Thomas Boyer kommt gleich auf den Punkt: «Ich trenne Privates von Geschäftlichem.» Das macht er heute konsequent, war in der Vergangenheit aber anders. Jetzt, da seine Kinder gross sind, habe er die Freiheit, sich die Woche über vollständig auf die Arbeit zu konzentrieren. «Deshalb wohne ich unter der Woche auch nicht zuhause in Genf, sondern in meiner Wohnung in Montreux.» Ein ganz grosser Vorteil zu früher, als die Kinder noch klein waren. «Da wollte ich am Abend Zeit mit ihnen verbringen.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 
Porträtreihe Swiss Insurance CEOs

Neugierig, wer die Versicherungswelt lenkt? Einmal pro Monat portraitieren wir für Sie eine oder einen CEO aus der Versicherungsbranche. Die Texte finden Sie hier

Was der CEO der Groupe Mutuel über die Woche nicht mit seiner Familie tun kann, holt er am Wochenende nach. «Dazu zählt auch Zeit mit Freunden – ich koche sehr gerne», sagt der Westschweizer. «Ich bin ein Geniesser, kein Sportler.» Ein ungewohntes Statement für die sonst so dynamischen und gesundheitsbewussten CEOs. Und doch: «Natürlich gehe ich auch in die Berge Ski fahren und spaziere auch gern.» Sein Motto dabei: «Ich halte mich fit, indem ich geniesse.» Das gehöre zur Work-Life-Balance. Selbstverständlich achte er dabei auf eine ausgewogene Ernährung. 

«Eine Stiftung und die Groupe Mutuel gleichzeitig zu führen und zwischen Genf und Montreux zu pendeln, war dann doch etwas viel.»

Thomas Boyer, CEO Groupe Mutuel
Thomas Boyer

Thomas Boyer ist seit bald einem Vierteljahrhundert für die Versicherungsindustrie tätig, mehrheitlich für die Versicherungsgruppe aus Martigny.

Quelle: ZVG

Thomas Boyer ist ein musischer Mensch. Bevor er CEO der Versicherungsgesellschaft wurde, war er zehn Jahre lang Präsident der Fondation d’Art Dramatique, die in Genf zwei Theater betreibt. Beides zusammen ging dann doch nicht. «Eine Stiftung und die Groupe Mutuel gleichzeitig zu führen und zwischen Genf und Martigny zu pendeln, war dann doch etwas viel.» Deshalb entschied sich Boyer, nach der Vollendung des 100-Millionen-Neubaus des Theaters La Nouvelle Comedie die Leitung in neue Hände zu geben. 

Dabei spielt Boyer weder ein Instrument noch Theater, «aber ich geniesse beides als als  Zuhörer und Zuschauer.» Seine Leidenschaft gilt auch der Literatur, Kunst und Musik. Wobei ihm Jazz sowie auch Rap gleichermassen gefällt – «solange es gut ist und Spass macht». Gegenwartskunst, etwa Videoinstallationen, sei hingegen «nicht so sein Ding, da sie sehr intellektuell sind.» Hingegen schlägt sein Herz für Gemälde, «diese sind für mich sehr emotional.» 

Erstmals stiess Thomas Boyer 2006 als Vertriebschef zur Groupe Mutuel. Doch bereits schon nach zwei Jahren verliess er die Gruppe wieder. «Meine Familie war in Genf, ich in Martigny.» Das funktionierte damals mit den noch kleinen Kindern nicht. 2014 kehrte er wieder zurück, als der Verwaltungsrat neu bestellt und mit ihm auch eine neue Governance eingeführt wurde. «2019 wurde ich angefragt, ob ich die Führung bei Groupe Mutuel einnehmen möchte.»

Boyer ist seit bald einem Vierteljahrhundert für die Versicherungsindustrie tätig – für die Versicherungsgruppe aus Martigny aber auch mit Einsätzen bei der Mobiliar und Swiss-Life-Tochter La Suisse. Unter seiner Führung – erst als Vertriebschef, später als Vorsitzender der Geschäftsleitung – ist die Groupe Mutuel schnell gewachsen. «Ich glaube, es ist von Vorteil, wenn man den Vertrieb kennt.» Der echte Wert eines Unternehmens sei der Zugang zu den Kundinnen und Kunden. «Dieser erfolgt auch über den Vertrieb.»

«Das kann doch nicht gut kommen und wird so auch nie funktionieren.»

Thomas Boyer, CEO Groupe Mutuel
Thomas Boyer

Thomas Boyer setzt «aus Überzeugung» auf ein dichtes Agenturnetz, «weil es unsere Kunden so wollen».

Quelle: ZVG

Dabei scheint Thomas Boyer nicht unnötig getrieben zu sein von Megatrends wie der Digitalisierung und der damit einhergehenden künstlichen Intelligenz. «Kurzfristig sehe ich keine Änderungen in der Vertriebsorganisation.» Bis vor seinem Antritt als CEO wurde sehr eng mit Maklerinnen und Maklern gearbeitet. Doch wenn man sich, wie Boyer sagt, als Unternehmen breiter aufstellen möchte, dann müsse man noch näher bei der Kundschaft sein. Das führte in der Folge zu einem Paradigmenwechsel – «weg vom externen, hin zum internen Vertrieb». Heute generiert die Groupe Mutuel drei Viertel ihrer Neukunden über die eigenen Kanäle. «Vorher war es genau umgekehrt.» 

Boyer setzt deshalb «aus Überzeugung» auf ein dichtes Agenturnetz, «weil es unsere Kunden so wollen.» Denn trotz Digitalisierung sei der persönliche Kontakt auch heute noch Trumpf. «Natürlich bietet die Digitalisierung auch Vorteile, etwa die Omnikanal-Struktur.» Der Kunde wähle dabei den Kommunikationskanal – physisch oder eben digital. Und klar: «Wenn wir keine Rechnungen mehr verschicken müssen, weil diese über eine App eingesehen und bezahlt werden können, sparen wir Kosten.» 

Den digitalen Wandel in seinem Gesundheitssystem setzt Thomas Boyer ganz gezielt ein: Wohin steuert das digital unterstützte Gesundheitssystem? Die Groupe Mutuel ist bei Compasana engagiert, einem Ökosystem im Gesundheitsbereich, das Kundinnen und Patienten begleitet und seit Juni dieses Jahres aktiv ist. «Es bietet die Möglichkeit, Ärzte zu finden und Termine sowie Medikationen online zu koordinieren und die Daten zentral zu erfassen.» Boyer betont dabei, dass Compassana neben der Groupe Mutuel, Helsana und Swica auch weiteren Playern aus dem Gesundheitssystem zur Verfügung stehe, weil für mehrere solcher Plattformen sei die Schweiz zu klein. «Schauen sie einmal, wie viele Personen bisher über ein elektronisches Patientendossier EPD verfügen: Es sind keine 20’000! Und jeder Kanton kocht sein eigenes Süppchen.» Boyer kann durchaus emotional sein. «Das kann doch nicht gut kommen und wird so auch nie funktionieren.» Es brauche eine zentrale Stelle, die für das EPD zuständig sei, fordert der Westschweizer. Das müsse eben das Bundesamt für Gesundheit BAG sein. «Und das muss für alle Akteure Pflicht sein. Punkt!» Es gebe so viel Ineffizienz im System, nicht zuletzt deswegen. Er wisse, dass er sich mit dieser Aussage keine Freunde mache, weil es gegen das Prinzip des Föderalismus sei. Doch das nimmt er in Kauf.

«Wir haben ein teures, aber qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem. Das haben wir während der Pandemie gesehen. Aber wenn wir wie bisher so weitermachen, fahren wir unser Gesundheitssystem gegen die Wand.» Boyer wird deutlich: «Ich sehe eine grosse Passivität im Parlament, das Thema wirklich in die Hand zu nehmen.» Seit 13 Jahren werde über Efas, die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen der Krankenversicherung, diskutiert. Bisher ohne nennenswerten Erfolg. «Das kann es doch nicht sein!» Auch bei den Medikamentenpreisen stehe man im Abseits. «Diese sind viel zu hoch.» Natürlich falle dies auch auf die Lobbyarbeit der Pharmaindustrie zurück. «Aber nochmals: Wir müssen Massnahmen zusammen definieren, die dazu führen, unser Gesundheitssystem zu reformieren. So wie es heute ist, ist es nicht mehr finanzierbar.» Boyer gibt zu bedenken, dass mit rund 280 Spitälern an 580 Standorten schlicht und einfach zu viele Krankenhäuser in der Schweiz existieren. «Wir müssen dazu übergehen, die Qualität und nicht die Quantität zu entlöhnen – so wie wir das bereits am Unispital Basel und Hôpital de la Tour in Genf testweise tun.» Das sind doch ziemlich laute Forderungen für einen sonst eher stillen Geniesser.