Die Mammutaufgabe steht den Kreditgebern noch bevor, weil bei digitalisierten Produkten die kundenseitigen Vergleichs-, Entscheidungs- und Kaufprozesse komplett anders funktionieren als bei analogen Angeboten.
Gut vergleichen kann man die Digitalisierung der Hypothek mit der Entwicklung bei den Reisebüros in den letzten 20 Jahren. Während früher vor jeder grösseren Reise eine Beratung im Reisebüro der Normalfall war, läuft heute ein Grossteil der Flug-, Hotel-, und Mietautobuchungen über Vergleichsportale im Internet. Während alleine über die Online-Plattform Booking.com im letzten Jahr mehr als 500 Millionen Übernachtungen gebucht wurden, kämpfen lokale Reisebüros ums Überleben.
Genau wie früher bei den Reisebüros ist heute bei Hypotheken ein Angebots- und Preisvergleich nur schwer möglich, weil eine grosse Intransparenz herrscht. Kommt hinzu, dass es kaum unabhängige Beratungsmöglichkeiten gibt. Sogar Hypothekenmakler, die ihre Unabhängigkeit in der Beratung gerne betonen, sind oft nur ein verlängerter Arm der Finanzindustrie. Sie finanzieren sich durch Vertriebsprovisionen und sind so im selben Boot wie Banken und Versicherungen, mit denen sie sich die Gewinne teilen.
Kundenakquise, Produktmanagement, Beratung, Kundenbetreuung und viele weitere Aufgaben werden von Kreditgebern heute oft integral angeboten. Der grosse Vorteil dieses Geschäftsmodells liegt darin, dass Kreditgeber ihre Kunden gut kennen und dadurch deren Zahlungsbereitschaft abschöpfen können. Es kommt zwar oft eine risikoadjustierte Zinsgestaltung zur Anwendung. Welchen Zinssatz ein Kunde für seine Finanzierung erhält, hängt aber zu einem Grossteil davon ab, wie gut er verschiedene Angebote vergleicht und verhandelt.
Wer meint, digitale Hypotheken seien vor allem günstiger, weil die Prozesskosten tiefer sind, unterschätzt die Macht der Intransparenz bei der Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft der Kunden im analogen Hypothekargeschäft. Der Vergleich von Hypotheken ist so wichtig, dass er sich in der digitalisierten Welt zu einem separaten Glied der Wertschöpfungskette mausern dürfte. Das heutige Geschäftsmodell, bei dem (zu) teure Hypotheken Gratisberatung quersubventionieren, wird langfristig an Relevanz verlieren. Transparente und unabhängige Honorarberatung wird von der Auftrennung der Wertschöpfungskette aber profitieren.
Wer meint, digitale Hypotheken seien günstiger, weil die Prozesskosten tiefer sind, unterschätzt die Macht der Intransparenz bei der Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft.
Die Geschichte zeigt, dass selten die Platzhirsche einer Branche die digitale Transformation anstossen. So wird es Startups oder heutigen Nischenplayern einfacher gelingen, sich zu spezialisieren und einzelne Teile der digitalisierten Hypotheken-Wertschöpfungskette kundenorientiert anzubieten. Auch wenn durch die eigenen Online-Hypotheken der Banken der Start der Digitalisierung erst möglich wurde, wird der Direktvertrieb dieser «Einzelkämpferprodukte» in den nächsten Jahren an Wichtigkeit verlieren. Dies hängt damit zusammen, dass digitale Produkte selten direkt im Online-Kanal des Herstellers, sondern über heterogene Plattformen gekauft werden. Vorgemacht haben das Zalando bei Kleidern, Booking.com bei Hotelbuchungen und Amazon bei Büchern.
Banken und Versicherungen sollten sich Gedanken darüber machen, auf welche Teile der Wertschöpfungskette sie sich spezialisieren wollen. Honorarberatung, offene Produktarchitektur, Schnittstellen und Kooperationen mit Online-Plattformen sind dabei nur die offensichtlichsten Trends, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Wie die Reisebranche zeigt, wird erst am Schluss der digitalen Transformation abgerechnet: Nach vielen kleinen Reisebüros ging im letzten Jahr Thomas Cook als einer der ältesten und grössten Reiserveranstalter in Konkurs. Deshalb tun auch im Hypothekarbereich alle Beteiligten gut daran, sich auf die neue digitale Realität einzustellen.
Florian Schubiger ist Mitgründer der unabhängigen Hypothekenplattform www.hypotheke.ch sowie der VermögensPartner AG.