Um in einem virtuellen Bewerbungsgespräch «eine Falle zu machen», muss dann auch der Avatar «passend» angezogen sein. Das Metaverse dürfte laut Analysten einen intensiveren Wettbewerb um die attraktiven Positionen und auch eine höhere Fluktuation bringen, weil sowohl Jobanwärterinnen und Stellenanwärter als auch die Vermittler und Headhunter viel mehr Optionen haben. Hinzu kommt, dass es in zwei, drei Jahren ganz neue Jobprofile geben wird, die man heute noch nicht kennt. Influencer beispielsweise entstanden in den vergangenen Jahren erst mit ganz bestimmten Arten sozialer Netzwerke – und hier auch erst, als diese begannen, sich zu kommerzialisieren.
Digitalisierung und Datenanalytik verändern nicht nur die Wertschöpfungskette der Versicherungsbranche, sondern auch die Arbeitswelt. Gemäss dem diesjährigen Trendradar der Munich Re ist das Metaverse einer der Top-Trends im Bereich der Hyperconnectivity.
Die Steuerung komplexer Maschinen und Prozesse – ein geläufiges zukünftiges Jobprofil – wird sich möglicherweise zukünftig virtuell von irgendwoher auf der Welt handhaben lassen. Im Metaverse sind dann die exakten digitalen Zwillinge der Originale präsent und wenn einzelne Elemente im Metaverse verändert beziehungsweise verschoben werden, wird das entsprechend auch in der realen Welt erfolgen. Auch der gewohnte Schwatz am Kaffeeautomaten mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen könnte aussterben. Denn die Arbeit im Metaverse ist grundsätzlich von überall aus möglich. Wobei: Natürlich wird der gewohnte Schwatz weiterhin stattfinden – aber eben im Metaverse. Der «richtige», weil physische Kaffee wird dann jeweils individuell in der realen Welt genossen (oder auch vergossen).
Es zeigen sich jetzt schon die neuen Herausforderungen mit der Handhabung der dannzumal anfallenden Daten der Mitarbeitenden. Modernste Brillen für das Metaverse haben auch Sensoren, welche die Augenbewegungen und damit das Interesse und die geistige Präsenz der Mitarbeitenden in Metaverse-Sitzungen nachverfolgbar machen.
Avatare stellen Avatare ein
Gegen wen sich ein Streik im Metaverse richten wird, ist ebenfalls eine offene Frage. Denn Unternehmen werden sich in einer Metaverse-Wirtschaft laut den Experten des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group (BCG) auch anders organisieren und ihre Jobs anders verteilen als bisher. Erste konkrete Anwendungen sind vielversprechend: Gemäss einer Überschlagsberechnung von BCG könnten grosse Detailhandelsketten allein mit einer verbesserten Einarbeitung und Ausbildung ihres Personals ihre Margen um bis zu 2 Prozentpunkte verbessern. Und dabei sind längst nicht die weiteren Potenziale, die sich mit digitalen Geschäften und verbesserten Lieferketten erzielen lassen, ausgeschöpft.
Längerfristig wird man sich die Frage stellen, ob hinter jedem Avatar ein Mensch stehen muss – oder ob es nicht zweckmässiger ist, beispielsweise für den Nachtservice den Avatar durch ein Computersystem steuern zu lassen. Spätestens wenn Computer andere Computer bei Einstellung-Assessments treffen, werden die HR-Drehbücher für die Einstellung neu geschrieben werden.
Dieser Artikel ist unter dem Titel «Dresscode der Metaverse-Arbeitswelt» erstmals erschienen in der «Handelszeitung» vom 25.08.2022.