Herr Chabert, welche firmenspezifischen Risiken sind bei Alcon weit oben auf dem Radar im Risikomanagement?
Das kann ich Ihnen nicht im Detail sagen. Wir haben konzernintern zwar einen ausführlichen Risikoreport, der ist allerdings vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Grundsätzlich ist es aber so, dass das Augenmerk – wie bei den meisten multilateralen Konzernen – auf bekannte Risiken gerichtet ist wie Währungsrisiken, Lieferketten, Cyber, KI, Business-Continuity.
Pierre-Louis Chabert ist Direktor des Bereichs Versicherung und Risk-Management bei Alcon, einem weltweit tätigen Pharmaunternehmen auf dem Gebiet der Augenheilkunde. Alcon erzielt mit über 25’000 Beschäftigten knapp 9,5 Milliarden Dollar Umsatz. Der Sitz des Konzerns ist in Freiburg sowie in Vernier bei Genf. Die operative Hauptzentrale ist im texanischen Fort Worth, wo das Unternehmen 1945 gegründet wurde. Chabert – der früher als Broker tätig war – ist nebenberuflich Vorstandsmitglied in der Swiss Association of Insurance and Risk Managers (Sirm), in der rund hundert Unternehmen aus Industrie, Handel und dem Dienstleistungssektor organisiert sind.
Bis zu welchem Niveau werden Risiken selber getragen?
Auch hier will ich keine genauen Angaben geben, aber das Ausmass, in dem wir Risiken über die Bilanz selber tragen, hängt in der Regel von mehreren Faktoren ab. Theoretisch gehören dazu die Höhe der verfügbaren Barmittel zur Deckung unvorhergesehener Schadensselbstbehalte und die Prämieneinsparungen, die durch die Wahl höherer Selbstbehalte erzielt werden.
Und praktisch?
Nun ja, in der Praxis bevorzugen Entscheidungsträger wie CFOs oft eine niedrigere Selbstbeteiligung, um Ungewissheit und finanzielle Belastung zu vermeiden, die mit der Selbstfinanzierung eines Schadens einhergehen.
Ein klassischer Zielkonflikt.
Nicht unbedingt. Dieser Ansatz schafft ein Gleichgewicht zwischen dem Wunsch nach Prämieneinsparungen und dem Bedürfnis nach finanzieller Stabilität und Vorhersehbarkeit.
Wann binden Sie Brokern mit ein?
Wir haben zwei Ansätze: Nutzung von Wissen und Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Wir nutzen das Fachwissen und die Erkenntnisse der Broker, indem wir aus ihrem Portfolio ähnlicher Risiken Kapital schlagen. Broker spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des Versicherungsprogramms, um optimale Ergebnisse zu erzielen. So ermitteln sie die besten Zugangspunkte zu den Versicherern, optimieren die Layer, also die Deckungsebenen, und entwickeln Strategien zur Risikodifferenzierung. Einige Broker verwenden ihre eigenen Formulierungen, während andere sich an das Wording der Versicherer anpassen. Ihr Verständnis der Branchentrends und ihre Erfahrung mit unseren Branchenkollegen werden bei der Aushandlung spezieller Klauseln, wie etwa der jüngsten Pfas- oder Kriegsausschlüsse, sehr geschätzt.
Was sind Pfas?
Das ist die Abkürzung für «Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen», das sind schwer abbaubare Chemikalien.
Wie sieht Ihr Ansatz zur Inanspruchnahme von Brokerdienstleistungen aus?
Nun, die Broker koordinieren die Umsetzung des Hauptversicherungsprogramms und fungieren als zentrale Anlaufstelle für unser Risikomanagementteam. Sie nutzen ihre lokalen Niederlassungen, um regionale Fragen zu beantworten, was den Prozess rationalisiert und die Arbeitsbelastung des Versicherungs- und Risikomanagementteams von Alcon verringert. Wir verlassen uns auch auf ihre Benchmarkingdienste, die zwar nicht das einzige Kriterium für die Festlegung einer Risikotransferstrategie sind, aber eine fundierte Entscheidungsfindung unterstützen. Darüber hinaus ist einer unserer Makler vom Versicherer zur Delegation von Schadensansprüchen ermächtigt, was den Verwaltungsaufwand von Schadensansprüchen erheblich verringert.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Brokern gemacht?
Da ich selbst als Makler tätig war, habe ich sowohl die positiven als auch die schwierigen Aspekte der Branche kennengelernt. Im Grossen und Ganzen handelt es sich um ein menschenzentriertes Geschäft, was bedeutet, dass die Qualität der Dienstleistung stark von den beteiligten Personen abhängt. Positiv ist, dass man enge Beziehungen zu den Brokern aufbauen kann, was eine effiziente Delegation von Aufgaben und einen schnellen Zugang zu Fachwissen und technischer Unterstützung ermöglicht, was wiederum grosses Vertrauen schafft.
Sehen Sie auch kritische Aspekte?
Ja. Die Branche scheint derzeit vor dem Problem des Fachkräftemangels zu stehen, verbunden mit Personalfluktuation. Daher ist es für Risikomanager wichtig, das Dienstleistungsangebot regelmässig im Rahmen von Ausschreibungen zu bewerten. Dies, um sicherzustellen, dass es auch weiterhin unseren Anforderungen entspricht.
Lassen sich spezifische Branchenrisiken eigentlich immer versichern?
Leider nein. Systemische Risiken und Grossereignisse sind oft die Ersten, die mit Deckungsproblemen konfrontiert sind. Pfas ist ein aktuelles Beispiel, bei dem die Versicherer das «Vorsichtsprinzip» anwenden. Anstatt eine Risikodifferenzierung vorzunehmen, legen sie pauschale Ausschlüsse mit wenig Verhandlungsspielraum fest.
Wie bei Cyber.
Genau. In ähnlicher Weise wurden bei Cyberrisiken Ausschlüsse für Krieg und weit verbreitete Ereignisse vorgenommen. Das jüngste Crowdstrike-Problem wird wahrscheinlich weitere Diskussionen bei der nächsten Erneuerung auslösen. Einige Versicherer erwägen weitreichende Ausschlüsse von der Cyberdeckung, während andere vorschlagen, separate Versicherungsprodukte zu schaffen.
Ergibt das Sinn?
Ich bezweifle das. Denn wenn die Versicherbarkeit der Grund für die ursprünglichen Ausschlüsse war, kann man den Nutzen der Einführung eines weiteren Produkts infrage stellen. Aus der Sicht eines Risikomanagers scheint dieser Ansatz nicht kundenorientiert zu sein.
Sind Versicherer in den letzten Jahren zurückhaltender geworden?
Sie sind in der Tat vorsichtiger geworden. Einige wenden auf bestimmte Risikokategorien wie erwähnt das Vorsichtsprinzip an, was eher zu weitreichenden Ausschlüssen als zu einer nuancierten Risikodifferenzierung führt. In einem harten Markt haben viele Versicherer jetzt interne Underwriting-Ausschüsse, die unabhängig von Risikomanagern und manchmal sogar von Brokern Entscheidungen treffen. Dies kann für Risikomanager frustrierend sein. Selbst wenn ein Versicherter erhebliche Anstrengungen zur Risikodifferenzierung unternommen hat und die Underwriter zu überzeugen scheint, kann die endgültige Entscheidung immer noch von der Einschätzung des Underwriting-Ausschusses abweichen.