Schweizer Top-Versicherer haben die COVID-19 Implikationen überwunden und entwickeln ihren exklusiven Vertrieb über ihre Generalagenturen weiter. Deren Zielsetzung liegt weiterhin auf dem beratungsintensiven Geschäft. Gleichzeitig wollen 80 Prozent der Versicherer das Netzwerk der Generalagenturen weiter optimieren und mit dem Angebot neuer vertrieblicher Services verbinden.
Gero Matouschek, Partner bei Strategy&, Partner für Strategieberatung in der Versicherungsindustrie im europäischen PwC-Netzwerk.
Christian Lippke, Director bei Strategy& in der Schweiz und Teil der Financial Services Practice mit Fokus auf Versicherungsstrategien und -transformationen.
Neben der seit Jahren auf der Agenda stehenden Digitalisierung, sehen die Schweizer Top-Versicherer dieses Jahr erstmalig die Akquisition von Talenten als einer der größten Herausforderungen im Vertrieb. Während bei der letzten Befragung keine Top-Versicherung diese Herausforderung so explizit nannte, waren es dieses Mal alle befragten Versicherer.
Die Generalagentur-Benchmarking-Studie ist am Schweizer Markt etabliert und wird seit 2018 regelmässig durchgeführt.
Ebenso herausfordernd wird die Regulatorik inklusive der VAG-Teilrevision wahrgenommen. Ihre Bedeutung ist ebenfalls stark gestiegen. Weitere Herausforderungen sind die ungewisse Zukunft (neu) sowie die aktivere Bestandsbearbeitung, der steigende Kostendruck sowie Veränderungen im Kundenverhalten, jedoch mit rückgängiger Tendenz.
Laut der Studie zeichnen sich vier übergreifende Trends ab.
- Generalagenturen nehmen eine wichtige strategische Rolle ein. Schweizer Versicherer sehen ihre Generalagenturen weiterhin als zentralen Hebel in der Umsetzung ihrer Vertriebs-, Kunden- und Produktstrategie. Entsprechend den Studienergebnissen üben die hiesigen Versicherer daher stärkeren Einfluss auf ihre Generalagenturen aus, um beispielsweise Vorgaben zu Beratungsansätzen zentral zu steuern und einem gesteigertem Orchestrierungsaufwand mehrerer Vertriebskanäle gerecht zu werden. Der direkte Kundenzugang über eine persönliche Bindung zum Versicherungs-Vertriebsagenten bleibt ein strategisch wichtiger Erfolgsfaktor, wenn auch mit weniger ansteigender Tendenz als in den Vorjahren.
- Verstärkte Performance-Orientierung für Vertriebsorganisation. 80 Prozent der Schweizer Versicherer verfolgen verstärkt Effizienzsteigerungen, um die Agentenproduktivität zu erhöhen und auch Vertriebsunterstützungskosten zu reduzieren. Dies wird beispielsweise über die zentrale Bereitstellung von digitalen Tools, höhere Standardisierung bei internen Abläufen sowie auch durch Organisationsanpassung erreicht. Auch segmentierte Kundenbetreuung mit dedizierten Ansätzen für High- und Low-Potential-Kunden inklusive konsequenter Bestandsbearbeitung sollen die Vertriebseffizienz und -effektivität weiter steigern.
- Weiterentwicklung des eigenen Vertriebsnetzwerks. Gemäss der Studie ist grundsätzlich auch eine zunehmende Tendenz erkennbar, dass die Grösse der exklusiven Vertriebseinheiten zunimmt. Während in der Vergangenheit ein Generalagent eine Verantwortung von durchschnittlich 30-40 Millionen Franken Prämienvolumen hatte, gibt es mittlerweile eine deutliche Verschiebung hin zu mehr Prämienvolumen (50-60 Millionen Franken). Die zunehmende Konsolidierung in grössere Einheiten eröffnet auch neue Möglichkeiten. So verfolgen beispielsweise 60 Prozent der Versicherer Spezialisierungs-Ansätze, sodass in grösseren Generalagenturen dedizierte Kapazitäten für Themen wie KMU-Experten, Vorsorgeberater oder Fachberater eingebettet werden. Anderseits werden die grösseren Einheiten auch für ein breiter gefasstes Angebots an Qualitätsdienstleistungen, wie zum Beispiel Hypotheken oder Wealth Management, genutzt.
- Die Vergütungsmodelle entwickeln sich weiter. Während grundsätzliche, umfangreiche Veränderungen oder Neuentwicklungen der Vergütungsmodelle die Ausnahme bleiben, ändert sich die Fokussierung. Insgesamt bleiben die Vergütungsmodelle der Schweizer Versicherer für Ihren Exklusivvertrieb weiterhin stark abschluss- und bestandsorientiert mit einem hohen variablen Anteil. 70 Prozent der Entschädigung eines Aussendienstmitarbeitenden entfallen auf die Eigenleistung. Cross-Selling gewinnt als weitere Komponente im Rahmen einer aktiveren Bestandsbearbeitung allerdings an Bedeutung. Neben der klassischen Vergütung von neuen Abschlüssen und Beständen, werden Führungsleistungen, insbesondere bei Generalagenten und Verkaufsleitenden, und die Unterstützung von zentral gesetzten Initiativen, zum Beispiel durch Aktivierung gesetzter Fokusprodukte oder Zielkundengruppen, relevanter.
Perspektivisch wollen die Schweizer Versicherer ihre Entschädigungssysteme auf neue Geschäftsmodelle und -strategien einstellen. Dabei sollen Omni-Kanal Ansätze und die Incentivierung von generierten Leads mit Handover zu weiteren Vertriebskanälen entsprechend ihres Wertbeitrages besser berücksichtigt werden. Auch eine stärkere Gewichtung von Cross-Selling wird anvisiert, um in einem gesättigten Schweizer Markt den Share-of-Wallet bei bereits versicherten Kunden zu erhöhen. Insgesamt soll auch eine verbesserte Steuerung des Vertriebs auf definierte Zielbereiche, wie bestimmte Produkte oder Kundengruppen, mit entsprechender Incentivierung weiter forciert werden.