Herr De Winter, Ihr VRP Andreas Burckhardt sagte an der GV der Baloise Holding AG, dass das Geschäftsmodell auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sei und dies in der aktuellen Situation ermögliche, Verantwortung zu übernehmen, um unter anderem «die Stabilität der Volkswirtschaft zu garantieren». Sie sind als Group-CEO für die Umsetzung solcher Aussagen ins Tagesgeschäft verantwortlich. Wie machen Sie das in diesen hektischen Zeiten?
Wir haben mit einer aus Fachspezialisten zusammengesetzten Corona-Task-Force das Geschehen nahe verfolgt und die Krisenentwicklung so antizipiert, dass wir in verschiedenen Dimensionen schnell reagieren konnten. Über die Vorgaben des Bundes hinaus wurden so schnell und wirkungsvoll Massnahmen umgesetzt, um die höchstmögliche Sicherheit der Mitarbeitenden und Kunden bei einem Service auf gewohnt sehr hohem Niveau sicherzustellen. 

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Was heisst das konkret für Ihre Kunden?
Wir unterstützen unsere Kunden und die Allgemeinheit während der Pandemie-Situation mit diversen Sonderinitiativen und finanziellen Hilfestellungen, wie zum Beispiel Zahlungsfristenverlängerungen bei Mieten und Versicherungsbeiträgen sowie einer temporären Senkung des Sollzinses auf 1 Prozent in der beruflichen Vorsorge, um die Liquidität zu erhöhen.

Gert De Winter (1966, B, MSc), Vorsitzender der Konzernleitung der Baloise Group, (1966, B, MSc) studierte angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Antwerpen. Von 1988 bis 2004 hatte er bei Accenture in Brüssel verschiedene Funktionen für Fragen zu IT- und Geschäftstransformationsmanagement im Finanzsektor inne. 2005 trat er als Chief Information Officer und Leiter HR der Mercator Versicherungen, Belgien, in die Baloise Group ein. Von 2009 bis 2015 hatte De Winter als Chief Executive Officer die Leitung der Baloise Insurance inne, die 2011 aus der Zusammenführung der drei Versicherungen Mercator, Nateus und Avero hervorgegangen ist. Seit Januar 2016 ist Gert De Winter Vorsitzender der Konzernleitung. Er ist Vorstandsmitglied der Handelskammer beider Basel.

An der diesjährigen Bilanzmedienkonferenz schätzten Sie die Corona-Mehrkosten für die Baloise auf einen «tiefen zweistelligen Millionenbetrag». Wie sieht es heute aus?
Stand heute rechnen wir nach Rückversicherung mit einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Die meisten Schäden entstanden in der Schweiz aufgrund der durch die Präventionsmassnahmen bedingten Betriebsunterbrüche. Der grösste Teil unserer Schweizer Kunden mit einer Epidemieversicherung hat hier Deckung aufgrund der vom Bund erlassenen Massnahmen. Vor Rückversicherung rechnen wir mit Schadenzahlungen in einem dreistelligen Millionenbereich.

Wie hoch sind die Anteile daran an den einzelnen Kernmärkten Schweiz, Deutschland, Belgien und Luxemburg?
Über drei Viertel der Schäden kommen aus der Schweiz. Der Rest hauptsächlich aus Deutschland.

Mussten Sie wegen Corona besondere Massnahmen ergreifen? 
Die einschneidendste Massnahme war sicherlich der Entscheid, praktisch die ganze Belegschaft der Baloise Group ins Homeoffice zu verlegen. Zeitweise arbeiteten bis zu 98 Prozent aller Mitarbeitenden von zu Hause aus. Eine unglaubliche Leistung in verschiedenen Dimensionen. Einerseits aufgrund der technischen Herausforderungen, aber auch wegen der sozialen Komponenten wie Führung und Teamarbeit sowie der privaten Verpflichtungen, die wir alle zu meistern hatten. Corona-bedingte Kurzarbeit oder Entlassungen waren bei der Baloise kein Thema.

«Meine Führungsphilosophie basiert auf einem partizipativen Ansatz, der unternehmerisches Handeln fördert und so Innovation möglich macht.» 

Inwieweit müssen sich die einzelnen Länderchefs mit Ihnen absprechen?
Die Länderchefs sind Teil des sogenannten Group Strategy Board. Zusammen mit der Konzernleitung bildet dieses das Entscheidungsgremium für die Strategieumsetzung. Dieses Gremium tagt in regelmässigen Abständen, in den letzten Wochen natürlich häufiger, um die Lage in allen Ländereinheiten zu besprechen und einen Know-how- sowie Best-Practices-Austausch sicherzustellen.

Sind die Kompetenzen klar geregelt oder kann es vorkommen, dass Sie beispielsweise Ihrem Schweiz-Chef Michael Müller ab und zu ins operative Steuerrad greifen?
Meine Führungsphilosophie basiert auf einem partizipativen Ansatz, der unternehmerisches Handeln fördert und so Innovation möglich macht. Zusammenfassen lässt sich diese Haltung mit dem Credo «Don’t ask for permission, ask for forgiveness when required», was übersetzt so viel bedeutet wie: Die Kolleginnen und Kollegen sollen grundsätzlich ihre eigenen Ideen verfolgen und in ihrem Verantwortungsgebiet das tun, was sie für richtig erachten, um die strategischen Vorgaben zu erreichen. Ich musste nie ins operative Steuerrad des Schweizer Geschäfts greifen, dafür ist es mir umso wichtiger, als Schnittstelle zu den Ländereinheiten den Know-how-Transfer und die Kulturtransformation zu beschleunigen.

In der Schweiz treten Sie mit der Baloise Bank SoBa als fokussierter Finanzdienstleister auf. Wäre das nicht ein Modell auch für die Märkte Deutschland, Belgien und Luxemburg?
In der Schweiz sind wir mit unserem Geschäftsmodell «Versicherung & Bank» sehr zufrieden. Generell sind sogenannte Bancassurance-Modelle zunehmend auf dem Vormarsch und auch wir kooperieren in allen unseren Märkten bereits mit Bankpartner. Dass man die Bank jeweils besitzt, ist dabei nicht zwingend. Wichtiger ist, dass man für die Kunden möglichst einfach Finanzdienstleistungen – egal ob im Bereich Versicherungen oder Banking – erbringt, die massgeschneidert den individuellen Bedürfnissen entsprechen. Dies ist auch durch smarte Kooperationen möglich.  

Das Geschäft mit Vorsorgeprodukten für Privatkunden in ganz Europa betreiben Sie mit Ihrem Kompetenzzentrum von Luxemburg aus. Hat das primär steuerliche Gründe?
Der Grund fusst im sogenannten «Freedom of Service»-Geschäft, welches es uns erlaubt, von Luxemburg aus europaweit Lebensversicherungen anzubieten. Die meisten Versicherer tun dies von Luxemburg aus, da sich dort über die Jahre entsprechendes Know-how für diese Produkte konzentriert hat. 

«Unsere Innovationsstrategie basiert dabei auf den Grundsätzen Inkubieren, Kooperieren, Investieren, Akquirieren und Entwickeln.»

Das Kerngeschäft der Baloise Group sind Präventions-, Vorsorge-, Assistance- und Versicherungslösungen. In den letzten Jahren haben Sie allerdings eine Reihe von Startups gekauft, so Mobly in Belgien, Friday in Deutschland oder Movu in der Schweiz. Was beabsichtigen Sie damit?
Mobly und Friday waren keine Zukäufe, sondern Eigengründungen. Mit der Ankündigung der strategischen Phase «Simply Safe» haben wir uns zum Ziel gesetzt, über das angestammte Versicherungsgeschäft hinaus einfache und innovative Dienstleistungen im Rahmen sogenannter Ökosysteme anzubieten. Wir konzentrieren uns hierbei auf die Ökosysteme «Home» und «Mobilität». 

Worauf basiert Ihre Startup-Strategie?
Unsere Innovationsstrategie basiert dabei auf den Grundsätzen Inkubieren, Kooperieren, Investieren, Akquirieren und Entwickeln. Mobly und Friday sind zwei Initiativen im Ökosystem Mobilität, die wir selbst inkubiert und entwickelt haben. Es sind also keine Akquisitionen, sondern sogenannte Corporate-Startups. Der Kauf der grössten digitalen Umzugsplattform der Schweiz – Movu – war eine Akquisition im Rahmen des Ökosystems Home. In beiden Ökosystemen haben wir in den letzten Jahren in Beteiligungen und Kooperationen investiert. Dies immer mit dem Ziel, dass die Dienstleistungen dieser Initiativen einen Mehrwert für die Kunden bieten und unseren Service einfacher für diese machen.

Mit Ihrer 2017 lancierten Strategie «Simply Safe» wollen Sie bis 2021 eine Million neuer Kunden gewinnen, bezüglich Arbeitgeberattraktivität in die top 10 Prozent der Branche gelangen und insgesamt 2 Milliarden Franken Barmittel für die Holding generieren. In sieben Monaten müssen Sie liefern. Werden Sie die Ziele erreichen? 
Die strategische Phase Simply Safe endet mit dem Geschäftsjahr 2021. Wir haben somit noch etwas mehr Zeit als nur sieben Monate (lacht). Ich sehe uns aber auf Kurs, die gesetzten Ziele zu erreichen. Bis und mit dem Geschäftsjahr 2019 konnten wir über 500’000 neue Kunden gewinnen, es wurden über 1,3 Milliarden Franken Barmittel generiert, die für Dividenden, Aktienrückkäufe sowie für Investitionen in Wachstum verwendet werden können, und wir gehören mittlerweile zu den top 15 Prozent der Arbeitgeberinnen in der Branche. In letzterem Ziel konnten wir uns um 10 Prozentpunkte verbessern, was ein starker Wert ist. Sie sehen, die Baloise zeigt sich auch in herausfordernden Zeiten als attraktive Unternehmung für alle ihre Anspruchsgruppen.