Die Prämienberechnungen einer Motorfahrzeugversicherung oder die Entscheidung über eine An- bzw. Ablehnung eines Antrages basieren auf unterschiedlichen Faktoren. Dazu zählen beispielsweise die Fahrzeugart, Marke/Modell und Motorenleistung sowie auf den Fahrzeuglenker oder den Fahrzeugbesitzer bezogene Merkmale wie z. B. das Alter. Oder historische Rückschlüsse auf das Fahrverhalten in Bezug auf Führerausweisentzüge oder Schadenfälle. Oftmals hat auch die deklarierte jährliche Kilometerleistung einen Einfluss. Gänzlich fehlt heutzutage das eigentliche Fahrverhalten des Lenkers und wird nicht in der Prämienberechnung oder in der Antragsentscheidung berücksichtigt.
Autor:
Rainer Stüssi, Vorstandsmitglied Verband Digitalversicherung Schweiz (VDVS), CMO Automate.ch
Mit Telematik zu gerechten Prämien
Mittels «Crash Recorder oder Unfalldatenspeicher» die Fahrkünste der Lenker erfahren – dieser Ansatz ist nicht neu und wurde von der Axa bereits im Jahr 2008 mittels einer Black Box, welche im Fahrzeug fix installiert wird, eingeführt. Dieses Angebot zielte allerdings vorwiegend auf Junglenker ab, mit entsprechenden Prämienvorteilen. Aus unterschiedlichen Gründen sind die markanten «Crash Recorder» sowie andere Fahrtenschreiber wieder aus dem Markt verschwunden. Nicht aber die Idee der Informationsgewinnung hinsichtlich des Fahrverhaltens. Dies könnte sich dank Telematik «reloaded» und neuem Narrativ in Zukunft ändern, mit nutzungsabhängigen Versicherungsprodukten wie «Pay how» und «Pay as you drive», kurz PHYD/PAYD. Während beim «how» das Fahrverhalten aufgezeichnet wird, zielt das «as» in der Regel auf die gefahrene Distanz ab.
Massgebend ist dabei die Weiterentwicklung von telematischen Technologien, welche neben den bekannten «Stecker im Auto» auch Smartphone-basierte App-Lösungen zulässt. Oder direkt via Boardsystem im Fahrzeug. Dabei wird unabhängig von der Lösung tatsächliche Fahrleistung und/oder Fahrverhalten aufgezeichnet und in die individuelle Prämie miteinbezogen. Eine Smartphone-basierte Telematic App zeichnet automatisch Fahrten auf und erkennt dabei Verhaltensmuster wie beispielsweise abruptes Bremsen, rasante Kreuzungsüberquerungen oder Handynutzungen während der Fahrt. In regelmässigen Intervallen erhalten die Versicherer Daten zum Fahrverhalten der Kunden und berechnen daraus je nach Anbieter eine Punktzahl, welche belohnt werden kann.
Chancen und Gefahren von Telematik
Für die Versicherungsnehmer und Versicherer ergeben sich unterschiedliche Vorteile. Für Versicherer bietet sich die Chance, aufgrund von gewonnen Telematik-Daten das Motorfahrzeug-Portfolio zu optimieren (Einschluss guter Risiken) sowie die individuelle Risikoeinschätzung zu verbessern. Gleichzeitig bieten sich neue Möglichkeiten der Interaktion mit den Kunden. Des Weiteren könnte sich eine solche App auch auf die Verkehrssicherheit auswirken. Finanzielle Anreize, Rückmeldungen zum Fahrverhalten oder auch Wettbewerbe unter den Lenkern haben Potenzial, sichereres Fahren zu fördern und möglicherweise das Unfallgeschehen entsprechend positiv zu beeinflussen.
Wie die Kunden profitieren, ist vorwiegend vom Angebot des Anbieters abhängig. Ein Blick auf den jungen Schweizer Markt zeigt ein heterogenes Bild. Von Prämienrabatten über Gamification hin zu Angeboten von Dritten ist alles vorahnden.
Wie immer gibt es eine Kehrseite der Goldmedaille. Kritische Stimmen würden jetzt einwenden, dass ein PHYD/PAYD-Modell das Solidaritätsprinzip einer Versicherung untergräbt. Der Leistungsanspruch würde sich somit nicht mehr nach dem Bedarf und der Bedürftigkeit richten. Vielmehr rückt z. B. das persönliche Mobilitätsverhalten ins Zentrum, welches vom Lenker je nach Situation nur gering beeinflusst werden kann. Das bedeutet, dass ein Lenker, welcher unfallstatistisch zu einem schlechten Zeitpunkt Auto fährt, höhere Prämien bezahlt.
Ein weiteres Szenario birgt die Gefahr der «adversen Risikoselektion». Sichere und gute Fahrer fühlen sich durch die Preisvorteile animiert, auf eine PHYD Lösung zu wechseln. Gleichzeitig verbleiben beim bestehenden Tarif die «risikoreichen» Kunden sowie Lenker, bei denen die Datenbearbeitung zu weit geht. Je nach Portfolio-Mix und Schadenverlauf eines Versicherers könnte dies für weniger gute Kunden eine Prämienerhöhung zur Folge haben. Fällt ein solcher Prämienanstieg massiv aus und besteht aufgrund mangelnder Angebotsvielfalt keine Alternative, wären Versicherte gezwungen, zu einem Telematik-Angebot zu wechseln.
Die Branche wird dies im Auge behalten, schliesslich können solche Argumente nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden. Dennoch sieht die Realität aktuell anders aus. Telematik-basierte Versicherungslösungen wie «Pay how/as you drive» sind noch neu. Es ist davon auszugehen, dass schlussendlich der Markt und somit der Kunde über die Akzeptanz solcher Angebote entscheidet.
«Pay how you drive»
Seit dem Rückzug der Axa ist es betreffend Telematik eher ruhig geworden. Erst mit neuer Technologie und dem Vorpreschen von jungen, hungrigen Startups aus der Welt der Insurtechs ist das Feuer neu entfacht. Seit 2019 bieten die AutoMate Insurance, Dextra und seit dem Sommer 2020 auch die Smile eine Smartphone-basierte Telematik-Lösung an.
Dabei bespielen die Mitgründungsmitglieder des VDVS die grüne Wiese, trotz sehr ähnlichen Softwarelösungen, auf unterschiedlicher Art und treiben innovative sowie sehr attraktive Angebote voran. Interessant ist auch die Tatsache, dass die genutzten Telematik-Lösungen keine Inhouse-Entwicklungen sind. Alle Anbieter kooperieren mit externen Anbietern.
Kurzübersicht der Angebote
AutoMate Insurance
Pay how you drive: Smartphone-Telematik-App in Kooperation mit Swiss Re und deren Tochtergesellschaft Movingdots.
Pay as you drive: Eigenkreation von AutoMate, wird mittels SMS abgewickelt.
Damit setzen die drei Anbieter ein erstes Zeichen auf dem heimischen Markt für neue Telematik-basierte Produkte. Ob auf diese Beispiele weitere Versicherer folgen und ob sich diese Lösungen etablieren, bleibt allerdings abzuwarten.
HZI-Special «Insurtec» – bisher erschienen: