Herr Landolt, was hat Sie als Branchen-Outsider daran gereizt, sich für das Amt als Santésuisse-Präsident zu bewerben?
Ich habe eine Aufgabe gesucht, bei der ich möglichst viel aus meinem beruflichen und politischen Rucksack verwenden kann. Und das in einem Umfeld, in dem ich Neues dazulernen kann und sich mir eine neue Welt erschliesst.
Trotz Ihrer Erfahrungen als Parteipräsident und als Vorstand der Glarner Krankenversicherung hat das Gesundheitswesen bis dato nicht zu Ihren Kerngebieten gehört. Ein Nachteil?
Nein, ganz und gar nicht. Primär wurde jemand gesucht, der Erfahrung in strategischen Mandaten, in der Kommunikation und im politischen Handwerk mitbringt sowie die politischen Prozesse kennt. Das alles bringe ich mit. Gleichzeitig reizt es mich, in dieser Funktion die Rolle eines Brückenbauers einzunehmen – denn im Gesundheitswesen ist vieles blockiert. Das alles hat es für mich sehr stimmig gemacht und ich gehe davon aus, dass deswegen auch die Wahl auf mich gefallen ist.
Wie wollen Sie diese Brücken bauen?
Bei all den Blockaden und verschlungenen Geschichten der letzten Jahre ist es ein Vorteil, dass ich weder Bestandteil noch Ursache von irgendwelchen Auseinandersetzungen war. Mir schlägt kein Misstrauen entgegen und das gibt mir einen privilegierten Zugang zu den Akteuren. Um die Rolle als Brückenbauer wahrzunehmen, verfüge ich natürlich nur über ein limitiertes Zeitfenster. Mein Ziel ist es, in den kommenden 18 Monaten kulturelle Spuren zu hinterlassen, zum Beispiel für mehr Lösungsorientierung. Denn in ein paar Jahren werde ich Teil des Systems sein.
Mittlerweile sind Sie bald 100 Tage im Amt. Ein heisser Prämienherbst kündigt sich an und auf dem gesundheitspolitischen Parkett ist aktuell viel los. Ein Start nach Ihrem Geschmack oder ein Sprung ins kalte Wasser?
Tatsächlich hatte ich nicht viel Zeit, um gemütlich in alles hineinzuwachsen. Daher bin ich froh, dass ich mir schon vor der Wahl Zeit für Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren genommen habe. Mich beschäftigen weniger die politischen Traktanden, diese überlasse ich gerne dem Parlament. Als Präsident von Santésuisse beschäftigt mich vor allem die Frage, bei welchen Blockaden des Systems wir selber ein Teil davon sind.
Welche sind das?
Das sind primär die Tarifverhandlungen.
Apropos Tarifverhandlungen – sind diese wirklich auf guten Wegen, wie in den vergangenen Wochen immer mal wieder zu hören war, oder ist diese Aussage eine politische?
Ich sehe ganz klar Tauwetter. Die Ablehnung des Tardoc hat uns allen die Chance gegeben, noch einmal einen Zwischenhalt zu machen. Bundesrat Alain Berset hat klar ausgedrückt, dass er sich ein Tarifsystem wünscht, das von allen Tarifpartnern mitgetragen wird. Ein komplementäres System, das auf Pauschalen basiert und mit Einzelleistungen ergänzt wird. Er konnte allen Akteuren aufzeigen, dass es nicht ein Entweder-oder ist, sondern dass die beiden Tarifsysteme zusammengehen und sich ergänzen müssen.
Ein Zwischenhalt ist gut und recht, doch die Zeit drängt. Was lässt Sie hoffen, dass es schon bald zu einer Änderung kommt?
Wir stehen nun vor einer anderen Ausgangslage. Ich spüre von allen Seiten eine grosse Offenheit und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, an einem Tisch zu sitzen und gemeinsam zu schauen, wie die eigenen Ziele, aber auch diejenigen der anderen erreicht werden können.
Gerne etwas konkreter: Bis wann resultiert aus dem Tauwetter ein Tarif-Frühling? Oder anders gefragt: Wann steht das neue Tarifsystem?
Die Chance, dass die Tarifpartner bis Ende des kommenden Jahres zwei sich ergänzende Projekte einreichen, ist grösser, als sie es je gewesen ist. Es gibt noch viel zu tun und das Pflänzchen ist zart, aber ich bin froh, dass alle die Bereitschaft zeigen, aufeinander zuzugehen.
Das tönt nach einer gut schweizerischen Kompromisslösung …
Ja, und genau das ist die Doktrin, die ich in die Welt des Gesundheitswesens zurückbringen möchte: Wir müssen wieder unterscheiden zwischen recht haben und recht erhalten. Wenn wir Fortschritte machen wollen, muss jeder bereit sein, auch einmal nur 80 Prozent der eigenen Ziele zu erreichen. Denn der Spatz in der Hand muss nicht unbedingt unattraktiv sein, er kann auch einen Schritt nach vorne bedeuten.
Würde es den Abbau von Blockaden beschleunigen, wenn Santésuisse und Curafutura wieder zusammengehen würden?
Es ist sicher nicht gut, dass wir zwei Verbände haben, doch man darf das auch nicht dramatisieren. Auch in anderen Branchen existieren mehrere Verbände. Natürlich würde ich einen Zusammenschluss begrüssen, doch ein Allheilmittel ist das nicht.
Warum nicht?
Die wesentlichen Interessenkonflikte liegen zwischen den Leistungserbringern und den Versicherern, nicht zwischen den beiden Verbänden. All die grossen Herausforderungen, mit denen wir uns in der Branche konfrontiert sehen, verändern sich damit nicht. Curafutura und wir sind nämlich in 90 Prozent der Fragestellungen einer Meinung. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir eine kooperative Koexistenz pflegen können.
Bis jetzt haben wir nur über die Baustelle Tarifsystem gesprochen. Welche Branchenthemen beschäftigen Sie sonst noch?
Das Tarifsystem ist der Bereich, in dem wir am meisten Einfluss auf den Fortschritt haben. Doch auf bundesrätlicher, parlamentarischer und kantonaler Ebene gibt es natürlich noch viele andere Themen: die Medikamentenpreise, die Überversorgung, die Spitalplanung, die Ärztedichte – alles Bereiche, bei denen sich nichts bewegt, weil das System es nicht zulässt, dass beispielsweise ein Regierungsrat ein Spital schliesst, ohne dass er mit politischen Konsequenzen rechnen muss. Dabei wären das low hanging fruits …
Meine Hypothese ist, dass diese nicht gepflückt werden, damit man sie weiter bewirtschaften und damit von den komplexeren Herausforderungen ablenken kann …
Vielleicht. Sicher ist, dass es auf allen Ebenen Möglichkeiten gibt, Entscheide zu fällen. Aber es ist unpopulär, Entscheide zu treffen, die jemandem weh tun. Dabei würde sich Leadership ja so definieren, dass man auch unangenehme Entscheide fällt und nicht nur Blumensträusse abholt. Wenn keine Entscheide gefällt werden, trifft das vor allem die Prämienzahlerinnen und -zahler. Genau diese bräuchten aber am meisten Schutz und stehen bei Santésuisse deshalb im Zentrum.
Vertreter von Krankenkassen sagen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis das Gesundheitssystem gegen eine Wand fahre. Sehen Sie das auch so?
Unterschwellig sagt man damit, dass es gewisse politische Kräfte gibt, die ein Interesse daran hätten, dass das System kollabiert, damit ein Alternativsystem etabliert werden kann. Ich wehre mich dagegen, in dieses Lied einzustimmen. Ich bin davon überzeugt, dass Bundesrat Berset keine solche Agenda verfolgt. Er hat ein Interesse daran, Reformen vorwärtszubringen und alle Akteure in die Verantwortung zu nehmen.