Amerikanische Verhältnisse herrschen in der Schweiz zwar nicht, aber die Führungskräfte von Unternehmen sehen sich vermehrt dem Risiko ausgesetzt, für vermeintliches Fehlverhalten eingeklagt zu werden. Das hat der Organhaftpflichtversicherung, kurz Directors and Officers Liability (D&O), auch bei uns zum Aufschwung verholfen. Speziell nach der Finanzkrise sind die Policen in diesem Nischenmarkt deutlich häufiger gezeichnet worden. Das sorgte während eines Jahrzehnts für einen Käufermarkt. Die Versicherer boten hohe Kapazitäten an und lieferten sich einen harten Kampf über den Preis. Neue Anbieter heizten den Wettbewerb zusätzlich an.

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Vor drei Jahren aber drehte die Stimmung. Der bisher «weiche» Markt verwandelte sich in einen «harten» Markt. Auslöser für diese Entwicklung war eine zunehmende Schadenbelastung, aus gehend vom angelsächsischen Raum. Diverse Versicherer gerieten in die roten Zahlen. «Nicht nur die Schadenhäufigkeit, sondern auch die Schadenhöhe hat deutlich zugenommen, angetrieben von Schadenfällen in den USA», sagt Markus Haefeli, Gründungspartner der Haefeli & Schroeder Financial Lines.

Eingeschränktes Angebot

Die Corona-Pandemie hat die einsetzende Verhärtung im D&O-Markt unterstützt und beschleunigt. Für Pascal Schweingruber, Mitglied der Geschäftsleitung des Versicherungsbrokers Kessler und verantwortlich für Special Risks, war Covid-19 und die unsicheren wirtschaftlichen Aussichten in vielen Branchen «ein zusätzlicher Grund für die Versicherer, Risiken restriktiver zu zeichnen». Die Versicherungsgesellschaften haben nach dem Ausbruch der Pandemie eine markant höhere Zahl von Insolvenzen erwartet, speziell im Bereich der KMU. Entsprechend sehen sich die von der Krise am stärksten betroffenen Branchen – darunter etwa Hotels, Gastronomie, Reiseanbieter und Eventveranstalter – einem eingeschränkten Angebot gegenüber und sind mit Prämienaufschlägen konfrontiert.

Die Versicherer überprüfen bei den Unternehmen, wie stark das Geschäft und die Bilanz von der Pandemie direkt oder indirekt, etwa durch eine Unterbrechung der Lieferketten, betroffen wurde. Die Realität präsentiert sich allerdings nicht ganz so düster: Die staatlichen Hilfskredite und Kurzarbeitsentschädigungen haben bisher eine Pleitewelle verhindert. Zudem zogen die Konkursfälle nicht automatisch D&O-Ansprüche nach sich. Branchenkenner stufen das jährliche Prämienvolumen bei den D&O-Versicherungen in der Schweiz auf 150 bis 250 Millionen Franken ein.

Geringere Klagefreudigkeit

Für Branchenkenner haben die Anzahl und das Ausmass der Schadenfälle in den letzten Jahren leicht zugenommen, liegen jedoch auf einem nach wie vor moderaten Niveau. Das hängt auch zusammen mit der geringeren Klagefreudigkeit im Vergleich zu den USA und Grossbritannien. Den globalen Einflüssen kann sich die Schweiz aber nicht entziehen. Samuel Trost, Fachverantwortlicher Financial Lines bei Hesse & Partner, beobachtet bei den Schaden fällen allgemein einen Aufwärtstrend: «Treiber sind vor allem sogenannte Event-driven-Ansprüche wie Me Too und Cyberfälle.»

Dazu kommt die im angelsächsischen Raum bekannte Litigation Financing, eine Prozessfinanzierung durch Drittparteien (D&O-Versicherung), welche die Anzahl und vor allem die Kosten in die Höhe treibt. Versicherungsexperte Haefeli beobachtet überdies in den Vereinigten Staaten und auch in Deutschland eine erhöhte Schadenfrequenz durch interne Klagen der Unternehmen gegen die eigenen Organe. Dabei gibt es Leistungen von der D&O-Versicherung, zum Teil ohne dass die Haftung des handelnden Organs festgestellt werden müsste.

Limiten gesenkt

Wo sich vor wenigen Jahren die Anbieter noch mit niedrigen Prämien um eine Marktausweitung bemühten, verfolgen die in der Schweiz tätigen Versicherer jetzt keine Marktanteilgewinnung um jeden Preis. «Die Preise für D&O-Versicherungen sind je nach Anbieter um 20 Prozent bis 100 Prozent gestiegen», sagt Experte Schweingruber vom Versicherungsbroker Kessler. Nicht alle Anbieter haben ihre Preise am Markt jedoch durchdrücken können. Entsprechend kam es im letzten Jahr zu Verschiebungen bei den Marktanteilen.

Derzeit zeichnet sich insgesamt eine Konsolidierung ab. Die Versicherungsgesellschaften konzentrieren sich auf die Sanierung des Portfolios. Die Profitabilität steht momentan im Vordergrund, auch wenn bereits wieder Wachstumsziele definiert werden. Branchenkenner Markus Haefeli erwartet für die kommenden Jahre «eine Stagnierung und Stabilisierung der Prämien auf einem relativ hohen Niveau».

Weil das Angebot an D&O-Kapazität teilweise geringer ist als die Nachfrage, fehlen meist auch die Billigtarife. Die finanziellen Limiten haben sich für die KMU in der jüngsten Vergangenheit oft drastisch vermindert. Wo vor der Pandemie noch verfügbare Kapazitäten von 20 bis 25 Millionen Franken pro Versicherer durchaus üblich waren, sind es jetzt eher 15 Millionen Franken oder gar noch weniger.

Wachstumspotenzial bei KMU

Die börsenkotierten Unternehmen verfügen heute fast lückenlos über eine D&O-Versicherung. Bei den international tätigen Konzernen sind es meist Policen, die weltweit Leistungen umfassen. Zusätzliches Potenzial besteht im Bereich der KMU, wo nur rund jeder dritte Betrieb über eine solche Manager-Haftpflicht verfügt. Branchenkenner stufen das jährliche Prämienvolumen bei den D&O-Versicherungen in der Schweiz auf 150 bis 250 Millionen Franken ein. Dabei reichen die einzelnen Abschlüsse von weniger als 1000 Franken bis zu sechsstelligen Beträgen.

Als Faustregel errechnet sich die Jahresprämie mit 1 Promille der Versicherungssumme. Entscheidend ist jedoch, ob es künftig vermehrt Ausschlüsse bei der Versicherungsdeckung gibt. «Versicherungsgesellschaften haben zusätzliche Under-writing-Fragen, beispielsweise in Bezug auf neue Risiken, auf den Umgang damit und vor allem bezüglich Auswirkungen der Pandemie auf die finanzielle Stabilität und Liquidität der Unternehmen», sagt Finanzspezialist Samuel Trost. Bereits haben im Ausland einige Versicherer versucht, Klagen in Verbindung mit der Corona-Krise bei der Erneuerung auszuschliessen. Auf breiter Front hat sich das bisher nicht durchgesetzt.