Im Supermarkt ist es klar. Bioprodukte gelten als nachhaltig und kosten deshalb mehr. Beim Kauf einer Waschmaschine zeigt ein einfaches Label an, wieviel Energie und Wasser sie verbraucht.

Zur Person

Lukas Stricker ist Dozent und Studiengangsleiter des MAS Insurance Management am Institut für Risk & Insurance der ZHAW School of Management & Law. Der Schwerpunkt seiner Forschung und Lehre liegt auf Themen der digitalen und der Nachhaltigkeitstransformation im Versicherungswesen.

Das erleichtert einen informierten Kaufentscheid gemäss den eigenen Präferenzen. Doch wie sieht die Lage bei Versicherungspolicen aus? Wir haben dazu in einer umfangreichen Studie Privatkundinnen und -kunden in der Schweiz befragt. Das Resultat ist auf mehreren Ebenen ernüchternd:

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  • Über 40 Prozent der Befragten können nicht beurteilen, ob sich ihre Versicherung im Bereich Nachhaltigkeit engagiert. Nur 22 Prozent sehen ihre Versicherung dabei klar positiv.
  • Die einzelnen Versicherer können sich bei diesem Thema in den Augen ihrer Kundschaft nicht abheben.
  • Generell ist das Vertrauen in die Versicherungen bezüglich Nachhaltigkeit nicht besonders ausgeprägt. Der Verdacht des «Greenwashings» lastet wohl auch auf den Versicherern.
  • Entsprechend sind nur 16 Prozent der Befragten bereit, für eine nachhaltige Versicherung mehr zu bezahlen. Bei weiteren 50 Prozent ist das Thema wichtig, aber nur in Kombination mit dem Preis. Die Bereitschaft ist bei der besonders kaufkräftigen Gruppe der 35-54-jährigen sogar noch geringer.

Was können die Gründe sein?

«Nachhaltigkeit ist in der Versicherung sehr abstrakt», sagt Corina Grünenfelder, Leiterin Sustainable Finance beim Audit- und Beratungsunternehmen EY. «Kunden fragen sich: Worauf muss ich achten? Dass die Rechnung elektronisch statt auf Papier versandt wird, kann ja nicht alles sein. Verstehe ich, wie die Prämien angelegt werden? Erhalte ich im Schadenfall einen ökologischeren Ersatz? Hilft mein Versicherer, mich auf Umwelt- oder soziale Veränderungen vorzubereiten?», erläutert Grünenfelder. Die Vielfalt an Themen kann verwirren. Für eine solche Diskussion mit ihren Kundinnen sind die Kundenberater auf den Agenturen auch nicht vorbereitet. «Das durchaus starke Engagement der Versicherer findet im Moment wenig Widerhall bei den Kunden», sagt Claudio Stadelmann, Partner beim Management- und Technologieberater BearingPoint. «Das Thema wird von spezialisierten Teams vorangetrieben, ist aber in der Breite der Organisation noch nicht angekommen». Hinzu kommt, dass die Versicherung als Teil des Finanzmarktes einen limitierten Vertrauensvorschuss bezüglich des sozialen Engagements geniesst. «Kein Wunder ist zurzeit fast niemand bereit, für eine nachhaltige Police mehr auszugeben», erklärt Stadelmann.

Soziale Themen nicht vernachlässigen

Die Nachhaltigkeitsdebatte ist oft auf den Klimawandel beschränkt. Die Umfrage zeigt jedoch, dass Herr und vor allem Frau Schweizer in der Priorisierung der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN den sozialen Themen in 57 Prozent der Antworten eine höhere Bedeutung beimessen als den Umweltthemen in 31 Prozent. Wie die Versicherung als Arbeitgeber wahrgenommen wird, spielt für die Gesamtwahrnehmung in Bezug auf Nachhaltigkeit eine erhebliche Rolle. Ebenso das soziale Engagement im näheren Umfeld. Möglicherweise geniessen die genossenschaftlich organisierten Versicherer hier einen «natürlichen» Vorsprung gegenüber den imagemässig vorbelasteten «Konzernen».

Integration ins Kerngeschäft

Trotz der erwähnten Schwierigkeiten gibt es ein erhebliches Potenzial für die Versicherer, mit dem Thema Nachhaltigkeit zu punkten. Denn eigentlich liegt Nachhaltigkeit dem Versicherungsgedanken im Sinne des sozialen Ausgleichs innerhalb und über Generationen hinweg sehr nahe. Auch sollten Versicherer als Profis im Risikomanagement Möglichkeiten finden, diese Expertise mit ihren Kunden zu teilen. Angebote, wie man sich vor Naturgefahren schützen oder mit ihnen besser umgehen kann, wurden in der Umfrage höher gewichtet, als Aktivitäten, die darauf abzielen, den eigenen ökologischen Fussabdruck zu verkleinern. Wichtig ist dabei auch der Schadenfall als Moment, bei dem sich das bislang virtuelle Versicherungsprodukt materialisiert. Wie wird ein beschädigtes Gut nun behandelt? Im Sinne der Kreislaufwirtschaft repariert statt ersetzt? Und wenn, wird es mit einem ökologisch höherwertigen Produkt ersetzt, auch wenn dieses mehr kostet? Hier können Versicherer in ihrer Produktgestaltung und mit ihren Vertragspartnern klare Akzente setzten, die bei der Kundschaft auch wahrgenommen werden, da sie einen klaren und persönlichen Bezug haben. 

Wie könnte es weitergehen?

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema in vielen Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen von Schweizer Versicherern. Spezialisierte Teams arbeiten national und international an zahlreichen Initiativen mit. Die Investmentabteilungen beschäftigen sich meist intensiv mit der Frage des nachhaltigen Anlegens. Die umfangreiche Nachhaltigkeitsberichterstattung legt beredtes Zeugnis davon ab. Die vorgelegte Studie legt nahe, dass der nächste Schritt für die Versicherer darin bestehen muss, Nachhaltigkeit an die Kundenfront zu bringen, um dort die Transformation der Wirtschaft zu unterstützen.

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Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Mitarbeitenden sowohl im Vertrieb wie auch im Schaden und im Underwriting auf das Thema geschult werden. Zur Vereinfachung der Kommunikation mit den Kunden sollte sich die Branche in Zusammenarbeit mit glaubwürdigen Partnern auch überlegen, ein Nachhaltigkeitslabel einzuführen.