allen Stufen unserer Organisationen mitgetragen wird.