Frau Sprenger, sind Sie schon einmal Opfer eines virtuellen Angriffs geworden?
Ja, und einmal war ich tatsächlich auch selber schuld. Ich bin bei einem Fake-Shop auf ein unschlagbares Angebot für meine Traumstiefel reingefallen. Ich habe diese bestellt und, weil sie aus China kamen, auch noch hohe Zollgebühren bezahlt. Angekommen sind die Stiefel nie. Beim anderen Angriff handelt es sich um einen, dem die meisten von uns schon zum Opfer gefallen sind: Meine E-Mail-Adresse wurde geleakt.
Sie sprechen relativ entspannt darüber – gibt es ein paar Dos, die man beachten muss, damit solche Angriffe keine ernsthaften Folgen haben?
Ja, gerade im Zusammenhang mit Shopping. Seit Corona sind wir alle öfters daheim und bestellen mehr online. Je mehr wir bestellen und je spezifischer die Produkte sind, die wir auch sonst im Einzelhandel kaufen, weichen wir auf Shops aus, die wir noch nicht kennen. Daher mein Tipp: machen Sie immer eine kurze Recherche und prüfen Sie die Seite auch auf ihre Bewertungen bei Google. Bei negativen Bewertungen kann ich nur sagen: Finger weg.
Und wie sieht es beim Thema Datenleaks aus?
Vor diesen kann man sich als Enduser nicht direkt schützen, denn die Hacks und Leaks finden auf den Seiten statt, auf denen ich als Enduser meine Daten hinterlege. Was Sie aber tun können, ist darauf achten, dass Sie nicht überall die gleiche Kombination von Username und Passwort verwenden. Denn ist diese Kombination einmal abhandengekommen, haben die Diebe eine Art Generalschlüssel.
«Das To-do für den Endkunden lautet: Varianten in den Nutzerkonten sicherstellen»
Das heisst, das To-do für den Endkunden lautet: Varianten in den Nutzerkonten sicherstellen. Dazu sollte man unbedingt mit einem Passwortmanager arbeiten, der hochkomplexe, individualisierte Passwörter erstellt, die vom Gerät gespeichert und automatisch verwendet werden. Eine absolute Sicherheit gibt es aber nie, weil die Sicherheitsmassnahmen, die wir als Individuen treffen, den Vorgehen der Hacker immer hinterherhinken.
Aus diesem Grund sollten wir nun alle eine Cyberversicherung abschliessen?
Ja – doch die Versicherung ist nur ein Aspekt. Mit dieser sind die finanziellen und juristischen Schäden abgedeckt.
Was ist der andere Aspekt?
Präventionsservices, wie wir sie anbieten. Mit diesen helfen wir den Kunden, Probleme frühzeitig zu identifizieren. Denn Datenhacks werden, wenn sie publiziert werden, immer zeitverzögert publiziert. Unsere Monitoringservices zeigen dem Kunden relativ früh an, dass die Zugangsdaten abhandengekommen sind. Damit sind unsere Services ein Frühwarnsystem für die Kunden.
Apropos Frühwarnsystem: Der Mensch ist erwiesenermassen die grösste Schwachstelle im Zusammenhang mit Cyberkriminalität. Bieten sie auch Sensibilisierungstrainings oder ähnliche Angebote?
Ja klar, wir sensibilisieren unsere User auf solche Thematiken. Und zwar beginnen wir in Sachen Aufklärung und Prävention mit den Grundgefahren. Danach führen wir die Kunden Schritt für Schritt immer tiefer ins Thema rein, damit diese realisieren, was eigentlich mit ihren Daten alles passieren kann.
Seit einigen Wochen hat die Axa die Aktienmehrheit von Silenccio übernommen. Was bedeutet das für ihre Unabhängigkeit und Flexibilität als Startup?
Wirtschaftlich profitieren wir mit der Axa von einem starken Partner, der uns Planungs- und finanzielle Sicherheit gibt. Zudem profitieren wir auch von der Distributionspower. Denn: Unser gesamter Vertrieb läuft über die Axa, weil wir integraler Bestandteil des Versicherungsproduktes sind.
Sicherheit, Stärke, Geld – alles Vorteile eines Grosskonzerns. Meistens läuft das Zusammenarbeiten von zwei unterschiedlichen Organisationsformen allerdings nicht ohne Knirschen im Gebälk ab …
Auch bei uns reibt und knirscht es hin und wieder, aber in der Regel entsteht aus Reibung hohe Energie, die wir in der Zusammenarbeit auch nutzen können … Unsere Zusammenarbeit funktioniert wirklich sehr gut, obwohl Welten aufeinandertreffen. Die Produktentwicklung sind wir aber gemeinsam angegangen und auch unsere Ansprechpartner sind nach wie vor dieselben.
Wie stellen Sie sicher, dass Silenccio seinen innovativen Geist behalten kann?
In meinen Augen wird das dadurch sichergestellt, dass das Thema Innovation bei der Axa auf der Chefebene angesiedelt ist. Das heisst, es wurde nicht der Fehler begangen, dass wir als Startup einfach in die Produktebene reingeschoben wurden. Selbstverständlich arbeiten wir auch sehr eng mit den Produktteams zusammen.
In dieser Konstellation ist sichergestellt, dass wir zum einen auf den Support der Führungsebene zählen können und zum andern auch im Produktteam auf Akzeptanz stossen für das, was wir tun und wie wir es tun. So entsteht ein grosses Verständnis dafür, dass wir nach wie vor autonom und autark arbeiten, und dies gibt gleichzeitig Raum für unsere innovative Art.
Cyberversicherungen schiessen wie Pilze aus dem Boden. Was unternehmen Sie, dass sich Silenccio weiterhin im Markt wird differenzieren und abgrenzen können?
Unser Differenzierungsmerkmal ist die Intervention im Namen des Kunden. Das heisst, wo andere Anbieter die Kunden ausschliesslich mit Monitoring-Resultaten konfrontieren und sie damit praktisch alleine lassen, haben wir zwischen dem Monitoring und der Versicherungsleistung die Intervention zwischengeschalten. Wir lösen für unsere Kunden die durch einen Cyberangriff auftretenden Probleme mit Kreditkarten, bei Mobbingfällen oder im Bereich Online-Shopping direkt. Damit und mit der schnellen Lancierung neuer Services beim Entstehen neuer Cybergefahren werden wir uns auch in Zukunft deutlich abgrenzen können.
Apropos Kunden. Wer sind die typischen Silenccio-Kunden?
Die gibt es nicht. Wir haben Kunden aus allen Segmenten. Dies weil unsere Leistungen paketiert sind und wir auf unterschiedliche Cybergefahren abzielen. Klar ist Cybermobbing eher ein Thema für exponierte Personen, Influencer oder jüngere Menschen, aber das Thema Hacks betrifft alle Altersklassen. Sobald sich jemand im Internet einloggt, wird das sofort zum Thema.
Wo sehen Sie Bedarf für neue Cyberversicherungsprodukte? Oder anders gefragt: Wohin geht die Reise für Silenccio in Zukunft?
In den nächsten Jahren dürfte das Internet of Things neue Gefahren generieren, die neue Versicherungsbedürfnisse nach sich ziehen. So entstehen beispielsweise neue Sicherheitsrisiken, wenn jemand Alexa nutzt, dasselbe gilt für den Kühlschrank mit integrierter Kamera. Ich bin überzeugt, dass wir eine Lösung finden werden, um unsere Kunden vor diesen neuen Gefahren zu schützen.
«Uns kommt entgegen, dass sich die gesamte Versicherungsindustrie in einem Wandel befindet»
Zudem kommt uns auch entgegen, dass sich die gesamte Versicherungsindustrie in einem Wandel befindet. Das klassische Versicherungsmodell, in dem ich einen Vertrag abschliesse und über Jahre bezahle, wird durch neuere Produkte bedrängt. Der Schlüssel dazu lautet: die Versicherung mit realen Services anzureichern. So wird die Versicherung positiv aufgeladen und durch Interaktion werden positive Erlebnisse geschaffen.
1 Kommentar
Aussagen decken sich perfekt mit meinen persönlichen Erfahrungen. Interessanter und lesenswerter Beitrag. Bravo!