Frau Zeier, Herr Portmann, seit Anfang dieses Jahres leiten Sie das Institut für Risk & Insurance der ZHAW. Was hat Sie dazu bewogen, die Nachfolge von Daniel Greber, der das Institut in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, anzutreten?
Angela Zeier Röschmann: Der Zeitpunkt ist extrem spannend – in den vergangenen zehn Jahren ist das Institut vom Startup zum KMU mit drei Fachstellen gewachsen. Ich durfte Teil dieser Entwicklung sein. Mittlerweile ist unser Bachelor-Studiengang Betriebsökonomie mit Vertiefung in Risk & Insurance am Markt etabliert und wir haben einen Weiterbildungs-Master aufgebaut. In Sachen Expertise und Angebot können wir nun also aus dem Vollen schöpfen und zum nötigen Upskilling in der Versicherungswelt beitragen.
Herr Portmann, was war Ihre Motivation?
Jürg Portmann: Die Möglichkeit, die Co-Leitung zu übernehmen, war eine super Gelegenheit, um die interne mit der externen Sichtweise zu verbinden, denn ich bin ja erst vor einem Jahr als Leiter der Fachstelle Business Mathematics ans Institut gekommen.
Sind Co-Leitungen an der ZHAW üblich?
Angela Zeier Röschmann: Noch nicht. Da sie aber in unserem Geschäftsmodell von Lehre, Weiterbildung und Forschung viele Vorteile mit sich bringen, erwarte ich eine Zunahme. Wir mussten uns als Co-Leitung in einem ganz normalen Bewerbungsverfahren bei einer Findungskommission durchsetzen.
Angela Zeier Röschmann…
…ist Professorin und Co-Leiterin des Instituts für Risk&Insurance an der ZHAW School of Management and Law. Sie ist seit über 20 Jahren im Versicherungsbereich tätig unter anderem im Haftpflicht Underwriting bei Winterthur International oder als Verantwortliche des Bereichs Finance and Operations der Region Deutschland, Schweiz, Österreich bei Chubb Insurance.
Am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen (I.VW-HSG) verantwortete Angela Zeier den Bereich Future.Value. Heute lehrt und forscht Angela Zeier an der ZHAW School of Management and Law zu den Themen Versicherungsbetriebslehre, innovative Geschäftsmodelle und qualitatives Risikomanagement. Seit 2017 amtet Angela Zeier als Verwaltungsrätin bei verschiedenen Versicherern. Sie schloss ihre Ausbildung an der California State University Northridge (MBA) und der Universität St. Gallen (MA HSG, Dr. oec. HSG) ab.
Sorgt die neue Organisation nun nicht für Verwirrung?
Jürg Portmann: Klar hat sie für leichte Irritationen gesorgt und die Mitarbeitenden und Studierenden müssen sich noch daran gewöhnen. Ich bin aber überzeugt, dass es funktionieren wird.
Angela Zeier Röschmann: Wir verstehen, dass viele Leute gerne wissen möchten, wer wo wie was macht, doch diese Unsicherheit müssen sie jetzt einfach ein wenig aushalten, das gehört zur heutigen Welt (schmunzelt). Die Unsicherheit belassen wir bewusst, denn aus dieser kann auch wieder Neues entstehen.
Worin sehen Sie denn den Vorteil?
Angela Zeier Röschmann: Die Art, uns zu organisieren, ist Ausdruck der Erwartungen an das moderne Zusammenarbeiten: flache Hierarchien und keine Einzelperson als Nadelöhr. Das heisst, dass in Projekten auch mal ein Mitarbeitender Chef ist und ich mitarbeite. Diese Agilität wollen wir vorleben. Bezüglich unserer Werdegänge und Stärken ergänzen wir uns zusammen mit Lukas Stricker als Leiter Weiterbildung sehr gut und jeder und jede hat die Chance, dort einen Impact zu erzielen, wo er oder sie stark ist. Klar ist der Koordinationsaufwand etwas grösser, doch dafür sind die Entscheidungen nachhaltiger, weil wir sie zu dritt abgesprochen haben.
Jürg Portmann: Entscheidend für alle ist es in erster Linie, dass die anstehenden Projekte gemacht und umgesetzt werden, und dafür fühlen wir uns gemeinsam verantwortlich. Uns ist aber auch bewusst, dass jemand die Fahne für ein Thema beziehungsweise einen Bereich tragen muss.
Frau Zeier Röschmann, Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs den Begriff Upskilling verwendet. Weshalb ist ein solches für die Versicherer zurzeit notwendig?
Angela Zeier Röschmann: Weil die Zeit reif ist, um neue Horizonte und Perspektiven zu eröffnen. Obwohl die Fachexpertise weiterhin unser Anker bleibt, stellen wir fest, dass die Studierenden mehr Methoden und Selbstkompetenzen benötigen, um sich den Herausforderungen, denen sich die Branche gegenübersieht, zu stellen. Für uns ist daher die Methodenkompetenz das Upskillingthema der Stunde.
Was meinen Sie damit?
Angela Zeier Röschmann: In der heutigen Arbeitswelt wissen wir nicht, welches Szenario morgen eintreten wird. Daher brauchen wir die richtigen Methoden, um Szenarien zu kreieren und mit Modellrechnungen und Daten umgehen zu können.
Unsere Abgängerinnen und Abgänger sollen je nach Bedarf die richtigen Konzepte und Methoden wählen sowie andere Perspektiven einnehmen und mit verschiedenen Expertinnen und Experten diskutieren können. Mitarbeitende müssen heute befähigt sein, über Abteilungsgrenzen hinaus zusammenzuarbeiten, darauf legen wir in allen Studiengängen sehr viel Wert.
Jürg Portmann…
…ist Dozent und Co-Leiter des Instituts für Risk & Insurance an der ZHAW School of Management and Law. Er ist seit 10 Jahren in der Versicherungsindustrie tätig, zuerst im Bereich Nichtleben bei Allianz und später im Bereich Leben bei Swiss Life. Sein Tätigkeitsfeld beinhaltet Pricing, Data Analysis, quantitatives Risikomanagement und Rechnungslegung. Seit 2022 lehrt er an der ZHAW School of Management and Law und forscht, mit Schwerpunkt Vorsorge und Artificial Intelligence, Machine Learning und Data Science. Während seiner Ausbildung beschäftigte sich Jürg Portmann mit theoretischer Physik und reiner Mathematik an der ETH Zürich (Dr. sc. ETH Zurich, Master of Science ETH in Mathematics). Er ist Aktuar SAV und Mitglied der Schweizerischen Aktuarvereinigung.
Apropos Umgang mit Daten – sind die Versicherer fit in Sachen Daten?
Jürg Portmann: Ja, sind sie, aber es gibt sicher noch viel Potenzial, denn Daten werden in allen Versicherungsbereichen immer wichtiger werden. Für unsere Studierenden bieten wir deshalb neu eine Vorlesung Data Science and Technology for Insurance an, damit sie auf die Welt von morgen vorbereitet sind.
Interessant in dem Zusammenhang sind Fragen wie «Was ist Machine Learning?», «Wie lassen sich Voraussagen treffen mit Data Analysis?» und «Was ist eigentlich AI?» und «Wie wird sich unsere tägliche Arbeit in der Versicherungsindustrie verändern?». Das wollen wir unseren Studierenden vermitteln. Gleichzeitig ist der Schutz der persönlichen Daten wichtig. Es gilt also aus Daten zu lernen und persönliche Daten zu schützen
Ein Trend ist also das Thema «Umgang mit Daten» – wo sehen Sie die neue Rolle der Versicherer, um auch in Zukunft relevant zu bleiben?
Angela Zeier Röschmann: Ganz klar beim Thema Prävention, dieses wird den Versicherern spannende neue Rollen ermöglichen.
Jetzt bin ich aber neugierig … Wird der Schaden also schon bald nicht mehr die Königsdisziplin sein, sondern die Prävention?
Angela Zeier Röschmann: Ja, das ist eine zukunftsfähige Vision. Zurzeit untersuchen wir beispielsweise in einem Nationalfonds-Projekt den Wert von Smart Home für die Prävention. Da sind die Versicherer ein spannender Stakeholder, doch wir müssen uns bewusst sein, die Präventionsrolle könnte auch ein Unternehmen – beispielsweise in der Heimautomation – übernehmen. Versicherer müssen aufpassen, dass sie künftig nicht zur reinen Zahlstelle mutieren und das grosse Wissen, über das sie verfügen, gewinnbringend für die Kunden einsetzen können. Das gilt für Feuer- und Wasserschäden genauso wie für die Gesundheitsprävention.