Ausbildung, Erwerbsleben, Ruhestand – lineare berufliche Lebenswege werden mit der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung immer mehr zum Auslaufmodell. Der Ausdruck «lebenslanges Lernen» erhält eine vielschichtigere Bedeutung; statt von Biografien sprechen Soziologen und Bildungsexperten von Multigrafien, die uns künftig prägen werden. «Bereits in der Kindheit und der Jugend werden mehrere Schlaufen durchlaufen», erklärt Hans Groth, VR-Präsident des mit der Universität St. Gallen (HSG) assoziierten World Demographic & Ageing Forum (WDA Forum). «Diese explorative Phase endet mit der Post-Adoleszenz und geht in die Rushhour des Lebens über.» Nach dieser, so Groth, folgt die Multigrafie der zweiten Lebenshälfte, die mit einem zweiten Aufbruch startet.
Frühpensionierung kein Rettungsanker mehr
Um einen solchen Aufbruch zu wagen, braucht es neben Mut und Energie auch regelmässige Auseinandersetzung mit Neuem, sei dies in Form von Aus- und Weiterbildungen oder learning on the job. Eigentlich wäre dies ab Mitte 40 bei allen Arbeitstätigen angezeigt, um die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. «Derzeit sinkt die Beteiligung an Weiterbildungen ab dem Alter 50 aber rapide», weiss Bildungsökonom Stefan Wolter, Professor an der Universität Bern. Der Grund? «Viele Arbeitnehmende haben das Gefühl, dass sie sich im schlimmsten Fall noch in eine Frühpensionierung retten können.»
Dieses in der Vergangenheit durchaus rationale Verhalten wird aus zwei Gründen obsolet werden: einerseits sinken die Aussichten auf eine gute Rente wegen der steigenden Lebenserwartung und der sinkenden Zinsen laufend, andererseits könnte der Staat bald gezwungen sein, das Rentenalter deswegen zu erhöhen. «Dies wird dazu führen, dass sich Investitionen in das Humankapital auch nach dem Alter 50 noch mehr lohnen werden», ist Wolter überzeugt.