Alle Jahre wieder: Dieser Tage flattert in vielen Unternehmen die Excel-Liste aus dem Risikomanagement auf den Tisch der Geschäftseinheiten. Die aufgeführten Risiken sind bitte zu bereinigen und neu zu bewerten. Risiko hoch, mittel oder geringfügig, Massnahmen dringend bis unbedeutend. Einmal tief durchatmen, Haken dran und zurück ins «business as usual»…

Gewiss, das ist vielleicht etwas überzeichnet dargestellt. Doch die Diskrepanz zwischen dem landläufigen Umgang vieler Unternehmen mit Risiken und deren Ausmass ist es nicht. Wer die Lücke schliessen will, muss ein fundamentales Umdenken bewirken, bei den Kompetenzen und Technologien genauso wie beim Geschäftsmodell und erst recht bei der Risikoattitüde. Ein gezielter Wandel gehört mittlerweile zu den unternehmerischen Schlüsselaufgaben. Gemäss des «PWC’s 27th Annual Global CEO Survey» gehen 45 Prozent der CEOs weltweit davon aus, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr lebensfähig sein wird, wenn sie es unverändert fortsetzen. Die Krux: Veränderung bringt Risiko.

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Über die Autorin

Alexandra Burns ist Partnerin Risk & Regulations bei PwC Schweiz und leitet den Bereich Financial Services Risk Consulting & Internal Audit practice. 

Präzise angreifen, agil verteidigen

Risikomanagement hat viel mit Fechten gemeinsam. Da und dort gelten gleiche Erfolgsfaktoren: präzise angreifen, agil verteidigen. Für ein siegreiches Gefecht braucht das Unternehmen Führungskräfte und Mitarbeitende mit einem ausgeprägtes Klingengefühl und Talenten wie Agilität und Tempo. Damit sich diese Fähigkeiten in eine Victoire verwandeln lassen, stehen im Risikomanagement drei Kernaufgaben an: Erstens muss man die Risiken überhaupt erst sehen. Befeuert von makroökonomischen Trends wie künstlicher Intelligenz (KI) oder Cybersicherheit und geopolitischen Krisen wie Handelshemmnissen oder Erderwärmung verändert sich die Risikolandschaft derzeit rasend schnell.

Das Ausmass dieser Risiken sprengt nicht nur die Grenzen des Werkareals, sondern auch die von Branchen und Ländern. Zwei Drittel der globalen Expertinnen und Experten des «WEF Global Risk Reports 2024» gehen davon aus, dass sich in den nächsten zehn Jahren eine multipolare oder fragmentierte Weltordnung herausbildet. Sie befürchten, dass Verschiebungen in Machtdynamik, Klima, Technologie und Demografie die Anpassungsfähigkeit von Staaten und Einzelpersonen an ihre Grenzen bringen.

Umso wichtiger ist es, dass die Entscheidungstragenden ein Gespür dafür entwickeln, welche Einflüsse von aussen ins Unternehmen eindringen, und dass sie sich effektiv darauf vorbereiten. Dazu müssen Führungsgremien den Dialog untereinander, in- und ausserhalb der Branche und vor allem über Landesgrenzen hinweg führen. Denn nur mit einer holistischen Sicht auf Risiken verschaffen die Verantwortlichen ihren Unternehmen die nötige Agilität, um Bedrohungen zu erkennen und diese mit höchster Präzision zu adressieren.

Risiko-Proaktivität: Von der Parade zum Angriff

Zweite Kernaufgabe von Unternehmen ist es, Risiken bewusst einzugehen. Das grösste Risiko besteht darin, keines einzugehen. Mit anderen Worten: Risiken bergen immer auch Chancen. Die Kenntnis der relevanten Risiken macht nicht nur deutlich, wo im Unternehmen Wert zerstört wird, sondern auch wo kein oder zu wenig Wert generiert wird. Gerade diese Seite der Medaille sollte der C-Level genau ausleuchten, und zwar aus allen geschäftskritischen Perspektiven. Der CEO will Wachstum generieren und sein Unternehmen sicher durch eine Krise bringen.

Gleichzeitig legt ihm gutes Risikomanagement ein Momentum für die Um- oder Neugestaltung des Geschäftsmodells in die Hand. Der Betriebsleiter will existenzbedrohende Betriebsstörungen verhindern. Durch das Erkennen der operativen Hauptrisiken kann er Prozesse und Kosten optimieren. Der Nachhaltigkeitsverantwortliche schliesslich möchte Reportings vorlegen, die Kriterien von Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung (ESG) genügen. Wenn er den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken transparent kommuniziert, steigert er zugleich das Vertrauen ESG-affiner Investierender.

Indem die Verantwortlichen Risiken in die Unternehmensstrategie einbinden und auf den Risikoappetit der Firma abstimmen, nutzen sie deren Potenzial für Innovation, also Wachstum. Das bedingt, dass sie den Beteiligten den wertschöpfenden Beitrag von Risikoproaktivität vermitteln und – um bei der Analogie zum Fechten zu bleiben – sofort von der Parade zum Angriff wechseln.

An dieser Stelle ein Praxisbeispiel: Ein Kreditkartenanbieter wendet Data-Analytics auf das Verhalten und die Kreditrisiken seiner Kreditkartennutzerinnen und -nutzer an. Anhand der Transaktionsdaten kann das Unternehmen nicht nur die Ausfallrisiken überwachen, sondern erkennt überdies Ansätze für personalisierte Produkte und Dienstleistungen. Das wiederum stärkt die Kundenzufriedenheit und -bindung.

Als dritte und letzte Kernaufgabe im Umgang mit Risiken gehört es, wertschöpfende, wertneutrale oder wertvernichtende Aktivitäten zu priorisieren und die Kerntätigkeiten entsprechend anzupassen. Daraus gehen Kostenkontrolle, Werthaltigkeit und weitsichtige Ressourcenallokation hervor, was sich unter dem Begriff Resilienz zusammenfassen lässt.

Ist der chancenorientierte Umgang mit Risiken in der Kultur und den Prozessen eines Unternehmens verankert, meistert dieses schwierige Ausgangslagen wie Konjunkturflauten, Marktvolatilität, strukturelle Krisen, Notfälle oder Lieferengpässe schneller und leichter. Denn seine Aktivitäten werden vom Vertrauen der wichtigsten Dialoggruppen wie Kapitalgebenden, Kundschaft oder Mitarbeitenden mitgetragen.

En garde, s'il vous plaît!

Wer für ein zeitgemässes Risikomanagement einsteht, strebt mehr als das Einhalten von Vorschriften an. Die Verantwortlichen behalten Risiken aller Art unentwegt im Auge, gehen Risiken intelligent ein, um Innovation und Veränderung anzustossen, und managen Risiken so agil, dass sie die Abwehrkräfte des Unternehmens stärken. Am Erfolg dieses harten Trainings sind nicht nur der CEO und die Leiterinnen und Leiter des Risikomanagements beteiligt. Es ist eine strategische, operative und schliesslich kulturelle Teamleistung, die sich in nachhaltiger Resilienz, Wettbewerbsattraktivität und hoher Marktmacht äussert.

Dieser Beitrag ist Teil des am 28. November 2024 erschienenen HZ-Insurance-Print-Specials «Riskmanagement».