Die Bilder der verheerenden Waldbrände in Kalifornien haben wir alle noch vor Augen: Aber nicht nur extreme Wetterereignisse halten die (Versicherungs-)Welt in Atem, auch andere Grossrisiken wie Cyberkriminalität, Erdbeben oder Pandemien bergen riesiges Schadenpotenzial. Nicht ohne Grund stand also die Versicherbarkeit solcher Grossrisiken sowie moderne Risikotragungskonzepte im Mittelpunkt des ersten Future Talks in diesem Jahr, zu dem das Institut für Versicherungswirtschaft (IVW) der Universität St. Gallen am Montag eingeladen hatte. Der Professor und geschäftsführende Direktor des IVW, Hato Schmeiser, begrüsste rund 100 Teilnehmende, die gespannt den Vorträgen der hochkarätigen Experten folgten. Das Thema ist eben im wahrsten Sinne des Wortes «brandaktuell». 

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«Zusätzliches Werkzeug in der Werkzeugkiste»

Den Reigen der Vorträge eröffnete Gerry Lemcke, Head Product Management und Director Private Sector bei Swiss Re. Er zeigte unter dem Titel «Indexbasierte Versicherungslösungen erweitern die Grenzen der Versicherbarkeit: Versicherung für das Nicht-Versicherbare?» auf, welche Möglichkeiten indexbasierte oder parametrische Versicherungslösungen weltweit bieten können. Im Gegensatz zu herkömmlichen Versicherungsformen bietet die parametrische Versicherung dem Versicherten eine im Voraus festgelegte Auszahlung, die ausschliesslich auf den physischen Parametern eines Ereignisses basiert.

Mit seinem 55-köpfigen Team hat er seit 2011 in zahlreichen Ländern rund um den Globus rund 1'400 Transaktionen für den öffentlichen Sektor realisiert. Das unterstreiche den Bedarf an diesen indexbasierten Versicherungslösungen in Bereichen und für Versicherte, die sonst nicht auf dem klassischen Versicherungsradar sind. Als Beispiel nannte er unter anderem einen Versicherungsschutz gefährdeter Arbeitnehmerinnen vor den Auswirkungen extremer Hitze in Indien in Zusammenarbeit mit der «Women’s Climate Shock and Insurance and Livelihoods Initiative (WCS)». 

Neben einer schnellen Schadenzahlung zählte Lemcke transparente Prozesse, die Nutzung von Daten und Technologien, eine flexible Verwendung der Schadenzahlung sowie Anpassung an die Kundenbedürfnisse und eine breitere Abdeckung als weitere Vorteile auf. «Mit einem Marktanteil von derzeit 3 % hat sich die parametrische Versicherung zu einem unverzichtbaren Instrument entwickelt», so Lemcke. Auch wenn sie derzeit stark gehyped werde, ist sie bereits seit den neunziger Jahren im Einsatz und wird traditionelle Versicherungslösungen auch in Zukunft nicht ersetzen. Sie sei ein zusätzliches Werkzeug in der Werkzeugkiste, um in ganz bestimmten Fällen eingesetzt zu werden. Damit erweitern sie die Grenzen der Versicherbarkeit und seien zudem preislich auf dem gleichen Niveau wie herkömmliche Versicherungslösungen.

Mit Poollösungen für Risikotransfer sorgen

Unter welchen Bedingungen Poollösungen sinnvoll sein können, zeigte anschliessend Hato Schmeiser auf. Ein Versicherungspool komme immer dann zur Anwendung, wenn andere Formen des Risikotransfers nicht verfügbar sind. Dann werden Risikogemeinschaften zwischen verschiedenen Erst- und Rückversicherungsunternehmen gebildet, die wirtschaftlich und rechtlich unabhängig sind. Sie werden den Ausführungen von Schmeiser zufolge teilweise auch in Form von Public Private Partnerships (PPP) ausgestaltet. Allerdings könnten solche Versicherungspools auch wettbewerbseinschränkend sein und kartellrechtliche Fragestellungen aufwerfen.

Gerade in der Schweiz gebe es mit dem Elementarschadenpool und dem Nuklearpool zwei prominente Beispiele. Den Elementarschaden-Pool, der die Sicherstellung einer ausreichenden Zeichnungskapazität für Elementarschäden zum Ziel hat, sieht er auch im internationalen Vergleich als Erfolgsmodell an. Der Nuklearpol könne aufgrund der Beteiligung des Staates sogar als Vorbild dienen für ähnliche Private-Public-Partnership-Modelle beispielsweise bei Erdbeben oder Pandemien. Was die Möglichkeiten für die Ausgestaltung eines Pandemiepools anbelangt, verwies er auf eine eigene in den USA durchgeführte Studie, der eine Prämienberechnung für Arbeitslosenversicherung, die bis zu einem Jahr bezahlt, wenn beispielsweise der Staat die Betriebe schliesst, zugrunde lag.

Der notwendige Sicherheitszuschlag in der Prämie liegt den Berechnungen zufolge rund 20 Prozent über dem Vergleichswert im Bereich des US-Naturkatastrophenmarktes. Der potentielle Versicherungsmarkt würde deshalb nur 3 bis 15 Prozent der von möglichen Schäden Betroffenen umfassen. Dies werfe die Frage auf, ob eine Pool-Pflichtversicherung mit staatlicher Beteiligung im Pandemiefall eine sinnvolle Lösung wäre. Grundsätzlich spreche dennoch vieles für einen Katastrophenpoolpool mit Beteiligung des Staates. Allerdings müssten für eine Umsetzung Problemfelder wie politische Begehrlichkeiten in schadenfreien Jahren, das Risikobewusstsein der Bevölkerung oder grosszügiger Einsatz von Steuergeldern in Krisenzeiten zur Seite geräumt werden. 

Unwetter, Cyber und Erdbeben bereiten Kopfzerbrechen

Ein weiterer Vortrag von René Harlacher, Chief Underwriting Officer der Zurich Schweiz, ging auf die «Versicherbarkeit von Toprisiken in der Schweizer Praxis» ein. Die Risikolandschaft haben sich in den vergangenen 15 Jahr stark verändert, wie der Global Risk Report zeige. Waren extreme Wetterereignisse 2010 noch knapp in den Top 10 der grössten Risiken, so stünden diese heute weltweit ganz oben auf der Liste. Daneben gebe es aber auch viele andere Risken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit hoch ist. So stünden für die Schweizer neben den Klimarisiken vor allem Cyber, Erdbeben und eine Pandemie ganz zuoberst auf der Gefahrenliste.

Damit die Versicherbarkeit eines Risikos ohne staatliches Eingreifen gegeben ist, müssten die Kriterien der Zufälligkeit und Unbeeinflussbarkeit, Risikoverständnis und Berechenbarkeit sowie Diversifizierbarkeit gegeben sein. In der Schweiz würden vor allem die Häufigkeit und Intensität von Starkregen, Überschwemmungen und Hagelereignisse den Versicherern Kopfzerbrechen bereiten. Allein bei der Zurich verursachten Unwetter in den vergangenen vier Jahren Schäden von über 400 Millionen Franken. 

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Aber auch die Schäden bei Unternehmen durch Cyberkriminalität hätten in den vergangenen Jahren exponentiell zugenommen. So wurden laut Bundesamt für Cybersicherheit ersten Halbjahr 2024 beispielsweise 50 Prozent mehr Cyber-Vorfälle registriert als im Vorjahreszeitraum - die Schäden gehen weltweit mittlerweile in die Milliarden. Für die Versicherungsindustrie sei es deshalb elementar, dass die Sensibilität bei Unternehmen für Versicherungsschutz und Prävention erhöht werde, um ihre Resilienz zu erhöhen.

Zum Schluss ging Harlacher noch auf das Erdbebenrisiko ein, das in der Schweiz sehr hoch sei und immer noch unterschätzt werde. Lediglich 13-14 Prozent der Gebäudeeigentümer hätte eine entsprechende Deckung. Das Risiko sei aber sehr gut versicherbar, da es den vorher genannten Kriterien entspreche. Die viel diskutierte Eventualverpflichtung führe allerdings in eine falsche Richtung, da sie wie eine zusätzliche Steuer wirke. Stattdessen könne das Erdbebenrisiko auch als 10. Gefahr in den Elementarschadenpool aufgenommen werden. 

Im anschliessenden von Hato Schmeiser moderierten Panel diskutierten Gerry Lemcke, René Harlacher und Eduard Held, Geschäftsführer Elementarschadenpool und Fachverantwortlicher Rückversicherung des SVV, über die Bedeutung von Poollösungen, verlässlichen Datengrundlagen, Künstliche Intelligenz und die Toprisiken für Schweizer Versicherer. Angesichts der gestiegenen Gefahrenlage und des Kumulrisikos seien manche Risiken kaum noch versicherbar, die Versicherungslücken würden steigen, lautet eine Erkenntnis der Diskussion.