Trotz Umverteilung, sinkenden Umwandlungssätzen und nach wie vor steigender Lebenserwartung haben es Reformen in der Altersvorsorge schwer. Warum eigentlich?
Mattea Meyer: Die Menschen waren immer bereit, der AHV mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um die solidarisch finanzierte Altersvorsorge zu sichern und auszubauen. Sie wehren sich hingegen zu Recht, wenn ihre Renten gesenkt werden sollen. Mit dem Sozialpartner-Kompromiss liegt nun ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, der die Renten in der zweiten Säule sichert, die Rentensituation für Menschen mit niedrigen Einkommen verbessert und die finanzielle Situation stabilisiert. Die Bürgerlichen torpedieren aus ideologischen Gründen diesen Kompromiss, weil sie keinen solidarisch finanzierten Rentenzuschlag wollen. Sie diesen lieber den Banken und Versicherungen zu, die ihre Säule-3a-Produkte verkaufen wollen.
Andri Silberschmidt: Das Drei-Säulen-System ist meiner Meinung nach bestechend gut. Jede Säule hat ihre eigenen Vor- und Nachteile wie auch Herausforderungen. Anstelle dass man diese frei von Ideologie modernisiert, versuchen linke Parteien und Gewerkschaften, die zweite Säule zu schwächen. Ihr Ziel ist eine Volkspension, das heisst nur noch eine Säule, die eine sehr hohe Rente auszahlt – finanziert durch viel mehr Steuern und Umverteilung. Weil sie das System umkrempeln wollen, setzen sie sich leider oft gegen sinnvolle Verbesserungen innerhalb des Systems ein.
Mein Anspruch ist es, mehrheitsfähige Vorlagen zu schaffen, denn als Parlamentarier bin ich für das Finden von Lösungen gewählt worden.
Dieser Artikel ist Teil der Market Opinion «Private Vorsorge – (k)ein Tabuthema», die in Zusammenarbeit mit der Sammelstiftung Vita realisiert wurde.
Im Zusammenhang mit der Altersvorsorge wird oft das Wort «Generationengerechtigkeit» erwähnt. Ist das eine Utopie oder ein realistisches Ziel?
Andri Silberschmidt: Generationengerechtigkeit heisst für mich, dass jede Generation ihren fairen Anteil zur Sicherung der Renten leistet. Das darf keine Utopie sein, sondern sollte unser Handeln in der Politik bestimmen.
Heute ist die Last sehr ungleich verteilt. Trotz der vom Volk angenommenen Reform fehlen in den kommenden 30 Jahren rund 100 Milliarden Schweizer Franken. Diese Kosten dürfen nicht einseitig der jungen Generation über höhere Steuern weitergegeben werden. Eine Motion von mir fordert, dass die AHV 2050 ausgewogen finanziert sein soll, also kein Defizit vorweisen darf. Sie wurde vom National- und Ständerat angenommen. Damit wird Generationengerechtigkeit zum realistischen Ziel.
Mattea Meyer: Ich wehre mich dagegen, dass meine Generation gegen die ältere ausgespielt wird. Die Höhe der Renten und die Ausgestaltung des Rentensystem ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass das Versprechen der Bundesverfassung endlich Realität wird: eine existenzsichernde AHV für alle. Die Initiative für eine 13. AHV-Rente ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Auch als 35-Jährige möchte ich in einer Gesellschaft leben, die allen ein Älterwerden in Würde ermöglicht. Wir sollten nicht vergessen: Die AHV ist die soziale Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Sie hat die Menschen von Existenzangst befreit und die erwerbstätige Generation von der Verantwortung entlastet, für ihre Eltern aufkommen zu müssen.
Sie sprechen das Thema Solidarität an. Diese bzw. das kollektive Tragen von Risiken gehören zum Kern von Versicherungen und beruflicher Vorsorge. Ab wann wird aus Solidarität eine Umverteilung?
Mattea Meyer: Solidarität ist gerade bei der Altersvorsorge zentral. Denn soziale Ungleichheit kumuliert sich im Alter: Wer Kinder betreut und kranke Angehörige pflegt, zahlt im Alter den Preis dafür. Das Gleiche gilt für Menschen, deren Arbeit schlecht bezahlt war. Altersarmut ist auch in der «reichen» Schweiz ein reales Problem, das viele Menschen betrifft. Deswegen ist es wichtig, die solidarische Komponente in der Altersvorsorge noch stärker zu gestalten und die AHV auszubauen. Das heisst: Lohnprozente sollen von der ineffizienten, krisenanfälligen zweiten Säule in die solidarisch finanzierte und stabile erste Säule verschoben werden.
Zudem wäre das Geld für bessere Renten auch in der zweiten Säule vorhanden. Würden die Pensionskassen ihre hohen Vermögensverwaltungskosten senken und ihre Gewinnabschöpfung reduzieren, könnte dieses Geld den Versicherten zugutekommen. Jährlich werden 40 Milliarden Franken Renten in der zweiten Säule ausbezahlt. Die Vermögensverwaltungskosten betragen 5,6 Milliarden – Tendenz stark zunehmend. Da gäbe es durchaus Potenzial, Geld für die Versicherten freizumachen.
Andri Silberschmidt: Dank der Vermögensverwaltung sind die Renten 40 Prozent höher als ohne. Und die Kosten fallen immer auf das gesamte Kapital – also über 1000 Milliarden – an, nicht auf die jährlichen Auszahlungen.
Nun aber zur Solidarität: Die grösste Umverteilung in den Sozialversicherungen findet in der AHV statt und ist auch gesellschaftlich akzeptiert, da wir keine Altersarmut wollen. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, sollen auch ein würdiges Leben in der Pension haben. Die grosse Umverteilung von hohen zu tiefen Einkommen in der AHV leistet da einen sehr wichtigen Beitrag – und ist im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts wichtig.
Doch zum Thema Versicherung möchte ich anmerken, dass das V in AHV zwar für Versicherung steht, sie aber anders funktioniert. Eine Versicherung hat im Kern die Funktion, individuelle Risiken durch ein Kollektiv abzusichern. Älter zu werden, ist kein klassisches Risiko, da es alle Menschen betrifft. Die AHV verspricht heute also Leistungen, die nicht ausfinanziert sind. Das heisst, das System hat ein implizites, ungedecktes Defizit, das ab 2030 mehrere Milliarden pro Jahr betrifft. Eine privatwirtschaftliche Versicherung würde unter diesen Umständen wohl bald ihre Zulassung verlieren.
Welche Rolle kommt bei all den Reformplänen der privaten Altersvorsorge zu?
Andri Silberschmidt: Staatliche Systeme orientieren sich stets am Gemeinwohl und sehen keine Deckung individueller Wünsche und Träume vor. Wer nach der Pensionierung einen hohen Lebensstandard oder Träume verwirklichen will, kommt nicht darum herum, privat vorzusorgen. Da die Individualisierung in der Gesellschaft mit dem Wohlstand zunimmt, gehe ich davon aus, dass die Wichtigkeit der privaten Vorsorge ebenfalls zunehmen wird.
Mattea Meyer: Das ist ein Hohn gegenüber all jenen, die weit weg sind von der Realisierung von Träumen. Jede dritte Frau hat nicht mal eine dritte Säule. Es ist daher illusorisch zu denken, dass eine Stärkung der privaten Vorsorge zu steigenden Renten führt. Für die grosse Mehrheit der Menschen hat die private Altersvorsorge keine reellen finanziellen Auswirkungen auf ihre gesamte Altersvorsorge. Lediglich 10 Prozent der steuerpflichtigen Personen in der Schweiz können es sich überhaupt leisten, den Maximalbetrag in die dritte Säule einzuzahlen.
Zum Schluss würde ich gerne von Ihnen wissen, wie das ideale Modell der Altersvorsorge aussieht …
Mattea Meyer: Nur mit Reformansätzen, die eine Stärkung der AHV beinhalten, kann die Altersvorsorge auch den verfassungsmässigen Auftrag erfüllen. Denn sie ist die einzige Sozialversicherung, welche die unbezahlte Betreuungs- und Pflegearbeit mit einberechnet. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung und gegen Altersarmut.
Für alle mit einem Jahreseinkommen bis 120’000 Franken ist die AHV die wirkungsvollste Säule – gemessen an dem, was sie einzahlen und später als Rente bekommen. Würden mehr Lohnprozente in die AHV statt in die zweite Säule fliessen, könnten höhere Renten bezahlt werden.
Andri Silberschmidt: Die AHV sollte keine impliziten Schulden mehr aufweisen, das heisst, das Rentenalter sollte auf 66 Jahre erhöht und danach an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Personen, die während 44 Jahren in die AHV einbezahlt und im Durchschnitt nicht mehr als 5000 Franken pro Monat verdient haben, sollen ab 62 Jahren in Rente gehen dürfen. Was das BVG betrifft, wünsche ich mir, dass die Höhe des Umwandlungssatzes aus dem Gesetz gestrichen wird. Zudem sollen die Altersgutschriften im obligatorischen Bereich für alle, die neu ins System eintreten, gleich sein und bei circa 12,5 Prozent liegen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
1 Kommentar
Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit: Wenn Solidarität institutionalisiert wird, führt das langfristig dazu, dass alle von Solidarität profitieren möchten und niemand mehr solidarisch sein kann, weil es nichts mehr gibt, was im Rahmen der so wohlklingenden Solidarität umverteilt werden kann!
Sinnvoll und fair verteilt werden können Erträge, Gewinne, Überschüsse an EigentümerInnen (AktionärInnen), Belegschaften, GenossenschafterInnen und Stücke von Geburtstagskuchen an Kindergeburtstagen an die Kinder! Und das, wenn es die Umstände erlauben, alle Jahre wieder!
Am solitärsten bin ich mit meinen Mitmenschen, wenn ich sie soweit in Ruhe und Freiheit leben lasse, dass sie auf meine Solidarität nicht angewiesen sind!