- Bei der Videoberatung von Versicherern variiert die Professionalität aufgrund mangelnder Infrastruktur und Kompetenzen.
- Die angebotene Videoberatungskompetenz ist mehrheitlich mittelmässig.
- Bei der Signatur kommt es oftmals zu einem Medienbruch, da nur wenige Versicherer eine sauber eingebettete elektronische Signatur anbieten.
Zwischen September und Oktober 2023 hat das Zuger Beratungsunternehmen Pragmatica eine Marktanalyse zur Maturität der Videoberatung bei zwanzig der führenden Schweizer Kranken- und Mehrbranchen-Versicherungen durchgeführt. Die Analyse basierte auf Deskresearch und auf einem realen Beratungsgespräch, das im Rahmen eines Mystery-Shoppings bei jedem der untersuchten Versicherer wahrgenommen wurde.
Dabei wurde die Perspektive eines digital affinen Neukunden eingenommen und folglich Kanäle für bestehende Kunden, zum Beispiel Kundenportal oder App, nicht berücksichtigt.
Identische Bewertungskriterien
Die Autoren der Pragmatica-Befragung haben sich zu einer Säule-3a-Lösung respektive zu einer Krankenkassenzusatzversicherung beraten lassen und dafür explizit eine Videoberatung gewünscht.
Dabei wurden alle Versicherungen anhand von identischen Bewertungskriterien, die zu einem grossen Teil Berater-unabhängig sind, analysiert und unter Anwendung eines Punktesystems im Sinne einer Likert-Skala bewertet.
Die fachliche Kompetenz der Beraterinnen und Berater wurde in Bezug auf die Versicherungsprodukte bewusst nicht bewertet, da es sich nicht um eine wissenschaftlich aufbereitete Studie handelt. Sie stellten jedoch durchgehend eine sehr gute Qualität dar.
Unerwünschter Medienbruch
Viele Versicherer bieten meist noch keine Möglichkeit an, einen verbindlichen Beratungstermin direkt online zu vereinbaren und bestätigt zu erhalten. Bei den meisten Versicherern führt die Terminvereinbarung gemäss dem Autorenteam bereits zum ersten unerwünschten Medienbruch.
So bieten lediglich 4 von 20 Versicherern die Möglichkeit, im Selfservice einen Termin direkt auf der Website zu buchen. Die anderen 16 Versicherer stellen ein Online-Kontaktformular zur Verfügung, das nur vereinzelt die Möglichkeit gibt, speziell eine Videoberatung anzufragen. Dabei kann bei den meisten Gesellschaften kein Termin oder nur ein Wunschtermin ausgewählt werden. Unabhängig von den Auswahlmöglichkeiten im Kontaktformular wurde das Pragmatica-Team angerufen, um den Beratungstermin telefonisch zu vereinbaren.
Interessanterweise sind die Krankenversicherer den Mehrbranchen-Versicherern rund um die Terminvereinbarung voraus. Drei Krankenversicherer stechen mit einer besonders einfachen und nahtlosen Online-Terminvereinbarung heraus, während nur ein Mehrbranchen-Versicherer eine solche Lösung anbietet. Diese Best Practices würden zeigen, dass eine direkte Online-Terminbuchung zu einer nahtloseren Customer-Journey führe und die Zeit von der Terminanfrage bis zum Beratungsgespräch und/oder Vertragsabschluss enorm verkürze, so die Schlussfolgerung der Autorinnen und Autoren.
Wunsch nach Videoberatung
Die Professionalität sowie die Qualität in Bezug auf Inhalt und Umfang bei den Terminbestätigungen, Einladungen und Erinnerungen variiert derweil massiv, schreibt Pragmatica. Die vier Versicherer, welche eine Online-Terminvereinbarungslösung anbieten, versenden automatisierte Terminbestätigungen. 5 von 20 Versicherern haben einen hohen Qualitätsstandard beim Versand von Terminbestätigungen/Einladungen für Videoberatungen. In anderen Worten: Diese stellen sicher, dass die E-Mails und Einladungen gebrandet – also mit Einladungstext, Signatur und Hilfestellung oder Anleitung zum technischen Einstieg in den Video-Call versehen sind. Bei 13 von 20 Versicherern versendet der Berater/die Beraterin die Kalendereinladung manuell, bei 7 davon wurden weder ein Einladungstext noch eine Signatur oder Kontaktdaten vorgefunden.
Bei einer Versicherung kommt der Berater dem Wunsch nach einer Videoberatung gar nicht nach und bei einer weiteren wird lediglich ein E-Mail mit dem Einladungslink in den Video-Call versendet. Bei drei Viertel der analysierten Versicherern wirken die Termineinladungen für Videoberatungen improvisiert und wenig professionell, oft würden einzelne Bestandteile wie etwa die Signatur, das Branding oder Informationen zur Beratung vergessen gehen, folgert das Pragmatica-Team. 5 Versicherer würden nur eine Bestätigungsmail für den Termin, jedoch ohne downloadbare oder direkte Kalendereinladung, versenden.
Lange Zeit bis zur Zustellung der Offerte
Die Reaktionszeit von der Terminanfrage bis zur schriftlichen Termineinladung war dabei sehr unterschiedlich, schreibt das Autorenteam weiter. Bei 8 von 20 Versicherern waren mehrere Anfragen via Kontaktformular nötig, bis ein Termin vereinbart werden konnte. Die Versicherer mit einer Online-Terminvereinbarung versandten jeweils sofort eine Terminbestätigung. Wiederum bei 8 von 20 Versicherern ging es über eine Woche von der Terminanfrage bis zur Zustellung der Offerte. Und bei 4 Versicherern ging es sogar über 2 Wochen, obwohl die Anfragen Mitte September gemacht wurden – jeweils kurz vor Ablauf der Kündigungsfristen.
Esther Disch, Partnerin bei Pragmatica und Head Digital Insurance Services, sagt gegenüber HZ Insurance: «Videoberatungen müssen als eine neue Form der Beratung betrachtet werden. Es genügt nicht, eine physische Beratung einfach auf den Videokanal zu übertragen. Vielmehr bedarf es neuer Ansätze und Lösungen, um Kundinnen und Kunden ein persönliches und nahtloses Erlebnis zu bieten.»
Beratungserlebnis mittelmässig
Für die Videoberatung nutzen mit Ausnahme von zwei Versicherern alle Microsoft Teams. Bei den Videoberatungskompetenzen wurde nicht die Fachkompetenz, sondern die Auftritts- und Toolkompetenz geprüft, wobei nur 3 Beratungspersonen gute bis sehr gute Resultate erzielen konnten. Bei 9 Versicherern waren die Resultate mittelmässig. Pragmatica geht davon aus, dass grundlegende Guidelines vorhanden sind für die Videoberatung, aber keine effektive Schulung stattgefunden hat. So folgert das Team, dass bei 8 Versicherern mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Training und/oder keine Guidelines zur Videoberatung vorhanden waren, da die Beratungspersonen die grundlegendsten Sachen falsch gemacht haben und das Beratungserlebnis nicht optimal war – etwa betreffend Mimik, Gestik und Blickkontakt sowie schlechter Toolkompetenz.
Krux mit der Infrastruktur
Bei der Infrastruktur wurde die Beleuchtung und die Lichteinstrahlung, die Möblierung im Hintergrund und der Hintergrund generell, die Audio- und Bildqualität sowie allfällige Störfaktoren (Geräusche, schlechte Internetverbindung) geprüft. Bei der Infrastruktur schnitten 6 Versicherer gut ab, und 7 je mittelmässig sowie schlecht. Mehr als die Hälfte der analysierten Versicherer haben nicht auf den Hintergrund der Videoberatung geachtet und hatten entweder einen verschwommenen oder fiktiven Teams-Hintergrund oder massive Störfaktoren im Bild. Nur 8 Versicherer haben auf ein sauberes Branding geachtet oder einen sauberen Hintergrund ohne Störfaktoren sichergestellt. Beim Screensharing und den verwendeten Tools haben die Expertinnen und Experten von Pragmatica einerseits geprüft, ob und wie die Berater die Screensharing-Funktion genutzt haben, und andererseits, welche Tools zur Unterstützung der Beratung eingesetzt wurden (etwa Browser, PDFs, Offertentools und Beraterapplikationen).
Nutzung von Screensharing
6 Versicherer haben gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt, indem sie im Screensharing verschiedene unterstützende Tools genutzt haben zur Visualisierung und Präsentation von Informationen, Versicherungslösungen sowie Applikationen zur Live-Erstellung von Versicherungsvarianten und zur Führung durch die Beratung in interaktiver Form. 6 Versicherungen haben durchschnittliche Ergebnisse erzielt, indem sie im Screensharing entweder PDFs zur Visualisierung von gewissen Informationen oder Produkten genutzt haben und/oder eine Applikation verwendeten zur Live-Erstellung von Versicherungsvarianten. 8 Versicherer haben derweil schlechte Resultate in diesem Bereich erzielt, da sie entweder die Screensharing-Funktion gar nicht nutzten, um uns als Kunden die vorgeschlagenen Lösungen im Detail zu erklären, oder nur sehr rudimentär auf Anfrage gewisse Infos auf der Website teilten.
Akzeptanz digitaler Unterschriften
Digitale Unterschriften werden bei den meisten Versicherern bereits bis zu einem gewissen Mass genutzt, jedoch gibt es auch dort grosse Unterschiede. Im Sachversicherungsbereich können Produkte bei praktisch allen Versicherungen ohne Unterschrift und/oder digital abgeschlossen werden. Im Bereich der Säule 3a bieten 4 der 9 untersuchten Mehrbranchen-Versicherer bereits die Möglichkeit einer elektronische Signatur an.
Die Krankenkassen bieten fast alle die Möglichkeit einer elektronischen Signatur an, jedoch kann nur bei wenigen nochmals in die vom Berater zugestellte Offerte eingestiegen werden, um Anpassungen nachträglich und selbständig (Selfservice) vorzunehmen und abzuschliessen. Zusammengefasst sind auch im Bereich des Beratungserlebnisses die Krankenkassen im Vergleich zu den Mehrbranchen-Versicherern in fast allen Bewertungsfeldern voraus.
«Wir sind der Meinung, dass der Beratungsprozess der Zukunft einen hybriden Ansatz erfordert, insbesondere bei beratungsintensiven Produkten. Die Videoberatung stellt dabei ein wirksames Puzzleteil dar, das eine persönliche Beratung von überall aus erlebbar macht», ergänzt Disch.
Hybrider Beratungsansatz
Generell hat die Marktanalyse ergeben, dass die Krankenversicherer sowohl in der Terminvereinbarung bis zum Einstieg in das Video-Beratungsgespräch als auch im Beratungserlebnis den Mehrbranchen-Versicherern einige Schritte voraus sind.
Überraschend war jedoch, dass kein Versicherer auf beiden Bewertungsachsen sehr gut abgeschlossen hat – es gibt also auch bei den Vorreitern in der Branche noch Luft nach oben. «Wir sind überzeugt, dass ein hybrider Beratungsansatz mit einem cleveren Einsatz von Videoberatungen und einem durchgängigen Omni-Channel-Ansatz der Schlüssel zu einem effizienten und effektiven Vertrieb ist», folgert Pragmatica-Partnerin Disch.