Am Freitag, 21. Februar 2020, hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats eine neue «Überbrückungsrente» beraten. Sie ist vom Vorschlag ihrer Schwesterkommission im Ständerat abgewichen und hat den Kreis der Begünstigten und die Leistungen dieser neuen Sozialversicherung erweitert. Das Geschäft soll noch im März im Parlament durchgewunken werden.
Doch warum dieser Drang, im Eiltempo eine neue Sozialversicherung einzuführen? Diese wurde im letzten Mai als eine von sieben Massnahmen im Umgang mit älteren Mitarbeitern vorgeschlagen, um Wind aus den Segeln der «Begrenzungsinitiative» zu nehmen, die eine Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union vorsieht. Diese Abstimmung am 17. Mai 2020 ist für die Zukunft der Schweizer Wirtschaft schicksalhaft. Zwar ist es richtig, dass die Politik Lösungen sucht, um bestehendes Unbehagen mit der Arbeitsmigration aus der EU auszuräumen. Doch eine neue Sozialversicherung aus dem Hut zu zaubern, nur um eine Abstimmung zu gewinnen, ist unseriös.
Seriöse Sozialpolitik stützt sich auf Fakten. Zwar liegt der Anteil Langzeitarbeitsloser unter den 55-Jährigen und Älteren doppelt so hoch ist wie unter jüngeren Arbeitskräften. Fakt ist aber auch, dass ältere Personen seltener ihre Stelle verlieren.
Gemäss Seco liegt das kombinierte Risiko, die Stelle zu verlieren und ausgesteuert zu werden, in keiner Alterskategorie tiefer als bei den älteren Mitarbeitern (vgl. Abbildung). Das grösste kombinierte Risiko tragen die 25-34-Jährigen.
Zudem greift die Idee, die Abstimmung mit neuen Sozialleistungen abzuwehren, zu kurz. Sie ist sogar kontraproduktiv; denn sie suggeriert, dass eine Beziehung zwischen Migration aus der EU und der Situation der Senioren auf dem Arbeitsmarkt bestehe. Mit der Schaffung der Überbrückungsrente erhielte die SVP-Initiative somit eine quasi amtliche Beglaubigung.
Die Behauptung, ältere Mitarbeiter seien auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Personenfreizügigkeit benachteiligt, hält einer Überprüfung nicht stand. Bereits seit Jahrzehnten ist die Situation der Senioren auf dem Arbeitsmarkt stabil: Im Jahr 1993 – neun Jahre vor Einführung der Personenfreizügigkeit – waren 28 Prozent der älteren Arbeitslosen seit mehr als zwölf Monaten auf Stellensuche. Bei den jüngeren Arbeitslosen lag der Wert mit 16 Prozent halb so hoch. Daran hat sich bis 2019 praktisch nichts geändert: Noch immer liegt der Anteil an Langzeitarbeitslosen bei Personen über 55 Jahren bei 29 Prozent.
Allerdings ist die Erwerbsbeteiligung der Ü-55 seit 1993 stark angestiegen, nämlich von 66 auf 76 Prozent im Jahr 2019 – und dies nicht trotz, sondern genau wegen der Immigration: Die Einwanderung hat den Konsum und die Bauwirtschaft im Inland selbst in Krisenjahren unterstützt und Entlassungen verhindert. In der Schweiz wurden Stellen geschaffen, auch weil die Exportindustrie von einer engeren Beziehung zur EU profitiert hat. Seit Einführung der Bilateralen 2002 sind 240'000 neue auf zusätzliche Exporte in die EU zurückzuführen. Und über den gleichen Zeitraum arbeiten rund 420’000 Personen mehr, die älter als 55 Jahre sind. Nicht insgesamt, sondern zusätzlich!
Ältere Arbeitslose brauchen einen Job, keine Almosen in Form einer Überbrückungsrente.
Dass die Zuwanderung den Schweizer Senioren den Job weggenommen haben soll, ist ebenso eine Fiktion, wie zu behaupten, die höhere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt hätte Tausende ältere Männer die Stelle gekostet. Die Frauen «zurück an den Herd» zu schicken, wäre ähnlich wirkungslos wie die Kündigung der Personenfreizügigkeit, um älteren Arbeitslosen ihren Job zu sichern.
Schliesslich sticht auch das Argument eines würdevollen Alterns dank einer neuen Sozialversicherung nicht. Würde entsteht durch Teilhabe am wirtschaftlichen Geschehen. Ältere Arbeitslose wollen ihre Kompetenzen einbringen und dafür Anerkennung verdienen. Sie brauchen dafür einen Job, keine Almosen in Form einer Überbrückungsrente. Voraussetzung dafür ist jedoch eine florierende Wirtschaft, die durch den erleichterten Personenaustausch mit unserem wichtigsten Handelspartner, der EU, am besten garantiert wird.
Jérôme Cosandey ist Directeur romand und Forschungsleiter Finanzierbare Sozialpolitik des Think-Tank Avenir Suisse.