Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war das Risiko einer solchen bereits seit längerem auf dem Radar der Versicherer, beispielsweise bei Swiss Re. Seit zehn Jahren untersucht der Rückversicherer in seinem SONAR-Bericht potentielle Risiken. Darauf zu finden waren eine globale Pandemie, steigende Inflationsraten, geopolitische Konflikte und die unaufhaltbare Klimakrise schon lange vor ihrem Eintreffen. Aktuell ringt die Gesellschaft noch mit den Folgen der Corona-Pandemie, doch diese könnte nicht die letzte gewesen sein. Vor allem der durch den Klimawandel bedingte schmelzende Permafrostboden, der ein Viertel der nördlichen Hemisphäre bedeckt, könnte jahrzehntelang eingefrorene Krankheitserreger wieder freisetzen. Und welche Dimensionen ein geopolitischer Konflikt annehmen kann, hat sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ebenfalls gezeigt: Mit einer Energiekrise.
Nicht versicherbare Risiken
Die Risiken sind allen bewusst, doch können sich Unternehmen nur bedingt vor solchen Entwicklungen schützen. «Für die ganze Versicherungsbranche ist nach wie vor klar, dass eine Pandemie zu den nicht versicherbaren Ereignissen zählt wie zum Beispiel auch ein Krieg», sagt Reto Schweizer, Technical Head Property & Engineering Lines, der Zürich. Dies, weil ein einziges Ereignis wie eine Pandemie weltweit alle Versicherungsnehmer gleichermassen betrifft. Dies mache die finanziellen Auswirkungen unkalkulierbar und hätte zur Folge, dass im Schadenfall wohl nicht genügend Kapital vorhanden wäre, um die Deckung der Schäden überhaupt finanzieren zu können, erklärt Schweizer.
Rückwirkungsschäden sind versichert
Die Versicherung greift nur dann, wenn der Betrieb aufgrund eines versicherten Ereignisses mit Sachschäden, wie beispielsweise nach einem Brand oder einem Wasserrohrbruch, nicht weitergeführt werden kann. «In solchen Fällen zahlt die Versicherung den Ertragsausfall des Unternehmens und die Mehrkosten im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme, abzüglich eines allfälligen Selbstbehalts», erklärt Dominik Staub, Leiter Firmenkunden Marktbereich Nicht-Leben Schweiz bei Helvetia. Je nach Police sind auch die Schäden versichert, die ein Unternehmen aufgrund des Ausfalls einer anderen Firma erleidet. «Sogenannte Rückwirkungsschäden sind versichert, wenn bei einem Fremdbetrieb ein Schaden eintritt, von dem das versicherte Unternehmen massgeblich abhängig ist und dann dadurch ein Ertragsausfall erleidet,» sagt Carmen Casulleras, Leiterin Underwriting KMU der Mobiliar. Das versicherte Unternehmen muss dafür diese Gefahr, die beim Fremdbetrieb eintritt, bei sich versichert haben.
«Für reine Vermögenseinbussen aus einem Betriebsunterbruch, verursacht durch Stromausfälle, kennt der Versicherungsmarkt noch keine adäquaten Versicherungslösungen.»
Carmen Casulleras, Leiterin Underwriting KMU, Mobiliar
Pandemie und Blackout sind vergleichbar
Für den Fall einer erneuten Pandemie oder eines landesweiten Blackouts können Unternehmen von ihren Versicherungen keine Hilfe erwarten. «Aus Versicherungsoptik ist ein grossflächiger Blackout mit einer Pandemie vergleichbar: Schäden treten gleichzeitig und bei fast allen ein und verunmöglichen dadurch die Risikostreuung. Entsprechend sind zentrale Prinzipien der Versicherbarkeit verletzt», erklärt Dominik Staub von Helvetia.
Je nach Szenario und dem einzelnen Schadenfall könnten aber vermehrt Folgeschäden – beispielsweise Brände, Leitungsbrüche oder Diebstähle – auftreten, die dann wiederum versichert wären, führt Dominik Staub aus. Ähnlich klingt es bei der Mobiliar: «Es bestehen verschiedene Versicherungslösungen, die Schäden an Geräten und Maschinen versichern, die durch plötzlich unvorhergesehen eintretende Stromausfälle beschädigt werden. Für reine Vermögenseinbussen aus einem Betriebsunterbruch, verursacht durch Stromausfälle, kennt der Versicherungsmarkt noch keine adäquaten Versicherungslösungen», sagt Carmen Casulleras.
«Voraussehbare Ereignisse lassen sich generell nicht versichern.»
Reto Schweizer, Technical Head Property & Engineering Lines, Zurich
Im Gegensatz zu den Folgen solcher plötzlich eintretenden und unvorhergesehenen Blackouts gilt eine generelle Strommangellage als nicht versicherbar, da eine solche Mangellage voraussehbar und angekündigt ist. «Voraussehbare Ereignisse lassen sich generell nicht versichern», sagt Reto Schweizer, von der Zurich. Er rät Unternehmen daher vorsorglich zur Beschaffung einer Notstromanlage, für den Fall des Eintretens einer Strommangellage.
Neue Konzepte sind gefragt
Seit den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben die Diskussionen über eine Versicherungslösung nicht abgerissen. «Die Schweizer Privatversicherer und der Schweizerische Versicherungsverband sind bestrebt, für Toprisiken wie Pandemien, Blackouts, Strommangellagen und grossflächige Cyberattacken partnerschaftliche Lösungen zwischen Staat und Assekuranz zu finden», sagt Dominik Staub von Helvetia. Deren Schweiz-Chef Martin Jara hat bereits einen Vorschlag zu einer solidarischen Cyberversicherung, ähnlich der Poollösung für Elementarversicherung, auf das Tablett gebracht. Erste Gespräche zwischen Versicherern, dem Bund und der Wissenschaft finden bereits statt.
Dieser Artikel ist unter dem Titel «Grenzen der Versicherbarkeit» erstmals erschienen am 20. April 2023 im Special Unternehmensversicherung der «Handelszeitung»