Warum werden immer mehr kleine und mittlere Unternehmen Opfer von Cyberattacken?

Die grössten Schweizer Unternehmen haben in den letzten fünf Jahren sehr grosse Fortschritte im Bereich IT-Security gemacht. Sie tun, was möglich ist, um ihre IT-Infrastruktur zu schützen, und entsprechend schwer ist es für Cyberkriminelle, da überhaupt noch reinzukommen. Das hat dazu geführt, dass sich kriminelle Hacker-Banden zunehmend auf das mittelständische Segment spezialisieren, weil dort bekannte Angriffspunkte oft nicht gepatched sind und Sicherheitslücken nicht geschlossen werden. Man kann relativ einfach im Internet scannen, welche Unternehmen bestimmte Schwachstellen aufweisen. Man muss als Unternehmen also weder berühmt noch international bekannt sein, um in den Fokus von Cyberkriminellen zu geraten.

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Zur Person

Ivo Heeb ist bei der Allianz Commercial in der Schweiz als Expert Underwriter für den Bereich Cyber & Technology verantwortlich. Er startete seine berufliche Laufbahn bei der Zurich im Bereich Financial Lines und verfügt über mehr als dreissig Jahre Berufserfahrung in der Versicherungsbranche. Nach einer Zwischenstation bei der ACE Group als Financial Lines-Manager erfolgte 2009 der Wechsel zur Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS).

Im Cyber-Resilienz-Bericht der Allianz Commercial ist zu lesen, dass Ransomware-Attacken zurückgegangen sind. Ist es Zeit für eine Entwarnung?

Ransomware-Attacken sind zwar weniger geworden, aber sie werden niemals aufhören. Denn aufseiten der Angreifer hat sich da eine sehr gut funktionierende, arbeitsteilige Industrie entwickelt. Alle Elemente, die für eine Ransomware-Attacke notwendig sind, kann man ganz einfach im Darknet als Dienstleistung buchen. Es ist ein kriminelles Universum geworden, das sehr, sehr lukrativ ist und mit einem überschaubaren Risiko entlarvt zu werden, weil eine transnationale Verfolgung schwierig ist.

Auch das mobile Arbeiten bietet leichte Angriffsflächen für Hacker. Wie können Unternehmen ihre Systeme schützen?

Firmen sollten ihren Mitarbeitenden für den Zugriff auf ihr Netz von extern die entsprechende Technologie zur Hand geben, beispielsweise eine Multifaktor-Authentifizierung und idealerweise auch sichere, von der Firma ständig auf dem neusten Stand gehaltene Geräte. Und mobiles Arbeiten setzt voraus, dass man auch die Leute entsprechend schult, so dass sie unterwegs vielleicht nicht jeden WLAN-Hotspot nutzen. Diese Sensibilisierung ist wirklich das A und O. Die Mitarbeitenden müssen wissen, dass man nicht einfach so auf Links klickt und dass man keine Attachments öffnet, wenn man den Absender nicht kennt.

Mobiles Arbeiten setzt voraus, dass man die Leute auch entsprechend schult.

Ivo Heeb, Allianz Commercial

«Aber das kostet ja alles so viel Zeit und Geld», höre ich da viele Unternehmer klagen. Wie viel darf ausreichender Cyberschutz ein Unternehmen kosten?

Da gibt es keine Faustregel, das sind Überlegungen, die jedes Unternehmen im Rahmen seines Risikomanagements anstellen muss. Da wird entschieden, welche Risiken das Unternehmen bei sich behält, welche mit entsprechenden Massnahmen reduziert werden und welche man an den Versicherer überträgt. Leider sind im KMU-Bereich viele Firmen noch nicht so weit und fällen solche Entscheide eher aus dem Bauch heraus.

Was unter Umständen teuer werden kann?

Prävention lohnt sich extrem. Wir haben im Rahmen unserer Cyber-Resilienz-Studie festgestellt, dass Unternehmen, die auf Cyberangriffe vorbereitet sind und einen Angriff frühzeitig erkennen, mit einem Faktor von Eintausend profitieren. Dann beläuft sich ein Schadenfall nur auf 2'000 Franken anstatt auf 2 Millionen. Dafür muss man nicht überall das Neueste und Beste haben, aber ein guter Grundschutz, der kostet nun mal was. Diese Investition ist wichtig und notwendig und auch eine Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen überhaupt eine Cyberversicherung abschliessen kann. Wenn gewisse Massnahmen im Unternehmen nicht umgesetzt werden, dürfte es schwer sein, einen Versicherer zu finden.

Warum sind die Prämien für einen Versicherungsschutz in den letzten Jahren so stark gestiegen?

Das Geschäft der Versicherer basiert auf sehr vielen Daten und die gab es anfangs zu Cyberangriffen nicht. Obwohl es eigentlich schon länger Cyber-Schadenfälle gab, waren diese in den Systemen der Versicherungsgesellschaften nicht als solche gekennzeichnet. Darum war die Risikokalkulation anfangs eher ein Schuss ins Blaue. Man wusste nicht wahnsinnig viel über diese Risiken. Als dann relativ schnell viele und auch teure Schadenfälle auftraten, führte das zu einer ersten Korrektur und damit steigenden Prämien und steigenden Anforderungen an die Versicherungsnehmer.

Wie sich die Prämien in Zukunft weiterentwickeln, hängt sehr stark von der weiteren Schadenentwicklung ab.

Ivo Heeb, Allianz Commercial

Kann man jetzt mit einer Konsolidierung der Prämien rechnen?

Ja, zum Teil sehen wir sogar Reduktionen auf der Prämienseite. Das ist bedingt durch den Markteintritt von vielen neuen Cyberversicherern, die von den stark gestiegenen Prämien angezogen wurden. Aber diese neuen Versicherer haben im Gegensatz zu den etablierten auch die vielen Schadenfälle in der Vergangenheit nicht gesehen und bezahlt. Wie sich das in Zukunft weiterentwickelt, hängt sehr stark von der weiteren Schadenentwicklung ab. Und ich denke, der eine oder andere Versicherer wird auch Mühe haben, entsprechend Geschäfte zu generieren. Obwohl die Nachfrage nach Cyberversicherungen hoch ist, gibt es vielleicht doch nicht Platz für jeden Versicherer, der in die Branche einsteigen möchte.

Welche neuen Risiken rollen mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) auf uns zu?

Das Rennen um die Antwort auf die Frage, ob die Angreifer oder die Cyber-Sicherheitsbranche von den Entwicklungen der KI profitieren wird, ist offen. Beide Seiten sind extrem interessiert an den Möglichkeiten, die KI bietet, weil mit der KI gewaltige Effizienzsteigerungen möglich sind – sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite. Daher möchte ich die Technologie nicht verteufeln, zumal wir als Versicherungsgesellschaft davon profitieren werden. Aber man muss wachsam bleiben, was das für die weitere Schadenentwicklung und besonders für die Art der Angriffe, die wir sehen werden, zur Folge haben wird.

Sind die Folgen von KI-generierten Deep Fakes über eine Cyberversicherung gedeckt?

Nein, denn viele der KI-generierten Betrugsversuche, wenn sich beispielsweise jemand als CEO ausgibt und eine Zahlungsanweisung verlangt, sind nicht Gegenstand einer Cyberversicherung, sondern fallen unter die Vertrauensschaden-Versicherung, die bei uns auch in einer anderen Versicherungssparte angesiedelt ist.

Ist eine solche Vertrauensschaden-Versicherung automatisch Bestandteil der Unternehmensversicherungen?

Nein, normalerweise nicht. Es handelt sich um einen separaten Baustein, der die Folgen eines Diebstahls oder einer Veruntreuung durch Mitarbeitende sowie Betrug durch Dritte deckt. In diesem Bereich gab es jüngst sehr viele Fälle, wo es Betrügern gelungen ist, Geldströme umzuleiten, indem die Bankverbindung geändert wurde. Auch Betrügereien mit gefakter Stimme würden darunter fallen.

Was ist mit den Möglichkeiten, die das Quantencomputing dem Betrug eröffnen könnte, was rollt da auf uns zu?

Quantencomputing ist noch Zukunftsmusik, aber könnte einen echten Einfluss auf die Schadenbelastung haben, weil wir momentan davon ausgehen müssen, dass eine solche enorme Rechenpower es den Angreifern ermöglichen wird, selbst bestens geschützte Systeme auszuhebeln und Verschlüsselungen und Passwörter in kürzester Zeit zu knacken. Im Moment haben wir noch keine solchen Fälle gesehen. Aber wir müssen dran bleiben, denn das macht uns schon Sorgen.

Der Fokus hat sich tendenziell weg von den klassischen Cyberangriffen hin zu Datenschutzverletzungen verschoben.

Ivo Heeb, Allianz Commercial

Allianz Commercial publiziert jährlich den Cyber-Resilienz-Bericht. Was sind derzeit die überraschendsten Erkenntnisse?

Dass sich der Fokus tendenziell weg von den klassischen Cyberangriffen hin zu Datenschutzverletzungen verschoben hat. Diese hängen teilweise trotzdem mit Ransomware-Attacken zusammen, da die Angreifer die Daten nicht nur verschlüsseln, sondern sie meistens auch noch klauen, bevor sie sie verschlüsseln und dann mit der Veröffentlichung derselben Daten drohen, wenn das Unternehmen nicht bezahlt. Das ist dann ein Fall für die Datenschutzkomponente einer Cyberversicherung.

Und was verstehen Sie unter «Non Attack Data Breaches»?

Dabei geht es nicht um Cyberattacken durch Hacker, sondern um Fälle, bei denen Unternehmen eine Datenschutzverletzung begangen haben und dafür eingeklagt werden. Man mag staunen, dass solches unter einer Cyberversicherung gedeckt ist – dem ist aber so. Cyberversicherungen sind so gesehen sehr umfangreiche Datenschutzverletzung-Versicherungen, sogar losgelöst vom Medium. Denn selbst wenn ein Unternehmen seine ganzen Kundendaten in Papierform verlieren sollte, ist das ein Datenschutzvorfall, der unter den Deckungsumfang einer Cyberversicherung fallen kann.

Aber es wird doch erst ein Thema, wenn jemand mit einer Klage droht, oder nicht?

Nein, denn grundsätzlich muss jede Datenschutzverletzung vom Unternehmen selbst angezeigt werden. Und wenn man das nicht tut, riskiert man eine Busse. Daher sind Datenschutzverletzungen auch ohne Kläger sehr ernst zu nehmen. Unternehmen sind in der Pflicht, die entsprechenden Bestimmungen einzuhalten.

Dieser Beitrag ist Teil des am 27. Februar 2025 erschienenen HZ-Insurance-Print-Specials «Cyber Risk».