Hand aufs Herz, Herr Ece, eine Vereinigung von Versicherungs-Inhouse-Brokern ist doch eigentlich überflüssig.
Tolga Ece: Wie kommen Sie denn auf so einen Gedanken? In einem immer komplexer werdenden Umfeld sind hauseigene Fachleute in grossen Firmen und Organisationen nicht mehr wegzudenken.

Na ja, mit dem Verband Schweizerischer Versicherungsbroker (Siba) besteht bereits eine Vereinigung, in der unabhängige Versicherungsvermittler organisiert sind. Unabhängig und keiner Versicherungsgesellschaft verpflichtet. Was kann sich die Wirtschaft mehr wünschen?
Diese Argumentation ist zu kurz gefasst, denn die Mitglieder der VIB sind ausschliesslich ihren eigenen Unternehmen und Organisationen verpflichtet. Die Inhouse-Broker sind hauseigene Kompetenzzentren und erste Anlaufstelle bei Fragen zu Risk Management, Versicherungen und Schadensfällen. Sie kennen die Risiken, aber auch die Chancen ihres Arbeitgebers. Ein externer Versicherungsbroker kann sich dieses vertiefte Wissen kaum aneignen.

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Interviewpartner
Tolga Ece ist Leiter des Kompetenzzentrums Risiko- und Versicherungsmanagement der Stadt Zürich und Präsident der Vereinigung Versicherungs-Inhouse-Broker (VIB). Ece (50) ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Seine Hobbys sind Privatpilot, Motorräder, Musiker in einer Rockband. Seine Ausbildung umfasst eine Technische Grundausbildung, danach Versicherungsfachmann mit eidg. Fachausweis und Associate in Risk Management (ARM).

Trotzdem: Broker der Siba wie auch die VIB sind im gleichen Business tätig. Sind Sie eher Konkurrenten oder Partner?
Wir erachten die unabhängigen Versicherungsbroker als Partner. Sie können uns Dienstleistungen in Bereichen erbringen, wo wir beispielsweise fehlende Ressourcen haben. Anderseits übernehmen sie die Vor-Ort-Betreuung vieler Konzerngesellschaften von international aufgestellten Grossunternehmen. Auf dieses Netzwerk greifen wir gerne zu.

Wie zufrieden sind die VIB-Mitglieder mit den Dienstleistungen der Versicherungsgesellschaften?
Die Versicherungsgesellschaften erbringen einen wertvollen Beitrag zur finanziellen Kalkulierbarkeit von Risiken. Sie gehören zu den wichtigsten Geschäftspartnern der VIB-Mitglieder.

Wo orten Sie Verbesserungspotenzial?
Von Kolleginnen und Kollegen unserer Vereinigung erfahre ich immer wieder, dass die Dienstleistungsqualität diverser Versicherungsgesellschaften deutlich abgenommen hat. Ausserdem tendieren Versicherungsgesellschaften gerade in Krisenzeiten dazu, Risiken nur noch selektiv zu versichern. Für gewisse Industrien kann fehlender Versicherungsschutz oder eine massive Prämienerhöhung zu ernsthaften Schwierigkeiten führen.

Kaufen Unternehmen in aller Regel Versicherungsprodukte ab Stange oder werden diese eher massgeschneidert?
Es können in seltensten Fällen Versicherungsprodukte ab Stange eingekauft werden. Durch die Grösse und Komplexität der Unternehmen erfordert es individuelle Vereinbarungen. Meistens werden durchgeschriebene Policen-Wordings verwendet.

Wie sieht eigentlich das ideale Anforderungsprofil für die Funktion «Inhouse-Broker» aus?
Es sind Personen mit mehrjährigem Allrounder-Wissen aus der Assekuranz mit der Bereitschaft, sich in eine versicherungsfremde Branche einzuarbeiten. Mehrjährige Versicherungserfahrung, eine Weiterbildung mit eidgenössischem Fachausweis oder Ähnliches sowie Kenntnisse im Bereich Risikomanagement sind ein Muss.

Was ist besser? Jemanden aus dem Unternehmen mit grossem Branchenwissen für Risiko- und Versicherungsfragen weiterbilden oder jemanden direkt aus der Versicherungswirtschaft einstellen?
Ideal wäre es, Fachpersonen aus dem Unternehmen nachzuziehen und mit genügend Vorlauf in Versicherungsthemen einzuarbeiten. In der Realität ist es aber umgekehrt. In der Regel sind es Versicherungsfachleute von Versicherungsgesellschaften oder von Brokern.

Ab welcher Unternehmensgrösse würden Sie empfehlen, das Risiko- und Versicherungsmanagement professionell zu handhaben?
Das ist eine gute Frage. Es gibt keine allgemeingültige Antwort dazu. Während eine Firma mit 3000 Angestellten mit Ausrichtung in der Schweiz gut ohne Inhouse-Broker auskommt, macht es für eine Firma mit 1000 Angestellten, grosser Produktpalette und internationalem Tätigkeitsfeld Sinn, einen solchen einzustellen. Grundsätzlich sollte ein Unternehmen mit einer gewissen Grösse und Komplexität eigene Risiko- und Versicherungsmanager aufbauen.

Ihre persönliche Einschätzung: Finden Privatwirtschaft und Behörden genügend Nachwuchs? Risikoanalyse und die Klärung der Versicherungsbedürfnisse sind schliesslich herausfordernd.
In der Tat ist es eine Herausforderung, die richtigen Nachwuchskräfte zu finden. Bei Stellenausschreibungen bewerben sich zwar zahlreiche Interessentinnen und Interessenten. Personal mit einem möglichst breiten Versicherungsfachwissen und Kenntnissen im Risikomanagement sind jedoch rar.

Wo liegen für Unternehmen die Vorteile einer VIB-Mitgliedschaft?
Unsere Mitglieder profitieren von einem enormen Fachwissen und einem kollegialen Netzwerk. Wir sind stolz, Firmen aus Branchen wie Industrie, Detailhandel, Bau, Grossverteiler, Finanzen, Energie, Transport sowie aus diversen öffentlichrechtlichen Institutionen zu unseren Mitgliedern zählen zu dürfen. Wir treffen uns zweimal im Jahr. Wir organisieren Fachreferate, tauschen uns über aktuelle Entwicklungen in der Branche aus und beantworten Fragen von Mitgliedern zu Mitgliedern. Mit 26 Mitgliedsfirmen, 450'000 Angestellten und einem Prämienvolumen von über 730 Millionen Franken können wir uns ausserdem gegenüber den Versicherungsgesellschaften entsprechend positionieren.

VIB-Mitglieder sind oft auch in der Schweizerischen Vereinigung der Insurance und Risk Manager (Sirm) aktiv. Warum fusionieren die beiden Verbände nicht?
1993 ging die VIB aus der Sirm hervor. Der Grund war das Dienstleistungsabkommen der Schweiz mit der EU. Die Versicherungsvermittlung sollte analog zur EU geregelt werden. In der Sirm gab es neben reinen Versicherungseinkäufern viele professionelle Risiko- und Versicherungsmanager. Letztere wollten bei den Verhandlungen mit dem Bundesamt für Privatversicherung (BPV) ihre eigenen Interessen adressieren. Es sollte möglichst ein Sprachrohr im Namen aller Inhouse-Broker mit dem BPV sprechen. Deshalb hat sich die VIB von der Sirm herausgelöst und eine eigene Vereinigung gegründet. Die meisten VIB-Mitglieder haben heute auch eine Sirm-Mitgliedschaft. Im Jahr 2023 feiern wir übrigens das dreissigjährige Bestehen unserer Vereinigung.

Wo sehen Sie noch weitere Entwicklungsmöglichkeit der VIB?
Wir möchten unseren Bekanntheitsgrad noch weiter steigern. Deshalb prüfen wir zurzeit Möglichkeiten, wie wir unsere Vereinigung auf ausgewählten Plattformen prominenter präsentieren können. Wir sind auch offen für Bewerbungen von Mitgliedsfirmen, welche ebenfalls über qualifizierte Inhouse-Broker-Abteilungen verfügen. Ausserdem reden wir über Weiterbildungsmöglichkeiten für unsere Mitglieder – um nur einige unserer Entwicklungsfelder zu nennen.

Verband für Risikoexperten

Sprachrohr: Die 1993 gegründete VIB ist eine Vereinigung von Versicherungs-Inhouse-Brokern namhafter Unternehmen in der Schweiz. Inhouse-Broker befassen sich mit dem Risiko- und Versicherungsmanagement innerhalb des Unternehmens. Prävention und effektive Risikobewirtschaftung sind Kern des Auftrags, damit sich die Bedürfnisse des Unternehmens in den Versicherungsdeckungen richtig widerspiegeln und im Schadenfall eine sichere Deckung besteht. VIB-Mitglieder sind gegenüber Versicherungsgesellschaften neutral und an einem breiten, wettbewerbsfähigen Versicherungsmarkt interessiert.

Dieser Beitrag ist vorgängig im «Special Unternehmensversicherungen» der Handelszeitung vom 21. April 2022 erschienen.