Dieter Bartl, was beschäftigt Sie zurzeit?
Ich stelle mir vermehrt die Frage, wo wir als Versicherungsindustrie hingehen. Es ist extrem viel Bewegung im Markt. Wie viel Innovation und Neuausrichtung braucht es, um in Zukunft noch relevant zu sein? Das beschäftigt mich massgeblich.

Welche Antwort geben Sie sich auf diese Frage?
Ich glaube, wir müssen noch viel mehr tun als heute. Ich vergleiche das gerne mit anderen Industrien. Die Reisebranche ist ein Beispiel, die den Anschluss verpasst hat. Oder viele Banken, die fortlaufend Niederlassungen schliessen. Andere Branchen wiederum haben sich gut aufgestellt für die Zukunft. Bezogen auf die Versicherungswelt wissen wir: Die Profitabilität wird sukzessive unter Druck geraten und der Kunde wird anspruchsvoller. 

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Im Zusammenhang mit der Plattform Assepro.online haben Sie in einer Pressemitteilung erwähnt, dass Sie das Thema Versicherung für Ihre Kunden «spielend einfach machen» wollen. Aktuell kann man Bau- und Verkehrsrechtsschutzversicherungen abschliessen und Schäden anmelden. Das ist nur ein kleiner Teil des ganzen Spektrums – sind andere Bereiche wie etwa die Sozialversicherungen doch zu komplex, um sie konsequenter zu digitalisieren?
Der klassische digitale Abschluss ist zurzeit bei mehreren Produkten möglich. Dieser steht aber nicht im Vordergrund. In erster Linie soll Assepro.online eine Serviceplattform sein: Vom Portfolio über das Schadenhandling bis zum aktiven Risk Management können die Kunden hier alles machen. Das entspricht unserer Philosophie: Wir bieten das Rundum-Service-Paket von der klassischen Geschäftsversicherung über die zweite Säule bis hin zur Digitalisierung – ähnlich wie die verschiedenen Apps bei einem Handy. Das hat nicht mehr viel mit dem klassischen Abschluss zu tun.

Weiter kann das Tool mit der Lohnbuchhaltung verknüpft werden. Keine kaufmännische Angestellte muss sich mehr fragen, ob sie von den Taggeldern noch Sozialbeiträge abziehen muss oder nicht. Es ist ein durchgängiger Prozess, der es Unternehmen erlaubt, Kosten zu sparen und mit den eigenen Daten zu arbeiten. 

Haben Sie ein Beispiel, wie Sie mit der Plattform Risikomanagement betreiben?
Wir haben einen Kunden mit vielen Oberschenkel- und Unterarmverletzungen. Dank dem Tool haben wir dies erkannt und unser Kunde konnte den Produktionsprozess anpassen. Die Schadenbelastung ist gesunken und das Unternehmen hat nun bei der Aushandlung der Versicherungslösungen eine bessere Position gegenüber den Versicherungsgesellschaften.

«Wer heutzutage alles alleine machen will, hat schon verloren.»

Wen sprechen Sie mit dem Tool an?
Wir haben die Software in den letzten acht Jahren für die eigenen Kunden entwickelt und sie ist heute ausgereift; wobei wir alle wissen, dass solche digitalen Tools immer noch Potenzial haben. Mittlerweile nutzen sie auch andere Firmen – zum Beispiel Generalbauunternehmen, Verbände oder andere Broker – als Whitelabel-Lösung für sich.

Bestimmt hat die Entwicklung viel Know-how, Zeit und Geld gekostet. Warum verkaufen Sie sie nun an die Konkurrenz?
Ich bin da komplett offen. Wer heutzutage alles alleine machen will, hat schon verloren. Für mich stehen Ökosysteme im Vordergrund, bei denen sich verschiedene Partner zusammentun. Tesla ist das beste Beispiel: Das sind ja nicht alles eigene Erfindungen. Das Unternehmen hat es geschafft, die richtigen Partner zusammenzubringen. Batterien, Solarenergie, neue Technologien – Tesla ist heute viel mehr als ein Autounternehmen. Das werden andere nicht so schnell kopieren können. Denn es braucht nicht nur die finanziellen Mittel, sondern eben auch Wissen und Erfindergeist.

Die Assepro Gruppe ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Der letzte Zuwachs kam 2020 mit der RMS Risk Management Service AG, den Pensionskassen-Dienstleistern Prevas AG und Gewos AG sowie Godly & Partner. Was hat sich innerhalb der Gruppe verändert durch das starke Wachstum der letzten Jahre?
Per se hat sich nichts verändert. Wir haben nach einem klaren Plan nur Unternehmen dazugekauft, die uns in Bezug auf Knowledge und Footprint ergänzen. Wir kaufen nicht einfach um des Wachstums willen. 

Die Firmen, die Sie kaufen, sind lokal verankert. Wie bringen Sie deren Eigenheiten alle unter einen Hut?
Wir sind kein Unternehmen, das sich zentralisiert. Der Kunde in Graubünden funktioniert anders als jener in Bern, Zürich oder St. Gallen. Intern bringt das natürlich mit sich, dass wir die Kultur unserer Gruppe schärfen müssen und gewisse Leitlinien vorgeben. Wir unterstützen es aber, dass die Firmen ihre eigene Identität behalten und weiterhin unternehmerisch tätig sein dürfen.

«Da die Babyboomer pensioniert werden, müssen viele KMU überlegen, wie es mit ihrem Unternehmen und Vermögen weitergeht.»

Was haben Ihnen denn die letzten Zugänge konkret gebracht?
Dank Prevas und Gewos sind wir heute bei der zweiten Säule ganz vorne dabei. Wir haben ja seit 20 Jahren auch eine eigene Vorsorgestiftung und es ist uns ein Anliegen, dass wir unseren Kunden beim An- und Entsparen helfen können. Mit Godly & Partner haben wir das Rheintal erschlossen und gehören nun im Raum Chur zu den Marktleadern. Dank RMS können wir eigene Risk-Rider-Lösungen kreieren und anbieten.

Was meinen Sie mit Entsparen?
Da die Babyboomer pensioniert werden, müssen viele KMU überlegen, wie es mit ihrem Unternehmen und Vermögen weitergeht. Die zentrale Frage, die Covid-19 beschleunigt hat, ist: Wie kann ich meinen Wohlstand in die Zukunft transferieren? Und welche Risiken gibt es für mich heute und in der Zukunft?

Das Private-Equity-Unternehmen EMZ Partners hat die Mehrheit an der Assepro Gruppe erworben. Sind die Verträge schon unterzeichnet?
Wir haben sie letzte Woche ins Trockene gebracht, ja. (Anm. der Redaktion: EMZ Partners beteiligt sich an der Assepro Gruppe)

«EMZ ist keine ‹Heuschrecke›, sondern wirklich ein Partner auf Augenhöhe. Ohne Sitz im Verwaltungsrat, übrigens.»

Sind Sie so stark gewachsen, dass Sie nun die entsprechende Stärkung im Rücken brauchen?
Die Perspektive ist eher zukunftsgerichtet. Die bereits getätigten Akquisitionen haben wir aus eigenen Kräften finanziert. Wir haben also vor allem einen Partner für künftige Zukäufe und die Weiterentwicklung des Ökosystems gesucht. 

Die sieben Tochtergesellschaften der Assepro Gruppe arbeiten dezentralisiert an 18 Standorten in der ganzen Schweiz. Mit welchem Konfliktpotenzial rechnen Sie, wenn nun von Paris und München aus mitdiskutiert wird?
Wir haben EMZ bewusst ausgewählt, weil sie sich zurückhalten. Wir werden sie im Alltag nicht spüren, denn EMZ hat bei Investitionen eine langfristige Perspektive. Wir werden aus München betreut und haben einen sehr direkten Draht zueinander. EMZ ist damit keine «Heuschrecke», sondern wirklich ein Partner auf Augenhöhe. Ohne Sitz im Verwaltungsrat, übrigens.

Aber irgendwann soll sich die Investition schon auszahlen, oder?
Klar. Die Ziele sind mit unseren Managementzielen abgestimmt. Sicherlich wollen wir weiterhin profitabel sein, den Markt verändern und unsere Kunden noch zukunftsgerichteter betreuen.

«Die Brokerlandschaft als solches muss sich viel stärker an den Wünschen der Kunden ausrichten.»

Was sind Ihre Wachstumsziele für die nahe Zukunft: Wird es 2021 in diesem Stil weitergehen?
Mit dem Einstieg von EMZ sind wir gerüstet, um weitere Expansionen durchführen und in die Digitalisierung investieren zu können.

Was erhoffen Sie sich für die Brokerlandschaft Schweiz in Zukunft?
Die Brokerlandschaft als solches muss sich viel stärker an den Wünschen der Kunden ausrichten. Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken. Wenn wir diesen Wandel in der klassischen Industrie nicht schaffen, werden andere, neue Marktteilnehmer in Zukunft den Takt vorgeben.

Ist das Gärtchendenken noch zu tief verankert?
Das ist sicherlich so, weil man ja immer von sich selber überzeugt ist. Aber ein Team ist besser als ein Einzelkämpfer. Besonders jetzt, da sich die Dinge exponentiell verändern und Solidarität mehr denn je gefragt ist.

Was wünschen Sie sich persönlich für 2021?
Zwei Dinge. Das eine ist, dass wir uns untereinander solidarisch und ehrlich verhalten. Privat und geschäftlich, insbesondere in solch schwierigen Zeiten wie jetzt mit Covid-19. Wir müssen wieder lernen zu verstehen: Es gibt kein risikofreies Leben! Das Zweite ist, dass sich unsere Mitmenschen vor Augen führen, was die Zukunft bringt. Ich habe viele Teile der Welt gesehen und ich kann Ihnen sagen: Da gibts viele top ausgebildete Menschen, die den Druck auf die westliche Welt erhöhen. Die Schweiz als «Insel der Glückseligkeit» wird es so nicht mehr geben. Man muss sich anpassen, mutig sein und Risiken eingehen.