Laut dem neuen Social Inflation Index des Swiss Re Institute ist die soziale Inflation zum Hauptwachstumstreiber der US-Haftpflichtansprüche geworden. Vor allem aufgrund einer steigenden Zahl grosser Gerichtsurteile hat die Sozialinflation die Haftpflichtansprüche in den USA in den letzten zehn Jahren um 57 Prozent erhöht und erreichte 2023 einen jährlichen Höchststand von 7 Prozent.

Reine von sozioökonomischen Trends

Bei der sozialen Inflation handelt es sich um ein seit den 1980er Jahren beobachtetes Phänomen, bei dem die versicherten Haftpflichtansprüche schneller ansteigen als durch wirtschaftliche Faktoren wie Löhne oder die Kerninflation der Verbraucherpreise erklärt werden kann. Sie wird durch eine Reihe von sozioökonomischen, gesetzgeberischen und prozessualen Trends angetrieben, wie zum Beispiel die zunehmende Tendenz, Schadenersatzansprüche vor Gericht zu regeln, und ist in den USA am stärksten ausgeprägt, wo das Deliktsrecht auf Präzedenzfällen beruht und die Fälle von Geschworenen entschieden werden. Darüber hinaus erleichtert die Prozessfinanzierung durch Dritte (Third Party Litigation Funding, TPLF) - ein Verfahren, bei dem Kläger und Anwaltskanzleien ihre Rechtsstreitigkeiten mit Hilfe eines dritten Investors finanzieren können - den Zugang zu Gerichtsverfahren, und das Rechtssystem ermöglicht die Zahlung hoher Entschädigungssummen, insbesondere bei Personenschäden. Allein im Jahr 2023 gab es 27 Gerichtsverfahren, in denen Entschädigungen von jeweils mehr als 100 Millionen USD zugesprochen wurden.

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Steigende Kosten für Rechtsverteidigung

Laut Jérôme Jean Haegeli, Global Chief Economist von Swiss Re, gebe es im Gegensatz zur wirtschaftlichen Inflation keine Anzeichen für ein Abklingen der sozialen Inflation. Die Kosten für Rechtsstreitigkeiten stiegen und seien heute der wichtigste Treiber für Haftpflichtansprüche. Da die Unternehmen weltweit mit steigenden Kosten für die Rechtsverteidigung konfrontiert seien, schnellten die Kosten für die Haftpflichtversicherung in die Höhe, insbesondere in den USA, wobei die Last von den Verbrauchern getragen würde. Angesichts dieser beunruhigenden Entwicklungen quantifiziere man die Kostentreiber, die über die wirtschaftliche Inflation hinausgingen, mit einem neuen sozialen Inflationsindex, so Haegeli weiter.

Höhere Zinssätze

Die gestiegenen Schadenkosten führen nicht nur zu einem risikoreicheren und kostspieligeren Umfeld für die Unternehmen, sondern sind auch ein Grund zur Sorge für die Versicherer. In den vergangenen fünf Jahren stiegen die Schäden in der US-Gewerbeunfallversicherung mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 11 Prozent auf 143 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 - eine Summe, die die gesamten versicherten Schäden aus globalen Naturkatastrophen von 108 Milliarden US-Dollar im selben Jahr bei weitem übersteigt. Ausgehend von den derzeitigen Trends könnten die Auswirkungen des Schadenwachstums einen Teil der Ertragsvorteile der Branche in der Unfallversicherung, die sich aus den höheren Zinssätzen ergeben, in ein bis zwei Jahren ausgleichen.

Kapazität deutlich zurückgegangen

Gemäss Gianfranco Lot, Chief Underwriting Officer P&C Re bei Swiss Re, beobachte man eine kontinuierliche Zunahme aggressiver Prozesspraktiken, die für die Haftpflichtversicherung besonders problematisch seien. In den letzten fünf Jahren seien die US-Haftpflichtsparten mit Personenschäden kumulierte versicherungstechnische Verluste in Höhe von 43 Milliarden US-Dollar verzeichnet worden. Als Reaktion darauf sei die für globale Unternehmen verfügbare Kapazität deutlich zurückgegangen, während die Tariferhöhungen nicht mit den Schadentrends Schritt gehalten hätten.

Hoher Schadenersatzurteil

Obwohl die soziale Inflation in erster Linie ein US-Phänomen ist, gibt es Anzeichen dafür, dass sie sich auch auf andere Länder mit Gewohnheitsrechtssystemen wie Grossbritannien, Australien und Kanada auswirkt, wo das Deliktsrecht auf Präzedenzfällen beruht. Die Indexanalyse von Swiss Re zeigt, dass die soziale Inflation im Jahr 2023 mehr als 10 Prozent der Haftpflichtansprüche im Vereinigten Königreich ausmachen wird. Dieser Anstieg ist auf Spillover-Effekte in den USA zurückzuführen, die sich in Ansprüchen widerspiegeln, die ein Unternehmen nach einem hohen Schadenersatzurteil in einem Gerichtsverfahren in den USA bei seinem britischen Versicherer einreicht. Auch in Australien und Kanada beträgt der Effekt etwa 7 Prozent, was auf eine Ausweitung von Massenschäden zurückzuführen ist. Das Deliktsrecht in Kontinentaleuropa hingegen wird durch umfassende Zivilgesetzbücher geregelt, und Deliktsfälle werden von Berufsrichtern und nicht von Geschworenen entschieden. Bislang hat die soziale Inflation in Ländern wie Frankreich und Deutschland keine Bedeutung erlangt. Allerdings könnten sich Massenschäden in der EU aufgrund bedeutender gesetzlicher Änderungen in den Richtlinien zur Produkthaftung und zu Verbandsklagen ausweiten. (pd/hzi/hoh)

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