Sie sind Jahrgang 1963. Gehen Sie davon aus, dass Sie künftig eine Rente erhalten, die dem entspricht, was Ihnen heute im jährlichen Pensionskassenausweis versprochen wird?
Ja, ich bin zuversichtlich, dass das Rentenversprechen eingehalten wird. Auch bei uns sind die Umwandlungssätze in den letzten Jahren zurückgegangen. Aber in den kommenden sechs Jahren sollten sie nicht weiter sinken.
Banken sind grosszügige Arbeitgeber. Sind Sie auch für durchschnittliche Pensionskassenversicherte zuversichtlich?
Durchaus. Unser Pensionskassensystem ist grundsätzlich solide finanziert. Ein grosser Unsicherheitsfaktor ist allerdings die Inflation. Es besteht die Gefahr, dass die Rente nominell zwar dem versprochenen Niveau entspricht, aber aufgrund der Inflation stark an Kaufkraft einbüsst.
Um die anziehende Inflation aufzufangen, braucht es nicht zuletzt höhere Vermögenserträge. Wird das im erforderlichen Ausmass möglich sein?
Ich denke schon. Immobilien bilden ein solides Fundament, die Zinsen bei den Obligationen steigen und die Aktien erträge werden langfristig auch wieder steigen.
Aktien haben in den letzten Jahren viel zur guten Performance von Pensionskassen beigetragen. In den letzten Monaten haben sie aber stark gelitten. Ist das nur ein vorübergehendes Phänomen oder müssen wir uns angesichts von weltweiten Konflikten und damit einhergehender Deglobalisierung nicht langfristig auf eine Dürre periode an den Aktienmärkten gefasst machen?
Man darf sich von den negativen Entwicklungen der letzten Monate nicht täuschen lassen. Aktien unterliegen immer wieder starken Schwankungen. Sie spiegeln die Wirtschaft. Und die Wirtschaft wächst einerseits real und anderseits durch die Inflation. Damit bleiben sie für die Pensionskassen eine wichtige Anlageklasse. Im Gegenteil: Viele Pensionskassen dürften ihren Aktienanteil noch etwas erhöhen. Ideal wären wohl – je nach Kasse – 30 bis 40 Prozent. Derzeit sind es im Durchschnitt nur gut 32 Prozent, zugelassen wären gar 50 und mehr Prozent.
Warum schöpfen viele Kassen die Aktienquote nicht stärker aus?
Das hat viel mit Selbstschutz zu tun. Kassen mit hohem Aktienanteil waren in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Doch wenn die Aktienmärkte einbrechen, setzen sie sich auch massiver Kritik aus. Das gilt vor allem dann, wenn Sanierungsmassnahmen erforderlich werden. Es braucht darum einen soliden Sicherheitspuffer in Form von Schwankungsreserven, aber der sollte auch nicht allzu gross sein.
Obligationen sind für Pensionskassen die wichtigste Anlagekategorie. Über viele Jahre der Negativzinsen haben sie aber kaum einen Beitrag an die Vermögensbildung geleistet. Nun steigen zwar die Zinsen, dafür sinken die Buchwerte.
Die gesunkenen Buchwerte sehe ich als Investition in die Zukunft. Anleihen werden am Ende ihrer Laufzeit zurückbezahlt, doch die steigenden Zinssätze bringen bis dahin höhere Renditen. Steigende Zinsen wirken sich also viel positiver aus als die sinkenden Buchwerte auf der Negativseite, weil sie langfristig Wirkung entfalten. Steigende Zinsen sind das Beste, was Pensionskassen passieren kann.
Immobilien sind ein festes Standbein vieler Pensionskassen. Doch Renditeliegenschaften, namentlich im Wohnbereich, sind heute sehr teuer. Trotzdem kaufen Pensionskassen zusammen, was sie können, und nehmen dabei Bruttorenditen von 2 Prozent und weniger in Kauf. Bläht sich da nicht eine riesige Immobilienblase auf, die bei steigendem Leerstand platzen könnte?
Das sehe ich nicht so. Direktanlagen in Immobilien tätigen vor allem grosse Pensionskassen, und die haben ein sehr professionelles Liegenschaftsmanagement. Mit Aufwertungen auf dem Immobilienportfolio wie in den letzten Jahren ist künftig zwar nicht mehr zu rechnen. Wahrscheinlich gehen die Bewertungen sogar etwas zurück. Aber die Erträge werden stabil bleiben. Pensionskassen werden weiterhin Anlagen in Immobilien nachfragen.
Mit alternativen Anlagen, vor allem mit Private Equity und Infrastrukturbeteiligungen, versuchen Pensionskassen noch etwas mehr Rendite herauszuholen. Klappt das – oder wird da viel Aufwand für wenig Ertrag betrieben?
Private Equity und Infrastruktur sind grundsätzlich gute Anlagen für Pensionskassen. Das Problem ist, dass solche Anlagen vielfach intransparent und illiquide sind und letztlich sehr teuer. Bei Infrastrukturbeteiligungen muss man ins Ausland ausweichen, weil Kraftwerke, Strassen und Bahnlinien in der Schweiz zur Hauptsache dem Staat gehören. Im Ausland handelt es sich oft um Länder, in die man lieber nicht investieren würde. Das Angebot an attraktiven Beteiligungsmöglichkeiten ist also sehr klein, entsprechend hoch sind die Preise.
Eine Gruppe von Leuten um den Investor Henri B. Meier fordert, dass sich die Pensionskassen auch bei Startups engagieren, beispielsweise mit 1 Prozent ihres Vermögens. Was halten sie davon?
Wenig. Es gibt sehr viele Investoren, die in Startups investieren wollen. Am Geld mangelt es nicht. Da braucht es die Pensionskassen nicht auch noch. Und schon gar nicht mit staatlichem Zwang.
Andere fordern, dass die Pensionskassen bei ihren Anlageentscheiden auch Nachhaltigkeitskriterien einhalten müssen. Ist das ein berechtigtes Anliegen?
Nachhaltigkeit ist ein sehr wichtiges Thema, mit dem sich die Pensionskassen auseinandersetzen müssen. Und die allermeisten tun dies auch, aus Eigeninteresse und weil der Druck von Öffentlichkeit und Versicherten entsprechend gross ist. Am einfachsten ist der Einfluss bei Pensionskassen mit eigenem Immobilienbestand. Bei Neubauten und Renovationen können sie ganz direkt auf Energiesparmassnahmen und ökologische Materialien hinwirken. Wie genau sie ihre Nachhaltigkeitsziele im Anlage bereich definieren und erfüllen sollen, muss jede Pensionskasse selbst entscheiden. Gesetzliche Vorschriften braucht es dazu nicht.
(Dieses Interview erschien erstmals am 30.06.22 in der Handelszeitung Ausgabe Nr. 26.)
Zur Person
Der promovierte Ökonom (Universität Bern) Thomas Stucki ist Chief Investment Officer (Anlagechef) der St. Galler Kantonalbank.