«Je einfacher das Alphabet, desto leichter ist es zu lesen.» Zu dieser Erkenntnis soll der spanische Maler Joan Miró in Japan gekommen sein, dessen Ausstellung im Berner Zentrum Paul Klee am Sonntag ihren letzten Tag hatte.
Man könnte auch sagen: Je einfacher ein Gesetz, desto leichter ist es, dafür eine Mehrheit zu finden. Keine hoffnungsvolle Erkenntnis für das Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG). Die politische Linke hat dagegen das Referendum ergriffen und mit der Unterschriftensammlung angefangen.
In den vorangehenden langwierigen Debatten der letzten Jahre war vor allem vom Umwandlungssatz, von der Eintrittsschwelle, den Zuschüssen für die Übergangsgeneration und dem unsäglichen, weil schwer verständlichen, Koordinationsabzug die Rede.
Kaum die Rede war aber von einer anderen einschneidenden Anpassung, von einem Geburtsfehler sozusagen, den man seit rund zwanzig Jahren erfolglos zu heilen versucht. Eben dieser Geburtsfehler könnte mit der neuen Reform zumindest teilweise kuriert werden, nämlich die mit dem Alter ansteigenden, prozentualen Lohnabzüge.
Heute betragen die obligatorischen Altersgutschriften 7, 10, 15 oder 18 Prozent vom versicherten Lohn. Sie sind je hälftig von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden beizusteuern. Der höchste Abzug von 18 Prozent gilt ab 55. Dies mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass über 55-jährige Angestellte bei gleichem Lohn und gleicher Qualifikation teurer zu stehen kommen als 50-Jährige. Auf dem Arbeitsmarkt befinden sie sich gegenüber jüngeren Arbeitskolleginnen im Nachteil.
Wer das Reglement seiner Pensionskasse studiert, wird unter Umständen feststellen, dass da höhere Prozentzahlen angegeben sind. Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen. Das heisst, dass mehr angespart wird, als obligatorisch vorgesehen. Daraus ergeben sich die überobligatorischen Guthaben.
Doch bei der Gesetzesrevision geht es nur um den obligatorischen, eben den gesetzlichen Teil. Würde das BVG nach den Vorstellungen des Parlaments in Kraft gesetzt, betrüge die Altersgutschrift bis zum 44. Altersjahr 9 Prozent, ab 45 wären es einheitlich 14 Prozent.
Niemand will ernsthaft bestreiten, dass das ein Fortschritt ist. Diese vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahme war denn in der Debatte überhaupt nicht bestritten. Und sie ist sogar noch besser als im Reformpaket 2020, das leider im September 2017 an der Urne keine Mehrheit gefunden hat.
Man kann die vom Parlament verabschiedete BVG-Revision gut finden oder schlecht. Wer sie wegen den angeblich zu wenig grosszügigen Zuschüssen, wegen der tieferen Eintrittsschwelle, des tieferen und neu lohnprozentualen Koordinationsabzugs oder des tieferen Umwandlungssatzes ablehnt, sollte nicht ausser Acht lassen, dass mit dem Nein zur Vorlage auch ein Nein zur Besserstellung der älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt einhergeht.
Die Kolumne «Gopfried Stutz» erschien zuerst im «SonntagsBlick» unter dem Titel: «Der unbestrittene Vorteil».