Welche Industrien empfinden wir als Klimakiller? Korrespondenzanalysen bestätigen, was die meisten von uns spontan antworten würden: die Öl- und Kohleförderer sowie die Auto- und Flugindustrie. Kann sich die Assekuranz deshalb beim Thema Klimaschutz bequem zurücklehnen? Wohl kaum, wie ein neues Whitepaper des Instituts für Risk & Insurance an der ZHAW zeigt.
Der Druck auf Versicherer steigt
Versicherungsprämien machen weltweit über 6 Prozent des Bruttosozialproduktes aus. Gleichzeitig gehören Versicherer zu den grössten Anlegern. Allein die Top-100-Versicherer weltweit entscheiden über Anlagen in der Grösse von über 7 Prozent der globalen Vermögen. Es wäre also kurzsichtig, sich im Windschatten anderer Industrien zu wähnen. Entsprechend steigt der Druck der Aktionäre auf die Versicherer.
Hinzu kommt, dass nicht nur Kunden, sondern auch die Mitarbeitenden von ihren Arbeitgebern erwarten, einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Doch was kann dies konkret für eine Versicherung bedeuten? Grundsätzlich finden sich drei Aspekte des «Grünseins» bei Versicherern, die jeweils eine separate Betrachtung verdienen: ein grüner Betrieb, grüne Produkte und Dienstleistungen sowie grüne Anlagen.
Die Schadenregulierung grüner gestalten
Als Betrieb bestehen Versicherer im Wesentlichen aus Bürogebäuden. Im Vergleich zur fertigenden Industrie oder zu Grundversorgern sind damit nur wenige Emissionen verbunden. Viele Bürogebäude wurden in den vergangenen Jahren auch energietechnisch saniert. Ebenso haben viele Versicherer ihren Stromverbrauch auf erneuerbare Quellen umgestellt.
Eine grössere Knacknuss sind Verschmutzungen, die nicht im Betrieb direkt anfallen, sondern vor- oder nachgelagert sind. Ein erstaunlich grosser Teil davon kommt aus dem Verkehr: von Geschäftsreisen sowie dem täglichen Pendlerverkehr, vor allem per Auto. Zwei Corona-Jahre haben in beiden Kategorien eine zum Teil drastische Abnahme der Emissionen um mehr als zwei Drittel gebracht. Es wird sich zeigen, inwieweit dieser Pandemieeffekt dauerhaft wirkt.
Wichtiger und anspruchsvoller ist die «grüne» Umgestaltung der Schadenregulierung. Sie ist für Versicherer signifikanter als die eigenen Kosten und kann zusätzlich eine breitere Wirkung entfalten, etwa bei Autowerkstätten oder im Baugewerbe. Es ist allerdings noch nicht klar, inwieweit Kunden bereit sind, bei einem Sachschaden auch eine Reparatur statt eines Ersatzes zu akzeptieren.
Die Suche nach der optimalen Balance
Versicherung ist oft ein Sekundärprodukt. In der Regel gehört es zu einem anderen Produkt oder einer Aktivität, die man abgesichert haben will, zum Beispiel einem Auto oder einer Reise. Es stellt sich deshalb die Frage, inwieweit der Versicherer solche grüne Primärprodukte oder -aktivitäten unterstützen kann, indem er diese bevorzugt behandelt, sprich: günstige Versicherungslösungen dafür anbietet.
Hier zeigt sich teilweise ein Dilemma, da grüne Produkte oft einen höheren Grad an Innovation beinhalten und daher risikoseitig ungünstiger eingeschätzt werden können als Produkte, die schon seit langer Zeit im Markt sind. Hier gilt es, eine optimale Balance zu finden, die einerseits die Innovationsgeschwindigkeit grüner Industrien nicht behindert, aber anderseits verhindert, dass «unreife» Technologien zu schnell auf den Markt kommen. Unterstützend kann wirken, dass umweltbewusste Kunden oft ein besseres Risikoprofil haben und deshalb mit günstigeren Prämien belohnt werden können.
Schneller Umschwung zu grünen Anlagen
Die vergangenen Jahre haben einen erstaunlich schnellen und umfassenden Umschwung in Richtung grüner Anlagen gebracht, mindestens auf der Oberfläche. «Green Investing» ist das Gebot der Stunde.
Das böse Wort «Greenwashing», also die Vermutung, dass es sich doch nur um einen Marketingspin zur Aufpolierung des eigenen Images handelt, schwingt jedoch oft mit. Dies liegt unter anderem auch daran, dass noch keine Klarheit darüber besteht, was denn eigentlich «grün» ist. Die intensive Debatte um die sogenannte «Taxonomie-Verordnung» in der Europäischen Kommission zeigt dies eindrücklich.
Sind AKW als grün einzustufen, weil sie CO2 einsparen? Töten grüne Windräder zu viele Vögel? Ist das E-Auto wirklich die Mobilitätslösung, solange die Batterien nicht vollständig recyclebar sind? Es sind solche schwierigen Abwägungen, auch zwischen den ökologischen Interessengruppen, die eindeutige Labels schwierig machen.
Trotz aller Schwierigkeiten ist die Richtung jedoch klar: Anleihen und Aktien aus Industrien, die die Umwelt massiv belasten, gelten bezüglich Risikoprofil als zunehmend ungünstig und müssen in den jeweiligen Anlageportfolios reduziert werden. Auch aus Renditeaspekten. Es ist dies womöglich der grösste Beitrag, den die Versicherungswirtschaft zur Nachhaltigkeit beisteuern kann.
Handeln statt abwarten
Die Versicherungswirtschaft ist zu bedeutend und die möglichen Auswirkungen sind zu gross, als dass die Versicherung soziale und technologische Entwicklungen abwarten kann. Die Versicherer müssen eine Vorreiterrolle wahrnehmen und zum Teil schwierige Anpassungen in ihrem Kerngeschäft forcieren. Nur so können sie einen signifikanten Beitrag auf der langen Reise zu einer klimaneutralen Wirtschaft leisten.
Dr. Carlo Pugnetti ist Dozent am Institut für Risk & Insurance der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seine Forschung ist fokussiert auf das Kundenverhalten in der Assekuranz.
Lukas Stricker ist Dozent am Institut für Risk & Insurance an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Seine Forschung konzentriert sich auf das Management von Transformationsprozessen und den Einfluss neuer Technologien und Geschäftsmodelle auf die Versicherungen sowie ihre Mitarbeitenden. Bevor er zur ZHAW stiess, leitete Lukas Stricker den globalen Betrieb des Internationalen Programmgeschäfts der Zurich Versicherung. Lukas Stricker hat einen MSc. in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich absolviert.