Die Suva versichert als selbstständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts Menschen im Beruf und in der Freizeit gegen Unfälle und Berufskrankheiten, ist primär also zuständig für die verarbeitende Industrie und das Gewerbe. Seit langen Jahren zeigt sich aber eine Verschiebung der Wirtschaft hin in den tertiären, digitalen Dienstleistungssektor. Damit müssen Sie sich in einem rückläufigen Markt behaupten. Wie gehen Sie damit um?
Obwohl unser Marktanteil in den letzten Jahren leicht rückläufig war, ist das Prämienvolumen der Suva dank Wirtschaftswachstum und Lohnsteigerungen insgesamt stabil geblieben. Unabhängig von der Entwicklung des Prämienvolumens ist es unsere Aufgabe, Leid aus Unfällen und Berufskrankheiten zu verhindern und vermindern. Die Suva verfolgt dabei keine Wachstumsstrategie und keine Gewinnziele. Wir führen die obligatorische Unfallversicherung effizient und geben Gewinne an unsere Versicherten in Form von Prämienreduktionen zurück. In den letzten drei Jahren haben wir die Betriebskosten weiter optimiert, und durch einen zunehmend automatisierten und personalisierten Informationsaustausch senken wir laufend die Kosten und den administrativen Aufwand unserer Kunden.  

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Das UVG lässt Ihnen kaum strategische Optionen, um die Schrumpfung des zweiten Sektors zu kompensieren. Werden Sie beim Bund vorstellig, um weitere Branchen oder Teilbranchen für die Suva als obligatorisch erklären zu lassen?
Nein. Es liegt in der Verantwortung des Parlaments, den gesetzlichen Rahmen für die Unfallversicherung festzulegen. Dazu gehört auch die Regelung der Verantwortlichkeiten der Suva. Unsere Pflicht ist es, die zugewiesenen Aufgaben umzusetzen und bei allfälligen Anpassungsvorschlägen auf mögliche Konsequenzen hinzuweisen. Das Parlament hat das revidierte Unfallversicherungsgesetz erst vor kurzem, per 1. Januar 2017, in Kraft gesetzt. 

Vor Jahren lagen sich Suva und der Schweizerische Versicherungsverband SVV genau deswegen in den Haaren, so gab es beispielsweise eine Diskussion darüber, wer inskünftig die Optiker gegen Unfälle versichern kann. Wie ist der Stand heute?
Mit der Revision des UVG blieben wesentliche Pflichten und Aufgaben der Suva unverändert. Es erfolgten jedoch punktuelle Anpassungen. So fallen beispielsweise die Optiker nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Suva. Der Zuständigkeitsbereich der Suva ist klar definiert, das Unterstellungsrecht funktioniert und in strittigen Einzelfällen sucht die paritätische Kommission SVV/Suva einvernehmliche Lösungen. 

Ich dachte, dass die Suva inzwischen SVV-Mitglied geworden ist. Auf dessen Mitgliederliste sind Sie aber nicht verzeichnet. Habe ich etwas übersehen? 
Der SVV ist ein Verband der privaten Versicherer. Die Suva ist als Sozialversicherung nicht Mitglied. Nebst dem SVV gibt es eine kleine Gruppe von Unfallversicherern, die nicht dem SVV angeschlossen sind. Wir arbeiten jedoch in Einzelfragen mit ihnen zusammen. Aktuell prüfen wir zum Beispiel gemeinsam, wie wir angesichts des Rückgangs der Berufsunfälle infolge des Lockdowns eine teilweise Reduktion der Prämien gewähren könnten, um dem gesunkenen Risiko in der Berufsunfallversicherung Rechnung zu tragen. 

«Die Suva verfolgt keine Wachstumsstrategie und hat kein Gewinnziel. Unser Bestreben ist es, Arbeit und Freizeit sicher zu machen.»

Mit Ihrer Strategie «Avance» setzen Sie auf die Karte «Einzigartigkeit»: Nur die Suva bietet gleichzeitig Prävention, Versicherung und Rehabilitation aus einer Hand und aufeinander abgestimmt. Das klingt nicht gerade nach Wachstumsstrategie. Meine Hypothese: Bis in zehn Jahren wird sich die Suva rein um Prävention und Rehabilitation kümmern. Den obligatorischen Versicherungsschutz werden Privatversicherer übernehmen. Ihre Einschätzung?
Wie gesagt, die Suva verfolgt keine Wachstumsstrategie und hat kein Gewinnziel. Unser Bestreben ist es, Arbeit und Freizeit sicher zu machen. Und ich halte gerne fest: Das aktuelle System hat sich bewährt und ist zukunftstauglich. Gerade die von Ihnen erwähnte Kombination von Prävention, Versicherung und Rehabilitation gewährleistet tiefe Kosten, tragbare Prämien und eine Rundumbetreuung der Versicherten. Eine Privatisierung würde gemäss einer Studie von Ernst & Young den Werkplatz Schweiz mit jährlichen Mehrkosten von rund 1 Milliarde Franken belasten. Darin enthalten sind eine kostenintensive Vertriebsorganisation, die Gewinnabschöpfung in einem privatwirtschaftlichen System sowie Mindereinnahmen im Anlagegeschäft, da weniger langfristig investiert werden könnte. 

«Avance» beinhaltet auch ein Kostensparprogramm und eine Digitalisierungsstrategie. So sollen im Departement Schadenmanagement ab 2021 bis 2027 voraussichtlich 20 Prozent der über 800 Vollzeitstellen gestrichen werden. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Der technologische und gesellschaftliche Wandel verändert die Kundenbedürfnisse und die Art, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Diese Entwicklung betrifft auch die Suva, die eine erhöhte Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse anstrebt. In den kommenden Jahren werden wir deshalb das Schadenmanagement neu gestalten. 
2019 wurde ein erster Meilenstein mit der automatisierten Anerkennung von Unfällen auf Basis von maschinellem Lernen erreicht. Unsere Kunden werden inskünftig durch Self-Services, personalisierte Informationen und persönliche Beratung verstärkt unterstützt. Auch im Informationsaustausch mit Versicherten und Leistungserbringern, sprich Ärzten und Kliniken, ist die Digitalisierungsstrategie auf gutem Weg. 
Als Konsequenz werden die Mitarbeitenden der Suva weniger administrative Arbeiten ausführen, was mittelfristig zu einem tieferen Personalbestand und neuen Anforderungsprofilen der Mitarbeitenden führt. Neue Stellen werden vor allem für die Datenanalyse geschaffen. Diese Entwicklung erfolgt schrittweise, weshalb wir die Personalveränderung auf einen längeren Zeitraum hin realisieren. Dabei nutzen wir wenn immer möglich natürliche Fluktuationen und unterstützen unsere Mitarbeitenden bei der Erlangung neuer Kompetenzen.

Ihre Erkenntnis: Wie hat sich Corona bisher auf die Sicherheit am Arbeitsplatz ausgewirkt? 
Grundsätzlich ist der Schutz vor einer Virusansteckung am Arbeitsplatz gut gewährleistet, wenn die Abstands- und Hygienemassnahmen des Bundes eingehalten werden. Natürlich ergibt sich ein betrieblicher Anpassungsbedarf. Als Folge davon haben Homeoffice, Schichtarbeit oder das Arbeiten im Turnus bei vielen Unternehmen an Bedeutung gewonnen. 
Die Suva hat im Auftrag des Bundesrates die Einhaltung der Schutzmassnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 auf Baustellen sowie in Industrie und Gewerbe kontrolliert. Die bis Ende Mai rund 8000 durchgeführten Kontrollen haben gezeigt, dass die Zusammenarbeit funktioniert und dass die Massnahmen des Bundes von allen Parteien sehr ernst genommen wurden. Die Betriebe waren meist auch dankbar, dass wir nicht allein Kontrollen durchführten, sondern ihnen auch beratend und unterstützend zur Seite standen. Noch ein Wort zur Statistik: Die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen haben sich deutlich in den Unfallzahlen niedergeschlagen. Der Rückgang über den gesamten Lockdown hinweg, das heisst vom 16. März bis 10. Mai, beträgt bei den Berufsunfällen 28 Prozent.

«Als Sozialversicherung trägt die Suva auch eine gesellschaftliche Verantwortung.»

Und wie hat sich Corona auf die Suva selbst ausgewirkt? Baustellenkontrollen lassen sich ja nicht gut aus dem Homeoffice durchführen.
Wir führen die Betriebskontrollen selbstverständlich vor Ort durch. Für die Baustellen- und Betriebskontrollen haben wir ein Schutzkonzept entwickelt, das sich an den Vorgaben des Bundes orientiert. Unsere Rehabilitationskliniken in Bellikon AG und Sitten lassen sich ebenso wenig im Homeoffice betreiben. Für das Arztpersonal und die Krankenpflege greifen spezifische Regelungen. 
Die Mitarbeitenden am Hauptsitz und in den Agenturen waren hingegen mehrheitlich im Homeoffice. Dank einer guten IT und dem Engagement der Mitarbeitenden konnten wir während des Lockdowns den Betrieb weitgehend aufrechterhalten. Wir wollen unseren Versicherten auch in dieser schwierigen Phase eine gute Partnerin sein und sie administrativ und finanziell weitmöglichst entlasten – sei dies durch die Verlängerung von Zahlungsfristen, den Verzicht auf Mahnungen und Betreibungen oder den Erlass von Mietzinsen. Diesbezüglich gehörte die Suva zu den ersten Vermietern, die auf Unternehmen zugegangen sind. 

Wie sehen Sie die Rolle der Suva in der Corona-Pandemie? 
Als Sozialversicherung trägt die Suva auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Es freut uns, dass wir als Partnerin des Bundes mit unserem Wissen und unserer Erfahrung einen Beitrag zur Überwindung dieser Pandemie leisten können.