Das Geschäft mit Autoversicherungen in Frankreich steht vor grossen Umbrüchen. 33 Millionen Autos kurven zwischen Brest und Strassburg herum. Mit Beitragseinnahmen von 22 Milliarden Euro ist die Kfz-Versicherung die zweitwichtigste Sparte im französischen Sechseck. Bislang war Autoversicherung Domäne der klassischen Versicherer mit ihren machtvollen Aussendienstnetzwerken, stets die ohne Aussendienst operierenden Gegenseitigkeitsversicherer im Nacken. Doch jetzt drängen die Banken in die Sparte vor, mit ehrgeizigen Zielen. Die Kreditinstitute machen mit ihrem Vorstoss den Generalagenten das Leben schwer, jeder zweite fürchtet sich vor der Konkurrenz der Banken. Die Gegenseitigkeitsversicherer reagieren bereits mit Preisnachlässen. Am Horizont taucht nun die machtvolle Autoindustrie auf, die sich auch ein Stück vom Versicherungskuchen abschneiden will.
«In den Bereichen Gesundheit und Schaden- und Unfallversicherung wollen wir unsere Durchdringungsrate ausbauen, das gehört zu den wichtigen Wachstumstreibern», verkündet Philippe Heim, Vorstandsvorsitzender von La Banque Postale. Die Penetrationsrate ist bei der französischen Postbank je nach Produkt sehr unterschiedlich. «Aber in den Bereichen Auto, Wohngebäude und Risikoleben liegt sie unter den Erwartungen», sagt Heim. La Banque Postale hatte im vergangenen Jahr in einem vom französischen Staat angestossenen Deal den Bancassurance-Giganten CNP übernommen («Mastodontenhochzeit in Frankreich»). Jetzt sollen Ergebnisse her, und die erhofft man sich insbesondere im Versicherungsgeschäft. Bis 2025 möchte La Banque Postale 30 Prozent ihrer Kunden mit Versicherungen versorgen.
Die guten Jahre sind vorbei
Das Duo La Banque Postale und CNP steht mit seinen Plänen nicht allein da. Crédit Agricole und sein gleichnamiger Versicherungsableger, Crédit Mutuel, Natixis und Suravenir – ein Versicherer der in Nantes ansässigen Genossenschaftsbank Arkéa – gehören zu den am stärksten wachsenden Autoversicherer am französischen Markt. Wachstumsraten von zum Teil deutlich über 7 Prozent vermelden diese Bankenversicherer. «Das Versicherungsgeschäft dürfte in den nächsten 12 bis 18 Monaten einen zunehmenden Beitrag zu den Gewinnen der Banken leisten», konstatiert die Ratingagentur Moody’s in einem Bericht zum französischen Bankenmarkt.
Im vergangenen Jahr hatten die Bankenversicherer noch deutliche Umsatzeinbussen im Lebensversicherungsgeschäft verbucht. Das Lebensversicherungsgeschäft hat sich jetzt wieder erholt. Doch langfristig möchten die Bankenversicherer auch in der Schadenversicherung wachsen. Wegen der niedrigen Zinseinkünfte ist das Provisionsgeschäft für sie wichtig geworden. Ausserdem eignet sich das langfristige Versicherungsgeschäft ausgezeichnet zur Kundenbindung. Die Kfz-Versicherung dient als Einstieg.
Nach den Lockdown-bedingen Rückschlägen im vergangenen Jahr steigen die Versicherungsumsätze der französischen Bancassurance-Riesen BNP Paribas, Crédit Agricole, Société Générale und BPCE bereits stark an. Das Vorpreschen der Banken setzt den Versicherungsmarkt unter Druck, der seit 2016 kontinuierlich immer bessere Ergebnisse abgeliefert hatte. Lag der Schaden-Kosten-Satz im Jahr 2016 marktweit noch bei 105,6 Prozent, erreichte er im Jahr 2019 100 Prozent und lag wegen des geringen Verkehrs im Lockdown-Jahr 2020 bei traumhaften 93 Prozent.
Der Wettbewerb drückt auf die Preise
Es wäre falsch, die Versicherer als Profiteure der Pandemie zu bezeichnen. Neben der Pandemieabgabe, einer Sondersteuer zur Finanzierung des Gesundheitswesens, standen sie in der Betriebsunterbrechungsversicherung unter hohem Druck. Etwa 1,8 Milliarden Euro an Schäden sind im Hexagon aufgrund der Pandemie angefallen. Besonders stark exponiert waren Crédit Mutuel und BPCE. Die Zahlungsbereitschaft war bei ihnen grösser als im Rest des Marktes, weil sie durch die Versicherungsleistungen Rückschläge in ihrem Kreditbuch abwenden wollten. Im französischen Verband war es wegen der grosszügigen Regulierungspraxis der Bankenversicherer sogar zum Streit gekommen.
Die Bankenversicherer geben ihrem Vorstoss im Kfz-Geschäft mit Preisnachlässen eine besondere Spitze. Crédit Agricole Assurance, die Nummer zwei im Versicherungsmarkt und Nummer sieben in der Autoversicherung, startet zum Jahresbeginn einen aggressiv bepreisten Kfz-Tarif mit reduzierter Deckung, der sich an junge Autofahrer richtet. Die Gegenseitigkeitsversicherer Maif, Matmut und GMF haben darauf reagiert und werden auf Anpassungen im nächsten Jahr verzichten. Gleichzeitig haben die Autoversicherer schadenseitig mit einer deutlichen Teuerung der Ersatzteile zu kämpfen. Autohersteller haben die Ersatzteile in diesem Jahr um mehr als 5 Prozent verteuert. Sollte dieser Trend anhalten, könnten die Versicherer in eine Lage geraten, in der die Prämien nicht mehr ausreichen, die Schäden zu bezahlen.
Peugeot und Renault preschen vor
Die Autohersteller werden langfristig eine zunehmende Rolle im Kfz-Versicherungsgeschäft spielen. Für sie ist das Versicherungsgeschäft Teil ihres Servicepakets für den Autofahrer und willkommene Einnahmequelle. Die Autoholding Stellantis mit den in Frankreich so populären Autos der Marken Peugeot und Citroën hat eine Offensive bei digitalen Services angekündigt, Autoversicherung inklusive. Die Frankreich-Tochter PSA Stellantis verfügt über einen Finanzierungsarm, der auch das Thema Versicherung abdeckt. Stellantis-CEO Carlos Tavares berichtet, dass im Jahr 2025 weltweit 34 Millionen «connected cars» von Stellantis-Töchtern fahren werden. Derzeit sind es 12 Millionen. Die internetfähigen Autos bringen der Nummer vier der Autokonzerne bereits jetzt 400 Millionen Euro jährlich ein.
Peugeot-Konkurrent Renault, der in der Autoversicherung über das Joint Venture Amaline Assurance mit der Groupama zusammenarbeitet, will ebenfalls datengetriebene Kfz-Versicherungen anbieten. Renault ist gerade dabei, mit Unterstützung von Google seine Infotainment-Systeme auszubauen. Die technologiegetriebenen Vorstösse der mächtigen französischen Autokonzerne werden den Kfz-Versicherungsmarkt fundamental verändern, nicht nur im Vertrieb, sondern auch auf Produktebene. PSA hat bereits eine Telematik-Versicherung auf den Markt gebracht. Über kurz oder lang sind die Schadenversicherer Frankreichs gezwungen, mitzuziehen und in Technik zu investieren. Bislang bietet nur der Axa-Ableger Direct und der Gegenseitigkeitsversicherer Maif Telematik-Versicherungen an. Der Versicherungsarm der Société Générale hat eine Telematik-Versicherung für Kfz-Flotten im Programm. Doch insgesamt steckt der Markt beim Thema Kfz-Versicherung noch in den Windeln. Es ist auch auf die weit verbreiteten Altsysteme zurückzuführen, dass die Versicherer nicht in der Lage sind, datengetriebene Geschäftsmodelle zu verfolgen. Sie haben keinen Zugang zu den entscheidenden Datenquellen und können die bei ihnen vorhandene Daten kaum nutzen, weil die Datenlandschaft unaufgeräumt ist. Ausschlaggebend ist aber, dass sie gar nicht wissen, was sie mit den Daten anfangen sollen. Hier wird der Markt noch viel Lehrgeld zahlen.