Mit grosser Erleichterung schauen die Schweizer Lebensversicherer auf die Zinspolitik. Zum einen ist Inflation Gift für ein Geschäft, das vom langfristigen Sparen lebt. Zum anderen hat das langjährige, von den Zentralbanken bestellte Niedrigzinsumfeld die Ertragskraft ihrer Bilanzen nahezu erschöpft und das Geschäft mit Betriebsrenten ganz wesentlich erschwert.
Ordentlich wirtschaften
Vereinzelt hört man bereits von der Rückkehr zu positiven Garantien. Ausserdem haben die Schweizer Lebensversicherer auch in den letzten zehn Jahren gut verdient und – so lautet das Argument – «wenn wir es in den Jahren ohne Zinsen geschafft haben ordentlich zu wirtschaften, dann wird es mit etwas positivem Zins richtig lustig.»
So weit, so gut.
In ihrer berechtigten Freude sollten ihnen drei Aspekte allerdings zu denken geben:
- Im breiteren Markt für Vorsorge und Sparen hat die Lebensversicherung in den letzten zehn Jahren deutlich an Boden verloren. Während sich zum Beispiel das in Publikumsfonds investierte Vermögen der Haushalte von 2012 bis 2022 mehr als verdoppelt hat, haben sich die Reserven der Lebensversicherer im gleichen Zeitraum nicht von der Stelle bewegt. Das Wachstum in der Vorsorge Schweiz ging somit komplett an ihnen vorbei. Und doch waren sie in der Vergangenheit dank höherverzinslichen Anlagen und eigenen Immobilien in der Lage, den Kunden eine bessere Rendite in Aussicht zu stellen als Banken oder Asset Manager.
- Heute bekommt ein Sparer von seiner Bank 1,5 Prozent Zins mit minimaler Fristenbindung. Es wird Jahre dauern, bis der Deckungsstock der Lebensversicherer auf ein vergleichbares Renditeniveau nach Kosten kommt. Zu schwer wiegen die in den letzten zehn Jahren erworbenen, niedrig verzinsten Obligationen und Hypotheken. Mit jeder weiteren Zinserhöhung verbreitert sich erst einmal diese Kluft. Auch wenn die meisten Versicherer heute wieder ihre Bilanzen «anfüttern» möchten – aus Kundensicht ist die Veranlagung im Deckungsstock aktuell nicht interessant.
- Die traditionell hohe Kostenbelastung der Lebensversicherer im Privatkundengeschäft frisst einen Grossteil der aus den Anlagen erzielten Rendite. So erwirtschafteten die zehn grössten Schweizer Lebensversicherer in den letzten zwei Jahren aus ihren Anlagen zwar netto zwei Milliarden Franken, gleichzeitig betrug der Saldo aus ihren operativen Kosten und Gewinnen, den die Kunden schultern, fast fünf Milliarden: Ein Verlustgeschäft für die Kunden. Klammert man die fondsgebundene Versicherung, bei der die Kunden das Anlagerisiko bewusst selber tragen, aus, betrug die Differenz aus Anlageergebnis und Kosten Null: Der durchschnittliche Kunde hatte nichts von seiner Lebensversicherung.
Die steigenden Zinsen eröffnen der Lebensversicherung neue Horizonte. Die Schweizer Versicherer sollten gut überlegen, wie sie den neuen finanziellen Spielraum nutzen, für sich und für ihre Kunden.