In der Schweiz ist mindestens jeder Vierte von einer chronischen Erkrankung betroffen. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen. Jedes Jahr steigt die Anzahl der Erkrankten.
Elisa Maslow, Gründerin und CEO bei Maslow & Company, ist im Versicherungsbereich mit Fokus auf Marktdynamik im Gesundheitsökosystem tätig.
Betroffene waren bisher aufgrund ihres erhöhten Krankheitsrisikos nicht nur gesundheitlich, sondern auch bei Krankenzusatzversicherungen benachteiligt.
Eine Frage nach der Solidarität
Bisher waren die Optionen des Angebots der Krankenzusatzversicherung auf die traditionellen Handlungsoptionen limitiert. Krankenzusatzversicherer konnten zu ihrem vorhandenen Standardangebot, in Abhängigkeit der gesundheitlichen Vorbelastung des Versicherten, einen Ausschluss von Teilleistungen anbieten, bevor sie den Kunden vollständig ablehnten.
Schockierend ist dabei nicht nur die Grösse des nicht ausgeschöpften Marktpotentials seitens der Versicherer, sondern noch mehr die Anzahl der dadurch unzureichend versicherten Individuen, die Bewertung der Gerechtigkeit und der Frage nach der Solidarität.
Vorreiter der Innovation
Nun legte die Finma, als Aufsicht der Krankenzusatzversicherung, mit ihrer kürzlich erlassenen Genehmigung zur risikobasierten Tarifierung, einen essenziellen Grundstein für Krankenversicherer, um Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen neue Optionen zu ermöglichen. Neben der Eröffnung neuer Opportunitäten in der Produktinnovation der Zusatzversicherung, setzt diese veränderte Ausgangslage den Schweizer Krankenversicherungsmarkt unter Handlungsdruck. Die Sanitas agiert in diesem Kontext als Vorreiterin der Innovation innerhalb der risikobasierten Tarifierung und ermöglicht es künftig, als erste Krankenversicherung in der Schweiz, Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen die vollen Deckungen gegen einen risikogerechten Prämienzusatz zu wählen.
Ausmass der Beiteiligung am erhöhten Risikoprofil
Klemens Binswanger, Leiter des Leben- und Krankenversicherungsgeschäfts bei Swiss Re und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Aktuarvereinigung, nimmt kritisch Stellung. Dabei beleuchtet er unter anderem den Kontrast zwischen Einzelschicksal und dem Solidaritätsgedanken. Fakt ist, dass es sich bei jedem Risiko um ein Einzelrisiko mit individuellem Risikoprofil handelt. Um diese Risiken abzufangen, bilden wir in der Versicherung Risikogemeinschaften mit ähnlichen Risiken. Im Kontext der risikobasierten Tarifierung stellt sich nun die Frage, inwieweit sich Individuen mit einem erhöhten Risikoprofil in eine Solidaritätsgemeinschaft einkaufen dürfen, um als gleichwertig zu gelten und in welchem Ausmass sich die Gesellschaft als Folge dessen am Einzelschicksal beteiligen muss. Für Klemens Binswanger ist klar, dass die aktuelle Bewegung in Richtung der risikobasierten Tarifierung, zusammen mit dem medizinischen und technischen Fortschritt, neuen Bemessungsgrundlagen und Auswertungsmöglichkeiten, in die richtige Richtung geht und sieht dabei noch viele ungenutzte Potentiale. Es geht darum, den Konsumenten in den Mittelpunkt zu stellen, gleichzeitig die Herausforderungen, welche mit dem Fairnessaspekt einhergehen, nicht ausser Acht zu lassen und mit voranschreitender Zeit stetig neu zu bewerten.
An bestimmten Behandlungspfad halten
Jörg Schwanemann, Partner bei EY und Leiter des Beratungsgeschäfts im Schweizer Versicherungsmarkt, knüpft an Herrn Binswangers Aussagen an. Dass bei dieser Marktbewegung der Konsument im Zentrum steht, ist fraglos. Künftig geht es dabei immer mehr um eine ganzheitliche Versorgungsperspektive und somit auch um das Zusammenspiel von Grund- und Zusatzversicherung. Im Sinne der risikobasierten Tarifierung lassen sich Risiken präzise kalkulieren, solange sich Patienten an einen bestimmten Behandlungspfad halten und solange der Gesamtversorgungsaspekt über Grund- und Zusatzversicherung betrachtet wird. Die heute zur Verfügung stehenden Tools eröffnen neue Opportunitäten, welche nicht nur den Individuen dienen, sondern es auch Versicherern ermöglichen, Produktinnovation, weg von einer isolierten Betrachtungsweise der Profitabilität eines einzelnen Produktes, hin zur holistischen Versorgung, erfolgreich voranzutreiben. Mit den richtigen Schritten ist fast jedes Individuum versicherbar.
Viele weitere Opportunitäten
Klar ist, dass es schon lange keine «unprofitablen Kunden» mehr gibt, lediglich ein «unprofitables Angebot». Die Finma hat die vergangenen Jahre die Rolle des Konsumentenschützers sehr gewissenhaft und bisher eher restriktiv verfolgt. Nun fungiert sie, offensichtlich überzeugt, als Enabler zur risikobasierten Tarifierung und ermöglicht neben der Öffnung des Angebots in der Zusatzversicherung viele weitere Opportunitäten. Spannend bleibt die Frage, wie schnell der Krankenversicherungsmarkt reagieren kann und wer den nächsten bedeutsamen Schritt in Richtung Innovation wagt und erfolgreich umsetzt.