- Die BVG-Reform zielt darauf ab, den obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge zu stärken und Unternehmen mehr Flexibilität für moderne Vorsorgelösungen zu bieten.
- Anpassungen berücksichtigen die veränderten Lebensformen und Arbeitsbedingungen seit der Einführung des BVG, einschliesslich Regelungen für Teilzeitarbeit, Lebenspartnerschaften und ältere Arbeitnehmer.
- Die kommende Reform wird insbesondere die Absicherung niedrigerer Löhne verbessern und die Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und kollektiver Sicherheit weiterentwickeln.
Die berufliche Vorsorge hat sich seit ihrer Einführung im Jahr 1985 kontinuierlich an gesellschaftliche Veränderungen angepasst, um den Versicherten eine verlässliche und sichere Vorsorgelösung zu bieten.
Michael Wagner, Aktuar DAV, Actuarial Consultant, und Samuel Neukomm, Pensionskassen-Experte SKPE, Head Actuarial Consultant bei WTW Switzerland.
Die Rolle der Pensionskassen bei der Bereitstellung einer solchen Lösung ist von entscheidender Bedeutung. Das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) legt die Mindestleistungen fest, die für alle versicherungspflichtigen Arbeitnehmenden gelten. Im Überobligatorium konnten die Pensionskassen schon immer weitgehend selbst entscheiden, wie sie ihre Leistungen definieren, um ihren Mitgliedern die bestmögliche Versicherung anzubieten und dabei in Krisensituationen resilient zu sein.
Lebenssituation hat sich verändert
Die Grundprinzipien des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) basieren auf den Lebensformen und Familienmodellen der 1960er-Jahre. Zu dieser Zeit dominierte das traditionelle Familienmodell. Der Ehemann war der Alleinverdiener, während die Ehefrau zu Hause blieb, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern, ohne dafür entlohnt zu werden. Teilzeitarbeit war zu dieser Zeit insbesondere bei Männern wenig verbreitet. Die Aufgabe des BVGs bestand entsprechend darin, die Familie finanziell abzusichern, falls ein Risikoereignis wie Alter, Invalidität oder Tod eintrat.
Die aktuelle Situation sieht anders aus. In vielen Fällen sind beide Partner berufstätig. Dadurch sinkt das Risiko für Hinterbliebene, da die Verantwortung und die finanzielle Sicherheit auf beide Partner aufgeteilt werden können. Zudem sind beide Partner in der beruflichen Vorsorge versichert. Pensionärinnen und Pensionäre werden nicht nur immer älter, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist ausserdem gewachsen. Zudem ist die Anzahl der verheirateten Versicherten gesunken, und auch die Teilzeitarbeit hat deutlich zugenommen.
Fluktuation, Lebenspartnerschaft, Risikobereitschaft
Es wurden bereits zahlreiche Massnahmen ergriffen, um das BVG auszubauen und damit den Veränderungen in der Bevölkerung und in den Lebensformen gerecht zu werden.
Die erste grosse Anpassung erfolgte 1995 mit der Einführung des Freizügigkeitsgesetzes (FZG). Diese Einführung war eine Reaktion auf die zunehmende Fluktuationsrate und die gesellschaftlichen Veränderungen, aufgrund derer immer seltener die gesamte berufliche Laufbahn bei einem einzigen Arbeitgeber verbracht wurde.
Ein weiterer Meilenstein im Bereich der beruflichen Vorsorge war die Implementierung der Begünstigtenordnung (Art. 20a) im Jahr 2005. Mit dieser Regelung erweiterte das BVG die Hinterbliebenenleistungen auf Lebenspartnerschaften, um auch unverheiratete Paare angemessen zu berücksichtigen.
Im Jahr 2006 wurde der Artikel 1e in der Verordnung der beruflichen Vorsorge (BVV 2) eingeführt und im 2017 nachgebessert. Dieser Artikel ermöglicht es Gutverdienenden, ihre individuelle Risikobereitschaft in der Vermögensanlage widerzuspiegeln. Durch diese Neuerung wurde die Tür geöffnet, um die Leistungen im überobligatorischen Bereich zu erweitern und auf individuelle Bedürfnisse einzugehen.
Weiterversicherung, Scheidung, Individualisierung
Um die immer älter werdende Bevölkerung adäquat im BVG zu versichern, wurden im Jahr 2011 die Artikel 33a und 33b im BVG angepasst. So konnte man die Arbeitsmarktbedingungen für ältere Arbeitnehmende ab dem 58. Altersjahr sichern und mehr Flexibilität im Vorsorgeplan ermöglichen. Diese wurde im Jahr 2021 mit der Möglichkeit einer Weiterversicherung nach dem Alter 58 mit dem Artikel 47a ergänzt.
Im Jahr 2017 wurden wegweisende Regelungen eingeführt, um der steigenden Scheidungsrate gerecht zu werden und eine faire Verteilung der Leistungen aus den Pensionskassen sicherzustellen. Angesichts der zunehmenden Auflösung von Ehen wurden gezielt Massnahmen ergriffen, um den betroffenen Personen finanzielle Sicherheit zu bieten.
Die Anhebung des Referenzalters bei Frauen auf 65 sowie die Einführung flexibler Altersrücktritte im Rahmen der AHV-21-Reform wurden per 2024 auch im BVG umgesetzt. Diese Anpassungen sind Schritte, um die steigende Lebenserwartung in der beruflichen Vorsorge zu verankern und Flexibilisierung und Individualisierung des Altersrücktritts zu gewährleisten.
Niedrigere Löhne, höhere Abdeckung
Was hält die Zukunft für das BVG parat? Die Abstimmung zur 13. AHV-Rente wurde gerade erst angenommen. Die nächste BVG-Reform steht bereits in den Startlöchern und verspricht weitere Anpassungen, um den Herausforderungen zu begegnen. Sie zielt auf den obligatorischen Teil der BVG ab, hat aber auch Auswirkungen auf das Überobligatorium.
Die Änderungen an der Definition der versicherten Löhne führen insbesondere bei niedrigeren Löhnen zu einer besseren Abdeckung durch den obligatorischen Teil. Zudem sind Anpassungen der Beitragsstaffelungen und der Umwandlungssätze vorgesehen. Die Umwandlungssätze wurden in vielen Kassen im Überobligatorium in den vergangenen Jahren gesenkt, was nun auch im Obligatorium nachvollzogen wird.
Die Herausforderung für die berufliche Vorsorge besteht darin, eine ausgewogene Balance zwischen individuellen Leistungen zur Berücksichtigung von Flexibilität und Individualismus zu finden, ohne dabei den Gedanken der Kollektivität zu vernachlässigen. Pensionskassen haben heute schon die Möglichkeit, Leistungen im Überobligatorium individuell und modern zu gestalten, ohne auf gesetzliche Neuerungen im BVG warten zu müssen. Hierzu stehen bereits Angebote auf dem Markt zur Verfügung, die es ermöglichen, die Mitarbeitenden nach ihren Werten und Wünschen zu versichern.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 27. Juni 2024 im HZ Insurance Print Special Pensionskasse.