Herr Geser, seit knapp einem Jahr sind Sie nun Chef der Transports Société Mutuelle TSM mit Sitz in La Chaux-de-Fonds. Haben Sie sich im Neuenburger Hochjura bereits eingelebt?
Als gebürtiger Deutschschweizer lebe ich mittlerweile seit über 30 Jahren in der Westschweiz. Zwar bin ich immer noch im Kanton Waadt wohnhaft, ich weiss aber die Vielfalt, welche der Arc Jurassien zu bieten hat, sehr zu schätzen, und ich fühle mich in dieser in der übrigen Schweiz leider etwas unterschätzten Region sehr wohl.
Zuvor waren Sie während 13 Jahren Regionaldirektor des Krankenversicherers Swica in Lausanne. Jetzt der Wechsel zu einem Sachversicherer im Firmenkundenbereich. Was war der Grund?
Ich habe das Handwerk bei zwei Allbranchen-Versicherern (La Suisse und Alpina) erlernt. Danach habe ich vier Jahre als Kundenbetreuer bei Gras Savoye gearbeitet und konnte da sämtliche Versicherungszweige praktizieren. In diesem Sinne ist der Wechsel zu TSM eher ein Zurück zu den Anfängen.
15 Tage nach ihrem Stellenantritt – und nach Ausbruch der Corona-Pandemie – hatte TSM gegenüber Firmenkunden und Brokern erklärt, dass die finanziellen Folgen wegen Covid-19 im Umfang der Epidemie-Versicherung gedeckt seien. Anfang April krebsten Sie dann zurück und verschickten eine Deckungsablehnung. Das war wohl nicht der perfekte Start, den Sie sich vorgestellt hatten ...
Ihre Aussage ist nicht ganz korrekt! Wir waren und sind zwar nach wie vor der Meinung, dass die Epidemie-Versicherungen darauf ausgelegt sind, Ertragsausfälle abzudecken, welche aufgrund einer Kontaminierung des versicherten Betriebs selbst und der daraus folgenden durch die Behörden verordneten Betriebsschliessung entstehen.
Die Folgen eines solch allgemeinen und unvorhersehbaren Ereignisses, das sich gleichzeitig schweizweit und auf der ganzen Welt ereignet, können nicht abgedeckt werden. Eine solche globale Naturkatastrophe stellt ein unerwartetes und nicht versicherbares Risiko dar, welches in keiner Prämienkalkulation berücksichtigt wurde. Das Versicherungsprinzip ist in einem solchen Fall ausgehebelt.
Trotzdem haben wir alles darangesetzt, zusammen mit allen involvierten Partnern eine rechtlich korrekte und wirtschaftlich vertretbare Lösung zu finden. Wir haben unsere Kunden um etwas Geduld gebeten und ihnen dann ein faires Entschädigungsangebot unterbreitet.
«Soweit mit den bestehenden Partnerschaften und unserer Strategie vereinbar, sind wir immer offen, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit auszuloten.»
Mit der Vaudoise und Generali pflegen Sie eine Kooperation. TSM bringt sein Fachwissen ein, wenn es um Transportversicherungen, Spezialrisiken oder Kaskodeckungen geht. Werden Sie diese Dienstleistung auch anderen Versicherern anbieten?
Mit Generali und Vaudoise pflegen wir im Rahmen unserer Produktepalette effektiv eine Vertriebskooperation. Anderen Gesellschaften stellen wir unsere branchenspezifischen Abwicklungstools sowie unsere Ressourcen zur Verfügung. Soweit mit den bestehenden Partnerschaften und unserer Strategie vereinbar, sind wir immer offen, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit auszuloten. Konkrete Projekte in dieser Hinsicht gibt es zurzeit nicht.
Statt Ihre Expertise anderen Versicherern anzubieten, könnte das TSM doch selber machen und so direkt Kundinnen und Kunden gewinnen.
TSM verfügt nicht über ein schweizweites Vertriebsnetz. Deshalb machen Kooperationen mit ausgesuchten Partnern für uns durchaus Sinn.
Sie waren früher einmal als Broker tätig. Was für eine Bedeutung hat nun der Brokerkanal für TSM?
Als in den 1970er-Jahren die ersten Versicherungsbroker auf dem Markt erschienen, gehörte TSM zu den ersten Versicherern, die diesem damals neuen Phänomen viel Positives abgewinnen konnten. Da wir, wie bereits erwähnt, nicht über einen Eigenvertrieb verfügen, hat auch die Zusammenarbeit mit ausgewählten und in unseren Zielgruppen tätigen Brokern noch heute eine grosse Bedeutung.
Wie ist das weltweite Netzwerk von TSM aufgebaut?
Der Tradition verpflichtet ist TSM vorwiegend im Heimmarkt tätig. Bei speziellen Konstellationen arbeiten wir nur punktuell mit ausländischen Partnern zusammen.
Sie sind zum Generaldirektor ernannt worden nicht nur zur Führung von TSM, sondern explizit, um «mit neuen Ideen und Konzepten» zur Entwicklung der Geschäfte beizutragen. Wie sehen Ihre Pläne aus?
TSM hat sich in den letzten bald 100 Jahren insbesondere in der Westschweiz einen Namen als Versicherer von Transport- und Spezialrisiken gemacht. Dieses Image gilt es zu schärfen, damit wir auch am anderen Ende der Schweiz die Marktpotenziale nutzen können. Ebenso wollen wir unseren Kunden mit einer weiteren Vereinfachung der Prozesse, inklusive deren Digitalisierung, einen spürbaren Mehrwert bieten.
«Wir sind daran, unsere Produkte- und Dienstleistungspalette, aber auch die Definition unserer Zielgruppen zu überarbeiten und bei Bedarf anzupassen.»
Noch eine Frage zu Ihren Dienstleistungen: Mit Transportversicherungen, Spezial- und Kautionsrisiken, Kasko für Renn- und Sammlerfahrzeuge sowie Assistance bieten Sie Ihrer Firmenkundschaft eine attraktive Palette. Werden Sie Anpassungen vornehmen?
Wir sind daran, unsere Produkte- und Dienstleistungspalette, aber auch die Definition unserer Zielgruppen zu überarbeiten und bei Bedarf anzupassen.
Die Versicherung von Uhrentransporten – die historische Wurzel von TSM – hat mit 30 Prozent nach wie vor einen gewichtigen Anteil am Prämieninkasso. Damit sind Sie stark vom Konjunkturverlauf eines einzelnen Industriezweiges abhängig. Das scheint mir sehr gefährlich ...
Historisch gesehen war TSM tatsächlich stark mit der Uhrenbrachen verbunden und hat die Höhen und Tiefen dieses Wirtschaftszweiges über die letzten bald 100 Jahre mitgetragen. Selbstverständlich gehört die Uhrenindustrie, inklusive deren Zulieferbetriebe, nach wie vor zu unserer Stammkundschaft. Inzwischen sind wir aber genügend diversifiziert, um die Volatilität des Konjunkturverlaufs dieser Branche abfedern zu können.
Heute ist TSM mit 67 Mitarbeitenden am Hauptsitz La Chaux-de-Fonds und Standorten in Genf, Lausanne und Zürich vertreten. Wie wird sich die Präsenz in der Schweiz in den nächsten Jahren ändern?
Es ist sicher nicht so, dass wir in den nächsten Jahren an jeder Ecke eine Geschäftsstelle eröffnen werden. Dennoch sind wir der Meinung, dass unsere Präsenz in der Deutschschweiz in den vergangen Jahren etwas vernachlässigt wurde und dass TSM in diesem Markt durchaus vermehrt präsent sein wird.
Ihre Kundschaft verteilt sich mit 50 Prozent in der deutschen und 45 Prozent in der französischen Schweiz; 5 Prozent sind im Tessin beheimatet. Zufrieden damit?
Diese Zahlen sind nicht ganz richtig. Das Prämienvolumen in der Deutschschweiz entspricht nicht einmal 20 Prozent des Gesamtvolumens und im Tessin sind es auch keine 5 Prozent. Dies verdeutlicht umso mehr, dass wir jenseits der Sprachgrenzen noch Wachstumspotenzial haben.
«Die Rechtsform der Genossenschaft ist absolut vereinbar mit unserer Strategie.»
TSM versichert keine Privatpersonen. Könnte sich das dereinst ändern?
Vor einigen Jahren hat sich TSM entschieden, sich an der Firma AutoMate Insurance AG zu beteiligen. Über die Internetplattform AutoMate werden Versicherungsprodukte auch an Privatpersonen vermittelt. Bei einigen dieser Produkte ist TSM der Risikoträger. Mit dem Projekt «Zahle wie und was du fährst» hat AutoMate zusammen mit Swiss Re übrigens gerade erst den Innovationspreis der Schweizer Assekuranz 2020 gewonnen.
Speziell scheint mir auch die Rechtsform als Genossenschaft, wobei jeder Versicherungsnehmer automatisch Genossenschaftsmitglied wird, sobald ihn ein direkt abgeschlossener Versicherungsvertrag an die TSM bindet. Ist das noch zeitgemäss?
Die Rechtsform der Genossenschaft ist absolut vereinbar mit unserer Strategie. Ganz der Idee der Gründer entsprechend sind wir keinen Aktionären verpflichtet, sondern wir können uns darauf konzentrieren, unseren Kunden massgeschneiderte Lösungen und finanzielle Sicherheit zu bieten.