Für die europäische Rückversicherungsbranche ist der Jahreswechsel ein zwiespältiges Erlebnis: Wenn in Vor-Corona-Zeiten draussen die Party stieg, wusste man bereits in Umrissen, wie gut der nächste Bonus wird. Denn der 1. Januar ist für die Erneuerung von Verträgen zwischen Erst- und Rückversicherungsgesellschaften ein wichtiger Termin.
In den letzten Jahren bildeten sich oft eher tiefere Preise und höhere Volumen. Die Gründe für die abbröckelnden Preise:
- zu viel renditesuchendes Kapital, das über Insurance Linked Securites (ILS) und Cat Bonds in den Markt floss
- die Niedrigzinsen
- eine eher unterdurchschnittliche Schadenentwicklung in Europa sowie
- eine höhere Bereitschaft von Erstversicherungen, Schäden bis zu einer höheren Grenze selbst zu tragen.
Erste Vehikel machen dicht
Nach und nach haben sich diese Faktoren abgeschwächt: 2020 war gemäss Swiss Re mit einem versicherten Gesamtschaden von 83 Milliarden Dollar das fünftteuerste Jahr für die Branche überhaupt. Allein die Stürme in Australien von Ende Oktober hatten gemäss dem Risikoanalyseunternehmen Perils, einer Tochter des Brokers Marsh & McLennan, bei einigen ILS-Investoren und Rückversicherungen die Rechnung durchkreuzt. «Vergangenes Jahr sahen wir generell signifikante Prämienerhöhungen bei den Rückversicherungsverträgen sowie einen starken Renditeanstieg bei den Cat Bonds», sagt Urs Ramseier, CEO von dem auf ILS spezialisierten Zürcher Asset-Management-Unternehmen Twelve Capital.
Institutionelle Investoren zögern
Nach einigen teuren Schadenfällen in den Vorjahren zögern einige institutionelle Investoren, Geld in europäische ILS zu stecken, selbst wenn einem optisch attraktiven Coupon zwischen 6 und 8 Prozent ein beträchtliches Risiko gegenübersteht. Und die zwei auf den britischen Kanalinseln beheimateten Rückversicherungen Kelvin Re und Humboldt Re, die von Credit Suisse Asset Management betreut werden, kündigten im Dezember 2020 die Einstellung ihres Underwriting für Neugeschäfte an. Beide hatten Volumen von rund 1 Milliarde Dollar verwaltet. «Unserer Ansicht nach zeigt das den Druck, dem sich die Industrie nach Jahren mit hohen Belastungen infolge von Katastrophen und jetzt der Pandemie gegenübersieht», kommentieren die Analysten von Jefferies, einer US-Investmentbank. «Aber den Anbietern, die über ausreichend Kapital verfügen bzw. die Kapital aufgenommen haben, helfen solche Exits, die Preise anzuheben.» Das sind Rückversicherungen wie Hannover Rück, einige Bermuda-Rückversicherungen oder Lloyd’s.
In Europa dominieren die Rückversicherungen
Gemäss den Analysten von Keefe Bruyette & Woods, einem US-Broker, gab es jetzt bei der Erneuerungsrunde vor allem im Grossfirmenkundengeschäft und in einigen Specialty-Linien höhere Preise. Treiber der Entwicklung sind höhere Schadenbelastungen, die auf die Firmenkunden überwälzt werden, und die allgemeine Kosteninflation. Generell zeigt man sich unter Analysten zuversichtlich, dass die Versicherungen den Grossteil der Business-Interruption-Gerichtsfälle, bei denen Versicherungen aufgrund von Pandemie-Ausschlussklauseln und/oder Pandemie-Geschehen die Zahlungen bei vielen Versicherten verweigert bzw. stark gekürzt hatten, gewinnen werden.
«Vergangenes Jahr sahen wir generell signifikante Prämienerhöhungen bei den Rückversicherungsverträgen sowie einen starken Renditeanstieg bei den Cat Bonds»
Urs Ramseier, CEO Twelve Capital
Die Ausnahme sind hier die Personen-Linien wie Autohaftpflicht. Und Kontinentaleuropa, wo der Markt von den vier grossen Rückversicherungen Swiss Re, Munich Re, Hannover Rück und Scor dominiert wird, gilt generell seit einigen Jahren für ILS-Investoren aufgrund der ausgebliebenen Grossschäden als wenig attraktiver Markt. Laut Analysten haben sich etliche Investoren deshalb vom Markt zurückgezogen und ihre Schwerpunkte auf den US-Markt verlagert.
In den USA schlagen fast alle auf
Dort brummt der Markt. «Für 2021 erwarten wir sehr attraktive risikoadjustierte Renditen», sagt Ramseier. «Besonders gefragt sein dürften Deckungen auf Risiken wie US-Hurricanes und kalifornische Erdbeben. Typische Coupons werden zwischen 6 und 8 Prozent zu liegen kommen.»
Die Analysten von Keefe Bruyette konstatierten Preiserhöhungen zwischen hohen einstelligen Werten und bis zu 15 Prozent, je nach Ausgestaltung und Form der Verträge. Als besonders starker Preistreiber erwies sich ein als «Derecho» bezeichneter langlebiger und über eine breite Front voranziehender Wirbelsturm, der im August 2020 im Mittleren Westen der USA gewütet hatte. Ein halbes Dutzend US-Bundesstaaten hatte Verwüstungen gemeldet. Hier schlagen die ausreichend kapitalisierten grossen Gesellschaften durchs Band auf. Auch die weniger üppig mit Kapital ausgestatteten Gesellschaften mit Schwerpunkt Florida (und den dort bestehenden Hurrikan-Risiken) melden deutlich höhere Preise, wobei diese bereits bei der Erneuerungsrunde vom 1. Juli 2020 deutlich aufgeschlagen hatten.
Grosse Preiserhöhungen bei Retrozessionen
Die grössten Preiserhöhungen sind laut den Analysten aber bei Retrozessionen, den von Rückversicherungen an weitere Rückversicherungen weitergegebenen Risikoportfolios, festzustellen. Hier überlagern sich höhere Nachfrage nach Rückversicherungsdeckungen und gleichzeitig ein tieferes Angebot, weil Rückversicherungen und Investoren ihre Produktstrukturen überarbeitet haben. Denn auch die Investoren ziehen es vor, wenn die Risiken weniger unerwartet eintreffen bzw. wenn die Verlustszenarien der sogenannten Retro-Tower berechenbarer sind. Wer hier Rückversicherungsdeckung wollte, musste deshalb gleich einen Aufschlag zwischen 15 und 20 und in Einzelfällen bis 30 Prozent einkalkulieren.