Neue Philosophie: «Do not rebuild what others have already done»
Klassische Player im Versicherungsmarkt verfolgen meist eine Do-it-all-yourself-Strategie hinsichtlich der Entwicklung von Softwarefunktionalitäten, aber eine nachhaltige und auf den Kundenmehrwert ausgerichtete Innovationsstrategie verlangt genau das Gegenteil: «innovate via integration», d. h. die aktive Verwendung und Integration von Services und Softwareangeboten von Drittanbietern. Zu oft besteht hier ein falscher Ehrgeiz, alle Funktionalitäten inhouse zu entwickeln. Dies führt zu Ineffizienzen und verlangsamt das Innovationstempo.
Autor:
Alexander Sanders, CTO TONI Digital, Zürich | www.tonidigital.ch
Best Practise: N26
Zur Veranschaulichung dessen dient das Banking und hier das erfolgreiche Startup N26: Während N26 ein externes Software-as-a-Service(SaaS-)Core-Banken-System verwendet, fokussiert sich das Entwicklungsteam hauptsächlich auf die Programmierung der Software eine Ebene oberhalb des Core-Banken-Systems. Hierbei liegt der Fokus auf der Customer Experience und auf Innovationen, die mithilfe von externer Software und Serviceanbietern realisiert werden: So kann der Kunde die Steuererklärung über Taxfix abwickeln, günstige Auslandzahlungen über Transferwise durchführen (viele Banken sehen es als Konkurrenz statt als Zusatzdienstleistung), Kredite über Auxmoney wie auch Versicherungen von externen Anbietern beziehen.
Eine solche Breite an Innovationen in einer so kurzen Zeit zu lancieren, wäre durch reine Eigenentwicklungen nicht möglich gewesen – und auch alles andere als ökonomisch effizient und sinnvoll.
HZI-Special «Insurtec» – bisher erschienen:
- «Kundenzentrierung ist der wahre Treiber der digitalen Disruption»
- Wie das Internet der Dinge die Assekuranz verändert
- Axa, Mobiliar und Sanitas arbeiten mit Startups
- Revolutioniert Telematik die Fahrzeugversicherung?
- Von Datensilos zu einem Vorsorge-Ökosystem
- Marktübersicht Insurtech in der Schweiz
- Innovation braucht neue IT-Design-Philosophie
- Swiss Digital Healthtech für Krankenversicherer
- Insurtech Spotlights: Digitalversicherer holen markant auf
Schadenautomatisierung in der Versicherung
Die Automatisierung der Schadenprozesse in der Versicherung bieten neben Kosteneinsparungen vor allem eine deutlich bessere User Experience für den Versicherungsnehmer, da dieser direkt im Anschluss an den Online-Schadenmeldungsprozess über die Schadenfreigabe informiert wird und z. B. auswählen kann, ob er eine Cash-Auszahlung bevorzugt oder doch lieber direkt eine vom Versicherer empfohlene Garage in der Nähe aufsucht. Voraussetzung für eine solche Schadenautomatisierung ist eine möglichst genaue Schätzung der Schadenkosten, wie sie zum Beispiel von den bekannten Anbietern Spearhead und Tractable angeboten wird. Spearhead schätzt die Schadenkosten auf Basis einer Beschreibung des Schadenbilds und konkreter Fragestellungen in Kombination mit einem sehr umfangreichen Datenschatz und einem raffinierten Algorithmus, Tractable (Investment bis heute von ca. 60 Millionen Dollar) auf Basis von bildbasierter künstlicher Intelligenz und neuronalen Netzwerken, denen ebenfalls ein grosser Datensatz zugrunde liegt.
Innovate – via integration
Auch wenn heute noch unklar ist, welcher der Player in Zukunft die Nase vorne haben wird, so ist doch absehbar, dass kein Versicherer eine ernsthafte Konkurrenz darstellt: Neben der Frage der hohen Investmentsummen der Startups muss bedacht werden, dass es sich hierbei um «path-dependent resources and capabilities» handelt, dass also neben Geld vor allem Zeit und spezielle Fähigkeiten wie Computer Vision und Machine Learning Engineering notwendig sind, um diese Services zu entwickeln. Und es wäre ökonomisch ineffizient für einen Versicherer, solch hohe Beträge in die Entwicklung zu stecken, wenn er den gleichen Service nun «einfach» gegen eine Nutzungsgebühr verwenden kann und kein Entwicklungsrisiko eingeht oder etwa das Risiko, den Fokus zu verlieren.
In der Versicherungsbranche wird diese Innovate-via-integration-Doktrin zwangsläufig dazu führen, dass einem Versicherer die «Innovation» nicht vollständig alleine gehört und dass auch andere Versicherer diese bei sich integrieren können. Hier wird in Zukunft derjenige führend sein, der die besten Tools und Funktionalitäten von Drittanbietern in seiner Softwareapplikation auf die beste Art und Weise zusammenführt, um somit den grössten Mehrwert für die Kunden zu schaffen.
Was macht Kubernetes so mächtig?
Dank Kubernetes können Unternehmen containerbasierte Anwendungen auf allen wichtigen Cloud-Plattformen nutzen. Neue Funktionen, Dienste und Fixes können viel schneller und ohne Ausfallzeiten eingeführt werden. Über 50 Prozent der Fortune 500 Unternehmen nutzen bereits Kubernetes. Marktbeherrschend im globalen Cloud-Markt sind Amazon Webservices (AWS), die Google Cloud Platform (GCP) und Microsoft Azure.
Technologische Voraussetzungen
Die oben genannte Philosophie bedeutet nicht, dass der Versicherer kein Technologie-Know-how mehr benötigt. Im Gegenteil: Um die Philosophie richtig und effizient umzusetzen, muss er in der Lage sein, externe Services und Dienstleistungen effizient in seine Technologieplattform integrieren und diese schnell ausprobieren zu können.
Dies wird durch den Einsatz einer Micro-Services-orientierten Software-Architektur, Container und Kubernetes ermöglicht. Micro-Services sind vereinfacht gesagt kleine modulare und unabhängige Softwareapplikationen. Durch ihren Einsatz wird der strikt modulare Aufbau der Softwareapplikation forciert und es wird sichergestellt, dass zwischen den einzelnen Modulen keinerlei Abhängigkeiten bestehen. Die Micro-Services werden am besten in einzelnen Containern betrieben, welche neben dem Softwarecode auch alle Konfigurationen und Code-Abhängigkeiten enthalten – somit sind der Container und der Micro-Service sehr unabhängig von der Systemumgebung.
Kubernetes wiederum ist eine Open-Source-Software, die die einzelnen Container mit den Micro-Services steuert und orchestriert und die Implementierung von automatisierten Deployments (sprich den Prozess, den Softwarecode auf die Test- und Produktionsumgebung aufzuspielen) ermöglicht – wortwörtlich auf Knopfdruck. Hiermit sind die Zeiten vorbei, in denen ein Deployment aus mehreren mühsamen und heiklen Einzelschritten bestand und mehrere Stunden in Anspruch nahm. Komplementiert wird ein solches Set-up durch möglichst viele automatische Test Cases, die integraler Bestandteil der automatisierten Deployment Pipeline sind.
Diese Technologien ermöglichen es also, die Anzahl der Deployments drastisch zu erhöhen. Es ist damit viel einfacher, neue Funktionalitäten in die Softwareapplikation einzuspielen. Gleichzeitig können Entwickler unabhängig voneinander an einzelnen Komponenten der Software arbeiten – während das eine Entwicklungsteam den neuen AI-basierten Schadenprozess eines externen Anbieters implementiert, arbeitet unabhängig davon das andere Entwicklungsteam an der Optimierung der User Experience im Offerten-Prozess. Beide Funktionalitäten können anschliessend unabhängig voneinander in die Applikation eingespielt werden.
Radikales Umdenken erforderlich
Damit ein Versicherer dem Kunden die beste User Experience und kontinuierlich Innovationen liefern kann, muss er seine IT-Design-Philosophie radikal umdenken und stärker auf die Integration von Dienstleistungen externer Anbieter setzen, anstatt zu versuchen, das Rad ständig neu zu erfinden. Gleichzeitig kann diese neue IT-Design-Philosophie erst durch den Einsatz neuester Technologien wie Micro-Services, Container und Kubernetes effizient umgesetzt werden. Erst durch diese Tools sind kurze und effiziente Test und Anpassungszyklen realisierbar, die für die kontinuierliche Optimierung und Innovation entscheidend sind.