Klimawandel, Cyberattacken und nun auch noch eine Pandemie. Grossrisiken sind längst zum Alltag geworden. Wie können Unternehmen damit umgehen, beziehungsweise was können sie daraus lernen?
Dass sie niemandem vertrauen sollen … (lacht). Nein, im Ernst, das Mindeste, was Unternehmen beziehungsweise deren Führungskräfte tun können, ist, sich mit dem Undenkbaren auseinanderzusetzen. Sowohl die Finanzkrise 2008 als auch die Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass Dinge geschehen können, die die meisten Experten nicht für möglich gehalten hätte. Aufgrund der Erfahrungen und Erkenntnisse aus den vergangenen Monaten glaube ich aber nicht, dass sie das können.

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Warum nicht?
Die grösste Ernüchterung für mich als Wissenschaftler, Dozent und Bürger war es zu erkennen, dass unsere Gesellschaft und die Verantwortungsträger nach wie vor glauben, dass wir in einer Null-Risiko-Welt leben. Die Doktrin der ewigen Krise, die sich 2001 nach den Anschlägen in New York überall zu verbreiten begann, hat tiefe Spuren hinterlassen. Unternehmen und auch die Menschen leben in der Illusionsblase, mit Technologie lasse sich alles kontrollieren, verhindern und absichern.

«Krisenzeiten sind für Versicherer immer super, denn die Branche hat in diesen die Möglichkeit, kreativ zu werden und neue Lösungen zu kreieren.»

Was ist daran so schlimm?
Das Leben ist ein Risiko und das Risiko ist das Leben … Wenn wir keine Risiken mehr eingehen, geht auch das Leben nicht weiter. Eine Null-Risiko-Gesellschaft ist eine sterbende Gesellschaft. Wer alle Risiken beseitigen will, beschränkt nicht nur die Freiheit, er verunmöglicht auch Neues. Denn ohne Risiko gibt es keine Innovation, keinen Fortschritt, sondern nur noch Stillstand. Insofern sollten wir uns auf die Upsides von Risiken fokussieren und nicht nur auf die Downsides. Unternehmertum, Kreativität und Forschung – das sind alles positive Dinge, die mit Risiken verbunden sind. Und auch für Versicherer sind Risiken absolut notwendig.

Wie meinen Sie das?
Krisenzeiten sind für Versicherer immer super, denn die Branche hat in diesen die Möglichkeit, kreativ zu werden und neue Lösungen zu kreieren. Aktuell wird das ja auch sichtbar. Aber auch für die Versicherer gilt: Es ist die Dosis, die das Gift ausmacht. Zu viele Krisen sind auch für Versicherer nicht gut.

«Vor lauter Alles-wissen-Wollen ertrinken wir in der Informationsflut und verlieren das grosse Ganze aus den Augen.»

Wie schaffen es Unternehmen und die Gesellschaft, Risiken wieder etwas Positives abzugewinnen?
Indem wir uns anstrengen und als Menschen wieder Verantwortung übernehmen. Wir befinden uns zurzeit in einer Phase der extremen Technologiegläubigkeit. Dadurch, dass wir die komplexesten Dinge und Abläufe analytisch zu verstehen und zu regulieren versuchen, verstehen wir sie immer weniger und können sie auch immer weniger kontrollieren. Ich nenne das die «Illusionskontrolle», diese führt zu einem Vertrauensverlust und damit zu einer noch stärkeren Risikoaversität.

Sind Risk Management und Regulierungen für einen gesunden Umgang mit Risiken also eher hinderlich?
Nicht unbedingt – es ist einfach alles eine Frage des Masses. Vor lauter Alles-wissen-Wollen ertrinken wir in der Informationsflut und verlieren das grosse Ganze aus den Augen. 

«Ich kann nicht genug betonen: Keine Krise kommt aus dem Nichts.»

Nun ist aber gerade in Ratgebern für den Umgang mit Krisen zu lesen, dass Verantwortungsträger über möglichst viele Informationen verfügen müssen, um entscheiden zu können.
In den Büchern wird davon ausgegangen, dass sie über genügend Informationen verfügen. In der Realität fehlen allerdings die relevanten Informationen. Das führt dazu, dass die meisten Manager Entscheide ohne ausreichende Wissensgrundlage fällen. Mein Lieblingsbeispiel ist der japanische Premierminister: Er erfuhr im TV von der Katastrophe in Fukushima …

Im Alltag mit all seinen Tücken und Kommunikationsproblemen dringen die relevanten Informationen nur harzig bis in die Führungsetage. Mein Ratschlag für alle Unternehmen lautet: Entwickelt einen realistischen Prozess, um das Top-Management zu informieren. 

Wie könnte ein solcher Prozess aussehen?
Ich kann nicht genug betonen: Keine Krise kommt aus dem Nichts. Bei jeder Krise gibt es Anzeichen, Trends und andere Frühwarnsignale, doch man muss diese sehen wollen und danach etwas unternehmen wollen. Leider verschliessen viele Führungskräfte gerne die Augen davor.

«Resilienz ist ein spannendes Wort, denn es bedeutet im Westen etwas ganz anderes als zum Beispiel in Asien.»

Im Idealfall verfügt ein Unternehmen über eine Art Multi-Sensor-System. Dieses basiert primär auf den Mitarbeitenden und deren offenen Augen und Ohren. Firmen besitzen unglaublich viel menschliche Intelligenz, nutzen diese aber viel zu selten. Wenn Risk Officers, Buchhalter und Ingenieure auf Warnhinweise von ihren Mitarbeitenden reagieren würden, wären sie für eine allfällige Krise schon viel besser vorbereitet als der Durchschnitt. Für diese Art von Reporting-System braucht es aber eine echte Risikokultur im Unternehmen, die zuoberst verankert ist.

Und was ist mit dem im Zusammenhang mit Krisen und Risiken immer wieder benutzten Wort «Resilienz»?
Resilienz ist ein spannendes Wort, denn es bedeutet im Westen etwas ganz anderes als zum Beispiel in Asien. Anstelle von Risiken sprechen die Asiaten von Resilienz und meinen damit etwas, das eine positive unternehmerische Herausforderung darstellt und Einkommen generiert. 

In Europa und vor allem auch in der Schweiz sprechen wir fast die ganze Zeit von Risiken und meinen damit etwas, das vor allem Ausgaben generiert. Es werden Risk-Abteilungen aufgebaut und mittels kostenintensiver Tools enorm viele Reportings kreiert. Solange Risiko als notwendiges und teures Übel wahrgenommen wird, lastet es als Gewicht auf den Schultern der Führungskräfte, und es verwundert nicht, dass sie versuchen, dieses Gewicht mit allen nur erdenklichen Massnahmen loszuwerden. Aus diesem Grund rate ich zu einem Perspektivenwechsel und dazu, die Chancen wahrzunehmen, die Risiken bieten. Denn wie ich eingangs sagte: Das Leben ist ein Risiko.