- Die Schweizer Transportversicherung muss als globaler Player nachhaltiger werden.
- Statt nur auf Ausschlüsse zu setzen, sollten die Versicherer umweltbewusstes Handeln mit Prämiennachlässen belohnen.
- Die Umsetzung der ESG-Kriterien scheitert aber noch oft an unklaren Definitionen und fehlenden Daten.
Die Versicherungsbranche steht unter wachsendem gesellschaftlichem und regulatorischem Druck, Nachhaltigkeitsmassnahmen ins Underwriting zu integrieren. Dabei sollten neben Daten von Drittanbietern auch eigene ESG-Daten erhoben werden, um Zusammenhänge mit wichtigen Kenngrössen wie der Schadenquote zu analysieren und den Prüfprozess zu verbessern. Statt nur Ausschlüsse zu nutzen, sollten Anreize für nachhaltiges Verhalten geschaffen werden, etwa durch Prämiennachlässe oder Gewinnbeteiligungsmodelle. Bestehende Kunden sollten von den Versicherern beraten und im Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigeren Verhalten unterstützt werden.
Transportversicherungen ermöglichen den Welthandel
Rund 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter werden auf dem Seeweg transportiert. Ohne Transportversicherung wäre ein reibungsloser Welthandel nicht möglich, denn mit steigendem Handelsvolumen und immer grösseren Schiffen nehmen auch die Risiken wie Totalverlust, Schiffsunfälle und Verzögerungen zu. Obwohl die Schweiz ein Binnenland ist, spielt sie auf dem globalen Schifffahrtsmarkt eine wichtige Rolle. Mehrere grosse Reedereien sind in der Schweiz domiziliert, die bekannteste ist die Mediterranean Shipping Company (MSC) mit Sitz in Genf. Zusammen mit den Schiffen der in der Schweiz ansässigen Rohstoffunternehmen verfügt die Schweiz über eine Flotte von 2600 Schiffen und ist damit der zweitgrösste Reedereistandort der Welt.
Die Schweiz steht in der Verantwortung
Die Schifffahrt ist aber auch mit erheblichen Umweltbelastungen und sozialen Problemen in Form von schlechten Arbeitsbedingungen verbunden, die durch Billigflaggen begünstigt werden. Reedereien können den Flaggenstaat ihrer Schiffe grundsätzlich frei wählen und sich damit die geltenden Arbeits- und Umweltstandards quasi aussuchen. So entscheiden sich viele Reedereien bewusst für Flaggenstaaten, die ihnen spezifische Wettbewerbsvorteile bieten, etwa geringe Strafen für Verstösse gegen internationales Seerecht, illegale Umweltverschmutzung oder geringen Arbeitnehmerschutz. Zwar haben Schiffe im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern einen geringen CO2-Ausstoss pro Kilometer und Tonne, doch sind die Emissionen anderer Schadstoffe wie Schwefeldioxid und Stickstoff höher. Nach Angaben der International Maritime Organization (IMO) trägt die Schifffahrt mit etwa 3 Prozent zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei, wobei grosse Containerschiffe und Tanker, die meist mit umweltschädlichem Schweröl betrieben werden, einen besonders hohen Anteil haben.
Tatjana Schindler ist als Senior Underwriter Marine International bei der Helvetia Versicherung tätig. Lukas Stricker ist Dozent am Institut für Risk & Insurance der ZHAW.
Internationale Standards sind wichtig
Die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit im Underwriting der Transportversicherung steht im Zusammenhang mit globalen Initiativen wie den Principles for Sustainable Insurance zusammen. Diese Prinzipien zielen darauf ab, ESG-Kriterien in die Geschäftsprozesse zu integrieren, konkrete Massnahmen zu formulieren und regelmässig über Fortschritte zu berichten. Ein Leitfaden hilft bei der Berücksichtigung von ESG-Risiken im Risikomanagement. Als transportspezifische Initiative sind auch die Poseidon Principles for Marine Insurance hervorzuheben Sie bieten einen freiwilligen Rahmen zur Messung der Kohlenstoffintensität versicherter Flotten im Einklang mit dem Pariser Abkommen und den Zielen der IMO. Versicherer, die sich diesen Prinzipien anschliessen, verpflichten sich, ihren Impact auf den Klimawandel transparent zu machen und nachhaltige Praktiken in der Schifffahrt zu fördern.
Reputation als Underwriting-Kriterium
Der klassische Underwriting-Prozess im Industriekundengeschäft war bisher stark ertragsorientiert. Er umfasst die Bewertung des Versicherungsnehmers sowie die Risikoeinschätzung des Gefahrenpotenzials unter Berücksichtigung interner Zeichnungsrichtlinien. Darauf basierend kalkuliert der Underwriter eine risikoadäquate Prämie.
Erweiterung des Underwriting-Prozesses
Getrieben durch gesellschaftlichen und politischen Druck hat sich der Underwriting-Prozess in den letzten zwei Jahrzehnten um die Reputationsperspektive erweitert. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien im Underwriting erfolgt heute meist über die Zeichnungspolitik in Form von Ausschlüssen. Umweltschäden und Sicherheitsrisiken können aber auch durch Präventions- und Sicherheitsmassnahmen wie Ladungssicherung minimiert werden. Darüber hinaus können Versicherungen ihre Kunden bei der Auswahl nachhaltiger Transportmittel und Verpackungslösungen beraten. Auf der Governance-Ebene stehen Sanktionen und Embargos im Vordergrund, die durch geeignete Instrumente im Underwriting geprüft werden können.
Soziale Aspekte nicht vernachlässigen
In der Praxis bestehen jedoch noch verschiedene Herausforderungen bei der Integration von ESG-Kriterien in den Underwriting-Prozess. Der Begriff ESG ist nicht klar definiert, was zu Unsicherheiten bei der Anwendung führt. Häufig liegt der Fokus zu sehr auf Umweltaspekten, während soziale und Governance-Kriterien vernachlässigt werden. Die Beschaffung und Auswertung qualitativ hochwertiger ESG-Daten ist schwierig, da externe Anbieter häufig unterschiedliche Bewertungskriterien zugrunde legen und intern noch keine ausreichende Datenbasis vorhanden ist. Schliesslich fehlt es häufig an Expertise und Ressourcen im Underwriting, um Nachhaltigkeitsmassnahmen effektiv umzusetzen. Die Reise hin zu einer nachhaltigen Transportversicherung hat aber definitiv begonnen.