Herr Gloor, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Startup gekommen?

Die Idee für Correntics entstand aus meiner Erfahrung im Bereich Klima- und Naturgefahrenrisiken beim Rückversicherer Swiss Re und den Beobachtungen während der letzten Jahre, die aufzeigten, wie fragil globale Lieferketten sind und wie schnell kostspielige Lieferkettenunterbrechungen auftreten können. Eine Zunahme von Naturkatastrophen, die Covid-19-Pandemie, Nachhaltigkeitsrisiken sowie regulatorische Anforderungen bewegen zunehmend Firmen dazu, ihr Risikomanagement zu verbessern. Es war klar, dass vermehrt digitale und datengestützte Lösungen benötigt werden, um Klimaresilienz und Nachhaltigkeit in komplexe globale Lieferketten zu integrieren. Zusammen mit meinem Co-Gründer Gaudenz Halter entwickelte ich erste Software-Prototypen, welche dabei halfen, die Ideen zu verfeinern und zu testen.

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Der Weg von der Idee bis zum Start erfordert Ressourcen – wer hat Sie unterstützt?

Wir hatten das Glück, schon sehr früh von Bluelion, einem Non-Profit-Startup-Inkubator in Zürich, unterstützt zu werden, wo wir unsere Geschäftsidee, unsere Teamzusammenstellung und unsere Strategie mit Experten aus der Startup-Szene iterativ verbessern konnten. Zudem konnten wir dank der finanziellen Unterstützung durch einen Digital Entrepreneurship Grant der Universität Zürich sowie dank unserem frühen Investor Serpentine Ventures unsere Produktentwicklung beschleunigen.

Michael Gloor ist seit 2021 CEO des Startups Correntics in Zürich. Zuvor war er Climate Change Lead bei Swiss Re. Michael Gloor hat einen Doktortitel der ETH Zürich. 
Michael Gloor auf Linkedin

Wo stehen Sie mit Ihrer Firma heute?

Nach einigen Monaten Entwicklung konnten wir bereits unseren ersten Kunden, eine globale Logistikfirma, von unseren Risikolösungen überzeugen. Wir sind nun an der Weiterentwicklung unseres Produkts und passen während Pilotprojekten unser Angebot auf verschiedene Sektoren an, zum Beispiel im Food- und Agrarbereich sowie für Rückversicherungen. Um die Produktentwicklung voranzutreiben, verstärken wir auch unser Software- und Data-Science-Team.

Wie sieht es mit den Datenquellen aus?

Wir verwenden Rohdaten aus dem Forschungsumfeld und von öffentlichen/staatlichen Quellen, welche Informationen zu Klima-, Wetter- und Nachhaltigkeitsrisiken liefern. Die Verbindung dieser Daten mit unseren eigenen Algorithmen und Analysen ermöglicht es uns, eine vorausschauende Risikoperspektive für Firmen und ihre Lieferketten zu entwickeln. Als Beispiel können wir aufgrund von Klimaprojektionen und mithilfe unserer Softwareplattform Rückschlüsse auf die Risiken in der Agrarproduktion aufgrund von Dürren und anderen Extremwetterereignissen erstellen. Zunehmende Klimaextreme können aber auch Einflüsse auf die Produktionssicherheit von Hightech-Komponenten haben und vermehrt zu kostspieligen Betriebsunterbrechungen führen, da insbesondere in Asien und den USA viele Hersteller gegenüber Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder tropischen Wirbelstürmen stark exponiert sind. 

Zunehmende Klimaextreme können auch Einflüsse auf die Produktionssicherheit von Hightech-Komponenten haben und vermehrt zu kostspieligen Betriebsunterbrechungen führen

Das klingt komplex. Wenn Sie es stark kondensieren – was genau geben Sie Ihren Kunden?

Mit unseren Analysen helfen wir Unternehmen dabei, mehr Risikotransparenz entlang ihrer Lieferkette zu erstellen, um strategisch die besten Entscheidungen zu treffen, welche die Resilienz und Nachhaltigkeit der gesamten Wertschöpfungskette erhöhen.

Solche Risiken verändern sich laufend. Sind Echtzeitanalysen möglich?

Durch die Verbindung aktueller Gefährdungsdaten und die Lieferinformation zum Beispiel aus dem Logistikbereich unserer Kunden sind auch Echtzeitanalysen möglich. Diese Anwendungen sind jedoch zurzeit noch in einer Entwicklungsphase. 

Wie präzise Angaben sind möglich, lässt sich das beispielsweise auf einzelne Container herunterbrechen?

Durch die Verbindung der von uns aufbereiteten Daten mit den detaillierten Tracking-Daten von Kunden oder Lieferanten kann die Analyse grundsätzlich auch auf einzelne Lieferungen oder Container granular aufgelöst werden. Dazu bieten wir Datenschnittstellen (API) an, welche die Integration unserer Produkte in bestehende Softwareumgebungen und Prozesse erlaubt. 

Wo müssen Sie mit Proxys, also mit Näherungswerten arbeiten, weil keine detaillierten Angaben möglich sind? Beispielsweise innerhalb von Ländern? 

Teilweise fehlen detaillierte Informationen über einzelne Bestandteile bzw. Lieferanten in einer globalen Lieferkette. In diesen Fällen kommen Proxy-Daten und probabilistische Risikomodellierungen ins Spiel. Falls zum Beispiel nur das Ursprungsland eines Rohstoffes bekannt ist, müssen Annahmen bezüglich Risiken in Produktion und Transport getroffen werden. Auch werden beispielsweise soziale Nachhaltigkeitsrisiken oftmals aufgrund von Proxy-Daten auf Länderebene beurteilt. So können zumindest die grossräumigen Probleme erkannt und beurteilt werden. 

Wenn Sie Risiken erkennen – wie lange zeichnen sich die vorher ab? 

Das hängt sehr stark von den Risikokategorien ab. «Akute» Klimarisiken aufgrund von Extremwetterereignissen wie die starken Niederschläge und Überschwemmungen in Europa oder zum Beispiel tropische Wirbelstürme können häufig mit mehreren Tagen Vorlaufzeit prognostiziert werden. Langfristige bzw. «chronische» Klimarisiken wie zum Beispiel das häufigere Auftreten von Dürren oder Hitzewellen können dank Klimaprojektionen schon Jahrzehnte im Voraus erkannt werden. Für langfristige Betrachtungen eignen sich häufig sogenannte Klimaszenarien-Analysen, welche die verschiedenen möglichen zukünftigen Entwicklungen und Anpassungen an den Klimawandel berücksichtigen. 

Wie gross ist am Ende des Tages der Anteil Ihrer Lösung auf die Gesamtrisiken einer Supply Chain?

Natürlich gibt es neben Klima- bzw. Nachhaltigkeitsrisiken auch eine Vielzahl anderer Risikokategorien, die zu Betriebsunterbrechungen und Lieferengpässen führen können, wie zum Beispiel die Covid-19-Pandemie oder der Zwischenfall im Suezkanal gezeigt haben. Finanzielle Schwierigkeiten bei Lieferanten oder auch von Menschen verursachte Katastrophen wie die Explosionen in Häfen in China und im Libanon haben gezeigt, dass ein umfassendes Risikomanagement wichtig ist. Um auch solche Risiken mit unserer Supply-Chain-Modellierung abdecken zu können, greifen wir auf spezialisierte Datenprovider zurück. 

Wie weit arbeiten Sie mit Versicherungen zusammen? 

Betriebs- und Lieferkettenunterbrechungen sind ein wichtiges Thema für Versicherer und Rückversicherer. Dies war auch während der Covid-19-Pandemie sehr deutlich. Die Modellierung und Beurteilung solcher Risiken sind jedoch momentan nicht gleich ausgereift wie zum Beispiel die Beurteilung direkter Schäden durch Naturkatastrophen. Wir lancieren zurzeit erste Pilotprojekte mit Rückversicherungen und arbeiten an Methoden, um die Akkumulation von Lieferkettenrisiken besser zu modellieren und zu verwalten.

Welche Möglichkeiten haben Versicherungen, Ihre Lösung direkt in ihre eigenen Systeme zu integrieren?

Ein wichtiger technologischer Aspekt unserer Lösungen ist die Integrierbarkeit in andere Systeme durch geeignete Applikationsschnittstellen, die API. So können in Zukunft unsere Daten und Risikoeinschätzungen direkt in bestehende Risikomanagement- und Underwritingsysteme integriert werden.

Wir lancieren zurzeit erste Pilotprojekte mit Rückversicherungen und arbeiten an Methoden, um die Akkumulation von Lieferkettenrisiken besser zu modellieren und zu verwalten.

Welche nächsten Schritte planen Sie auf Technologieseite?

Wir haben bereits einiges investiert, um unsere Technologie skalierbar zu machen, was speziell auch für (Rück-)Versicherungsanwendungen essenziell ist. Über die nächsten Monate werden wir unsere Algorithmen, Daten und Modelle verbessern, um beispielsweise auch Risiken zu unbekannten Komponenten in Lieferketten miteinzubeziehen.

Welche Schritte stehen auf Finanzierungsseite bevor?

Wir planen im Frühling 2022 eine Finanzierungsrunde, um die Weiterentwicklung unserer Technologie zu beschleunigen und um unsere Risikoplattform international an den Markt zu bringen.

Wie sieht Ihr Exit-Szenario aus?

Unser Fokus liegt zurzeit darauf, eine neuartige technologische Lösung auf den Markt zu bringen, um kostspielige Lieferkettenrisiken zu beurteilen und zu minimieren. Der Aufbau eines nachhaltig erfolgreichen Unternehmens ist zurzeit wichtiger als mögliche Exit-Szenarien.

Und wo wird Ihre Firma in einigen Jahren stehen?

In einigen Jahren wollen wir mit Correntics eine Position erreichen, mit der wir weltweit Industrieunternehmen wie auch (Rück-)Versicherungen dabei unterstützen, sich an eine zunehmend komplexere und sich dauernd verändernde Risikoumgebung anzupassen.