Anfang März flatterte eine Nachricht in Hunderte virtuelle Postfächer: 47 Partnerinnen und Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung gründen die Swiss Metaverse Association. Ziel sei, sich «gemeinsam für ein weltweit führendes Schweizer Metaverse-Ökosystem» stark und «die Schweiz als Zukunftsstandort für Metaverse zu einem der weltweit besten» zu machen. Zu den ersten Themen, denen man sich proaktiv stellen will, gehören: Steuern, das industrielle Metaverse, Regulierung, Kunst und Kultur, Versicherung und Banking, Technologie und Infrastruktur, Health, Tourismus und Sport sowie Forschung und Bildung. Ein umfassender Katalog mit einer grossen Hoffnung verbunden, was das Metaverse in Zukunft in diesen Bereichen leisten kann.
Die Autorin: Sita Mazumder ist Professorin für Business und IT an der HSLU, Unternehmerin sowie Verwaltungsrätin der Helsana.
Die Zeichen stehen auf Vollgas
Aktuell wird das virtuelle Paralleluniversum als Antwort auf alle weltlichen Probleme präsentiert. Die eierlegende fliegende Wollmilchsau, wenn man Unternehmen wie zum Beispiel Bloomberg Intelligence glauben darf. Laut dem Finanzdienst wird das Geschäft mit dem Metaversum im Jahr 2030 bei 800 Milliarden Dollar liegen. McKinsey & Company ist noch ein wenig optimistischer und meint, dass das Potenzial des Metaverse im Jahr 2023 bereits einen Wert von bis zu 5 Billionen Dollar erreichen kann. E-Commerce sei der grösste Treiber innerhalb der virtuellen Welt, gleich danach soll zukünftig das «lebenslange Lernen» eine globale Heimat finden. Bildungsinstitutionen wie zum Beispiel das Korean Advanced Institute of Science & Technology (Kaist) hat für September dieses Jahres einen weltweiten virtuellen Campus angekündigt. Ziel ist, die Reichweite über die eigenen Landesgrenzen hinweg signifikant auszudehnen. Und der Pharmariese Novartis schult schon jetzt seine Mitarbeitenden und Studierende mittels realitätsnaher Multiplayer-VR-Simulation. Sprich: In virtuellen Laboren treffen Auszubildende auf Ausbildende und lernen, «praktisch» wichtige medizinische Prozesse sauber durchzuführen.
Die Realität zieht die Handbremse an
Doch schnell ein Rückblick: Im Jahr 1992 schrieb Neal Stephensons den Science-Fiction-Roman «Snow Crash». Eine fiktive Geschichte über programmierbare Avatare und Softwareagenten, die in einem dreidimensionalen Raum ihr Dasein fristen. Um sich einsperren zu lassen, kauften diese Agenten der Global Multimedia Protocols Group eine Immobilie ab. So weit, so schlecht. Daher schrieb die NZZ auch in ihrer damaligen Rezension: «Wer (eine visionäre Auseinandersetzung mit einer zukünftigen Gesellschaft und ihren Technologien) sucht, greift besser zu den Klassikern des Cyberpunk …»
Rund dreissig Jahre nach diesem einigermassen wirren und vor allem fiktiven Werk von Stephensons soll die Parallelwelt Metaverse die reale Welt nun zu einem besseren Ort machen. So jedenfalls verkauft Mark Zuckerberg das Metaverse und proklamiert weiterhin, dass es richtig war, Facebook in Meta umzubenennen, um sich gleich die Marktführerschaft zu sichern. Derweil rudern andere Unternehmen bereits zurück. Walt Disney hat beispielsweise im Februar 2023 gleich das ganze fünfzigköpfige Metaverse-Team auf die Strasse gesetzt. Und Zuckerberg habe seit der Umbenennung seines Unternehmens rund 70 Milliarden Dollar seines Vermögens eingebüsst, also knapp 50 Prozent seines privaten Vermögens. Stand 2022.
Und am Ende soll es eine Ergänzung sein
Nun also die Frage: Wird Metaverse, dass eigentlich Metaversen heissen müsste, weil es mehr als nur eines gibt, der Ort, an dem wir zukünftig lernen werden? Doch die zugrunde liegenden Fragen zuerst: Was ist Bildung? Der engere Rahmen der institutionellen Bildung auf allen Stufen? Der grössere Rahmen als Entwicklung eines Menschen? Je nach Verständnis bietet das Metaverse – wenn es denn mal unser aller zweite Virtuellwelt ist – Möglichkeiten, aber auch Grenzen. Zweifelsohne, die Digitalisierung hat die Art, wie wir lernen, uns weiterbilden, neuen Dingen auf den Grund gehen, Informationen beschaffen und verarbeiten und so vieles mehr, verändert. Sie hat Bildung im engeren und erst recht im weiteren Sinne, aber auch komplizierter, weil komplexer gemacht. Informationen stehen uns rund um die Uhr und realtime zur Verfügung. Informationen zu qualifizieren, daraus fundiertes Wissen zu generieren und dieses in der realen Welt nutzbringend und mit Werten verbunden einzusetzen, ist eine andere Kiste. Natürlich, wir könnten uns nun allein auf die Systeme verlassen, die uns für alles und jedes Anweisungen und Entscheide geben. Die Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz gehen stark in diese Richtung. Die Frage ist, ob wir das als Gesellschaft, als menschliche Wesen wollen. Ist die Antwort Nein, braucht es weiterhin den Teil der Bildung, der das direkte Persönliche miteinschliesst.
Die Metaversen sollten deshalb im Bildungsbereich zu einem weiteren Werkzeug werden. Zu einem virtuellen Klassenraum, in dem kollaboratives Lernen funktionieren wird. So haben Microsoft mit «Hololens 2» oder Meta mit «Meta Immersive Learning» bereits spannende Tools dafür auf den Markt gebracht. Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch – um die Mixed Reality. Zum einen haben wir während der Pandemie erlebt, wie sich der rein virtuelle Kontakt über einen längeren Zeitraum anfühlt und welche Konsequenzen die Abwesenheit von persönlichen Begegnungen hat: In der Schweiz durchgeführte Studien haben gezeigt, dass besonders junge Menschen und Menschen mit psychischen Vorbelastungen sehr stark unter der Isolation gelitten haben. Zum anderen erleben wir eine Zeit, in der rationale Entscheidungen zunehmend durch Systeme getroffen oder zumindest unterstützt werden. Wir sehen aber auch, wie zunehmend wichtig soziale und emotionale Intelligenz werden. Und genau hier ist der persönliche Kontakt, die menschliche Interaktion ein unersetzbarer Erfolgsfaktor.
Echtes Leadership braucht dann doch die angefasste Realität
Metaverse wird die Art, sich zu bilden, um ein interessantes und vor allem vielfältiges Tool ergänzen. Es wird zu einer Bildungsmöglichkeit, soll aber niemals Bildung im weiteren Sinne sein. Ein Avatar wird ein schlauer Kopf werden, der in der Lage sein wird, sich täuschend echt mit anderen Avataren völlig ortsunabhängig auszutauschen. Gemeinsam werden diese mittels Gamification neue Dinge lernen und – weil es so täuschend echt daherkommt – vielleicht auch das Gefühl haben, die Dinge dank Metaverse irgendwie auch praktisch zu erleben, selbst wenn man daheim im eigenen Wohnzimmer steht oder im Homeoffice am Schreibtisch sitzt. Aber umfassende Bildung, welche beispielsweise echtes Leadership fördern soll, braucht mehr als eine gute Inszenierung. Es braucht den persönlichen Austausch und Kontakt, es braucht das Leben und das Erleben auch in der realen Welt.
Dieser Beitrag ist erstmals am 25. Mai 2023 im HZ-Insurance-Special «Metaverse» erschienen.