Herr Ohnemus, zum zehnjährigen Bestehen ihrer Firma Dacadoo schreiben Sie auf Ihrer Website, dass Sie und Ihre Angestellten bei Dacadoo «die Welt zu einem gesünderen Ort» gemacht haben. Können Sie das konkretisieren?
Zur Gesundheit gehört die biologische Seite, die mentale Seite und die des Lebensstils mit Bewegung, Ernährung, Schlaf und Stress. Aus den Daten, die wir dazu selber erheben, haben wir festgestellt, dass sich in Europa bei über 60 Prozent der Nutzer unserer Lösungen die Gesundheit in den vergangenen drei Jahren verbessert hat.
Gilt das auch heute noch, mit Covid-19?
Die mentale Seite hat sich leider seither verschlechtert. Das hat mit Covid-19 und Ängsten und Schlafstörungen zu tun. Aber es gibt noch eine weitere Entwicklung durch die Pandemie: Die Prävention von gesundheitlichen Problemen wurde um fünf bis sieben Jahre beschleunigt. Die Aufmerksamkeit für Gesundheitsthemen generell ist deutlich gestiegen.
«Die WHO war bis jetzt nicht offen für die kommerziellen Aspekte der Gesundheit.»
Wo und wie stellen Sie das fest?
Die WHO war bis jetzt nicht offen für die kommerziellen Aspekte der Gesundheit. Das hat sich durch die Pandemie geändert. Man holt jetzt die grossen Anbieter aus den Bereichen Versicherungen, Nahrungsmittel und Pharma an Bord, weil das Thema Gesundheit nicht mehr nur von der öffentlichen Hand oder der Versicherungswirtschaft alleine getragen werden kann. Dafür braucht es zukünftig viel mehr Partnerschaften mit Firmen wie unserer.
Wie wird sich das beim Markt für digitale Gesundheitslösungen auswirken?
Wir stützen uns da auf die Analysen der Marktforschungsfirma Juniper. Die prognostizieren bis zum Jahr 2025 eine Verachtfachung der Umsätze bei der digitalen Medizin. Menschen kümmern sich viel mehr als noch vor einigen Jahren um ihre Gesundheit. Und nach der Pandemie wird man das Thema chronische Erkrankungen viel stärker angehen. Denn auf diese entfallen heute 85 Prozent der Todesfälle.
Kommen wir zu Dacadoo: Wo stehen Sie heute?
Wir haben bereits 35 der 100 weltweit grössten Versicherungen und Broker als Kunden. Darunter befinden sich auch ganz grosse Unternehmen wie UnitedHealthcare, Aon, Manulife und Chubb.
«Das Wichtigste bei der Messung ist immer die Grundlage, eine Ausgangsbasis.»
Was bewegt diese grossen Unternehmen, mit Ihnen zu sprechen?
Versicherungen stehen vor der Herausforderung, dass sie ihren Kunden zeigen müssen, dass sie sich um sie kümmern. Jede Lebensversicherung ist daran interessiert, dass man möglichst lange und bei guter Gesundheit lebt.
Ihre Produkte erfassen die Gesundheit im weiteren Sinn. Wie gehen Sie da vor?
Das Wichtigste bei der Messung ist immer die Grundlage, eine Ausgangsbasis. Erst wenn man etwas präzise messen kann, kann man etwas bewirken. Hinzu kommt, dass das Thema Gesundheitsversorgung generell diskutiert wird und dass durch Covid-19 die Auffassung vieler Menschen, dass sie ein Recht auf Gesundheitsleistungen haben, infrage gestellt wird. Man kann sich den gegenwärtigen Zustand nicht mehr länger leisten.
Wie wird das die Versicherungen betreffen?
Das bisherige Modell basierte auf einem einmaligen Verkauf von Policen, dann hörte man lange nichts mehr von Versicherungen, wenn man keine Leistungen beansprucht. Die neuen Modelle basieren auf regelmässiger Interaktion, auch zum Thema Gesundheit. Versicherungsleistungen lassen sich immer öfter mit einem Klick über das Smartphone kaufen, wie das die grossen US-Tech-Firmen, aber auch die grosse Retailkette Walmart vormacht. Konsumenten werden zukünftig Microservices, einzelne Policen, kaufen, und nur solche, die sie wirklich benötigen.
Mit welchen schweizerischen Versicherungen kooperieren Sie?
Wir arbeiten mit Swiss Re/ElipsLife zusammen. Mit Swiss Life Network Partners haben wir eine weltweite Zusammenarbeit; Swiss Life Network Partners ist Teil eines Netzwerkes von 90 grossen Lebensversicherungen weltweit. Durch dieses Netzwerk alleine haben wir schon sieben oder acht Kunden gewonnen.
Als Technologiefirma benötigen Sie auch Partner unter Technologiespezialisten.
Die haben wir. Beispielsweise mit Microsoft, unsere Lösungen laufen auf ihrer verschlüsselten Cloud. Bei Accenture arbeiten wir mit ihrer Life Insurance & Annuity-Plattform (ALIP) zusammen. Und auch Oracle verkauft unsere Lösung als Teil ihres weltweiten Angebots für Versicherungen.
Welches sind die typischen Vertragsgrössen bei Ihnen?
Die reichen von 200’000 Franken pro Jahr bei kleinen Anbietern bis zu zwischen 3 und 10 Millionen bei grossen. Wir erreichen mit unseren Lösungen inzwischen 200 Millionen Menschen rund um die Welt.
Was können Sie zu Umsatz und Firmengrösse sagen, wenn ich mal 50 Millionen Franken für den Umsatz in den Raum werfe?
Den Umsatz kommunizieren wir nicht. Sie liegen damit aber zu hoch. Ich kann hierzu lediglich verraten, dass wir für nächstes Jahr mit unseren 115 Mitarbeitenden an sieben Standorten weltweit eine Verdoppelung des Umsatzes gegenüber 2020 anstreben.
«Wir haben zwei Produkte: unsere digitale Gesundheits-Plattform sowie unsere Risk Engine.»
In der digitalen Welt geht vieles Richtung Super-Apps. Wo stehen Sie da?
In Brasilien hat die grösste Spitalkette Seguros Unimed eine eigene Super-App entwickelt, wir sind Teil dieser App. Die Hälfte unseres Umsatzes kommt von Open-API-Angeboten, die mit offenen Schnittstellen arbeiten. Die andere Hälfte kommt von unseren White-Label-Angeboten.
Was innovieren Sie bei Ihren Scores?
Wir haben zwei Produkte: unsere digitale Gesundheits-Plattform (Digital Health Engagement Platform) sowie unsere Risk Engine. Mit der lassen sich Morbiditäten und Mortalitäten praktisch in Echtzeit mitverfolgen. Wir nennen das «relativ risk» versus die klassischen Lebenstabellenrisiken. Swiss Re ist hier unser Partner mit ihrem neuen Angebot Swiss Re Big 6.
Smartphones haben unzählige Sensoren, über die man vieles über die Gesundheit ihrer Besitzer erfahren kann.
Ja, mit der eingebauten Kamera und speziellen Messstreifen lässt sich anhand kleiner Blut- oder Urinproben das Vorhandensein bestimmter Krankheiten feststellen. Solche Tests wird man zukünftig zu Hause machen können.
Es gibt neben den Smartphones auch weitere Varianten für die Interaktion und Datenerhebung wie beispielsweise Wearables.
Ja, wie etwa den Fingerring, den ich trage. Der misst den Zustand des Kreislaufes, die Schlafqualität und den Sauerstoffgehalt im Blut. Zukünftig wird es auch weitere Sachen geben wie nicht invasive Patches. Das ist eine Art Heftpflaster mit Sensoren. Anhand bestimmter Hautparameter lassen sich Anzeichen für einige chronische Krankheiten erkennen. Solche Patches sehen wir als Teil eines zukünftigen Frühwarnsystems an.
«Der Börsengang ist eine Option. Wir könnten aber auch mit einem grösseren Anbieter zusammengehen.»
Ihre Lösungen arbeiten auch mit Gamification-Elementen. Wo sehen Sie da die Grenzen?
Unabhängig davon, was man macht, sieht man oft das gleiche Muster: 20 Prozent machen begeistert mit, 20 Prozent finden das keine gute Idee und 60 Prozent sind unentschlossen und warten ab. Mit Elementen der Gamifizierung kann man vor allem bei den 60 Prozent etwas bewirken.
Und wie sieht die weitere Entwicklung Ihrer Firma aus – werden Sie sie verkaufen?
Der Börsengang ist eine Option. Wir könnten aber auch mit einem grösseren Anbieter zusammengehen. Entscheidend werden die kommenden Monate werden, wenn ein paar neue Kunden hinzukommen. Wir sind dabei auch in Gesprächen mit grossen Banken aus dem Bereich Wealth Management. Die möchten Lösungen wie unsere im Rahmen ihrer Dienstleistungen ihren Kunden zur Verfügung stehen. Gesundheit und Vermögen brauchen dabei kein Widerspruch zu sein – denn man sagt immer, dass die Gesundheit unser grösstes Asset ist.